Donnerstag, 7. Dezember 2017

Graham Greene: Der dritte Mann

- die Erzählung zum Film.

Leserunde auf whatchareadin.

Hardcover, 207 Seiten
Edition Büchergilde, 2017

Vielen Dank der Büchergilde für dieses schöne illustrierte Leseexemplar.

"Der dritte Mann" ist eine Erzählung, die ursprünglich nur als Grundlage für den bekannten Film dienen sollte. Graham Greene beabsichtigte nicht sie zu veröffentlichen, glücklicherweise hat er es sich anders überlegt.
Ich selbst habe den Film nicht bewusst in Erinnerung, obwohl es durchaus sein kann, dass ich ihn irgendwann einmal gesehen habe. Nach der Lektüre werde ich ihn mir auf jeden Fall anschauen. Mein Vorteil ist, dass ich so unbelastet - ohne die Bilder des Films im Kopf zu haben - lesen und die wunderbar düsteren Illustrationen auf mich wirken lassen konnte.

Worum geht es?
Zu Beginn spricht ein Ich-Erzähler uns Leser*innen direkt an und bereitet uns auf den Schauplatz vor:

"Wenn Sie diese seltsame, ziemlich traurige Geschichte verstehen wollen, müssen Sie wenigstens einen Eindruck vom Hintergrund bekommen - von der zerstörten, trostlosen Stadt Wien..." (S.16).

Wien ist im Februar 1945 eine in Zonen unterteilte, zerstörte, trostlose Stadt. Der Protagonist der Geschichte ist neben dem Ich-Erzähler, der "fröhliche Trottel" Rollo Martins (S.15), in dem ein ständiger Konflikt herrscht.

"Rollo schaute jeder Frau nach, die vorbeikam, und Martins schwor den Frauen für alles Zeiten ab. Ich weiß nicht, welcher von beiden die Westernromane schrieb." (S.23)

Die Romane schreibt er unter dem Pseudonym Buck Dexter. Auf der Beerdigung von Harry Lime begegnet der Ich-Erzähler jenem Rollo zum ersten Mal und teilt mit, dass er das folgende Geschehen, das sich in jenem Februar 45 abgespielt hat, aus den Akten und in Gesprächen mit Martins rekonstruiert hat.

Der dritte Mann (S. 20/21)
Martins wird von seinem alten Schulfreund Harry Lime, eben jener, der beerdigt wurde, nach Wien eingeladen und verspricht ihm, alle Auslagen zu bezahlen. In Wien angekommen steht Martins aber allein da und so sucht er Lime in dessen Wohnung auf, wobei er erfährt, dass er von einem Auto überfahren worden ist und gerade beerdigt wird.
Nach der Beerdigung spricht ihn der Ich-Erzähler, Colonel Calloway, der für Scotland Yard arbeitet, an, und erzählt Rollo, dass Harry als Schieber gearbeitet habe. Rollo reagiert aggressiv auf diese Eröffnung und will der britischen Polizei beweisen, dass diese Anschuldigungen haltlos sind.
Im Hotel Sacher erwartet Rollo ein Mann namens Crabbin und ein auf den Namen Dexter gebuchtes Zimmer. Crabbin verwechselt Martins offenbar mit dem bekannten Autor Benjamin Dexter und lädt ihn für den übernächsten Tag zu einer Diskussion zum zeitgenössischen Roman ein - eine wirklich witzige Szene. Der Westernschreiber, der sich zu James Joyce äußern soll.

Zuvor erhält Rollo aber einen Anruf von Kurtz, angeblich ein Freund Harry Limes, der ihn kurz vor seinem Tod noch gebeten habe, sich um Rollo zu kümmern.
Sagte Calloway nicht, Lime sei sofort gestorben? Und wer ist die junge Frau, die am Grab gewesen ist? Der Reihe nach sucht Rollo alle am Unfall Beteiligten und einen Beobachter aus dem Haus auf. Neben dem Fahrer des Wagens, der Harry gekannt hat, und Kurtz stand auf der anderen Straßenseite Colonel Cooler, ebenfalls ein Freund Harrys. Doch der Beobachter hat neben diesen beiden, einen dritten Mann gesehen, der die Leiche Harrys ins Haus gebracht hat.
Wer ist der "dritte Mann"? War Harry wirklich in Schiebereien verwickelt? Welche Rolle spielen Cooler und Kurtz bei dem Unfall?
Antworten und ein echter Showdown warten uns ;)

Bewertung
Ein sehr spannender Krimi, in wunderbarer Sprache und mit trockenem Humor durchsetzt, wie die Beschreibung des Wiener Zentralfriedhofs beweist,

"ein Schneetoupet war über ein Engelsgesicht verrutscht, ein Heiliger trug einen dichten, weißen Schnurrbart, und ein Tschako aus Schnee saß in beschwipstem Winkel auf der Büste eines höheren Staatsdieners namens Wolfgang Gottmann." (S.27)

Der dritte Mann (S.190)
Die verschiedenen Zeitebenen sorgen für zusätzliche Spannung, da Colonel Calloway rückblickend von den Ereignissen erzählt, kann er Voraus- und Andeutungen machen, falsche Spuren legen und Ereignisse bewerten. Der Roman gibt aber auch einen authentischen Eindruck vom besetzen Wien, von der Aufteilung in vier Zonen - russische, amerikanische, britische und französische. Die mangelnde Zusammenarbeit der Russen mit den Westmächten deutet schon auf den kommenden kalten Krieg hin. Die düstere Atmosphäre wird in den Illustrationen wunderbar widergespiegelt, aber aufgelockert mit humoristischen Szenen.
Der Autor arbeitet bewusst mit Stereotypen, so ist der französische Soldat bei einer Festnahme völlig entspannt, der Amerikaner heldenhaft, der Brite Gentleman und der Russe rüpelhaft. Satirisch werden die den Nationen zugesprochenen Eigenschaften vorgeführt. Auch Harry Lime stellt sich als skrupelloser Schurke dar, dem es um schnelles Geld geht. Nur Rollo ist ambivalent - weder ein waschechter Held noch ein Feigling - auf jeden Fall ein Sympathieträger.
Jetzt freue ich mich auf den Film und kann all denen, die nur den Film kennen, diese Erzählung ans Herz legen.