Mittwoch, 27. Januar 2016

Hanni Münzer: Honigtot



Gesprochen von Anne Moll
Spieldauer: 13 Std. 27 Min. 
ungekürztes Hörbuch


Inhalt
Kurz bevor die Ärztin Felicity sich auf den Weg nach Kabul macht, verschwindet ihre Mutter Martha- eine ehemalige Nonne, nachdem sie das Zimmer ihrer eigenen Mutter in einem Pflegeheim ausräumen wollte. Felicity macht sie in Rom ausfindig, gebeugt über Zeitungsausschnitte und ein Notizbuch, das ihrer Mutter gehört hat. Ein Pater übersetzt für Felicitiy die Geschichte, die in eben jenem Buch in Hebräisch niedergeschrieben ist. Es scheint so, als ob Marthas Vater gar nicht ihr richtiger Vater gewesen sei. Und warum gibt es Zeitungsausschnitte von einem Gerichtsverfahren, auf denen Martas Mutter im Zuschauersaal zu sehen ist.
Das Geschehen springt dann in die Geschichte des Notizbuches, das in Romanform die Geschehnisse erzählt. Die Handlung setzt mit dem Hitlerputsch im Jahre 1923 in München ein und im Mittelpunkt stehen zunächst Marthas Großeltern bzw. Felicitys Urgroßeltern - Elisabeth Malbrandt sowie ihre Mann Gustav Berchinger. Elisabeth, eine erfolgreiche Sophranistin aus Österreicherin, entzückend bis erschreckend politisch naiv, trifft zufällig bei ihrer Freundin Helga Putzinger (reales Vorbild ist Helene Hanfstengel) Adolft Hitler, der sich nach seinem gescheiterten Putsch-Versuch dort versteckt hat.

Sie ist mit dem folgreichen Arzt Gustav geheiratet. Beide sind sich in inniger Liebe verbunden und bald gesellen sich zu dem jungen Glück die Kinder Deborah - Felicitys Großmutter sowie Wolfgang - das Wolferl.
Die 20er Jahre in München sind zwar bereits geprägt vom aufkommenden Nationalsozialismus, werden jedoch von der Familie Malbrandt durchweg freudig erlebt. Bis dann die ersten Repressalien gegen Juden auch den besten Freund Gustavs, Fritz Gerlich (eine historische Figur) treffen und eine Flucht aus Deutschland unumgänglich scheint. Gustav will 1938 über die Schweiz nach England zu seinem Bruder reisen, seine Frau - angeblich auf Konzertreise - nach London mit den Kindern folgen. Doch Gustav kommt nie in Zürich an. Elisabeth wirft ihre ganze Berühmtheit in die Waagschale und reist nach Berlin, um bei Göring selbst für ihren Mann zu bitten. Statt dessen geraten auch ihre Kinder in Haft und mithilfe des SS-Obersturmbannführer Albrecht Brunnmann (reales Vorbild: Adolf Eichmann, der Logistiker des Holocausts), dem Elisabetz zufällig begegnet, gelingt es ihr, dieses angebliche Missverständnis aufzuklären. Noch einmal hilft er ihr im September 1939 im Kampf um ihre Kinder, die im Deutschen Reich als Halbjuden in Gefahr sind, und schließlich heiratet sie, nachdem ihr Mann für tot erklärt wird - ihren "Retter". Doch im Jahre 1942 stirbt Elisabeth und Albrecht - ein vollendeter Kavalier ohne moralische Grundsätze - verführt Deborah - mit Hilfe seines Bruders und Pfarres Leopold, der dadurch das Wolferl sowie flüchtende Juden retten kann. Deborah - eine junge, labile Frau, die ihre Schmerzen, die sie durch den Verlust des Vaters und der beiden Inhaftierungen bzw. der knapp entkommenen Deportation erlitten hat, lindert, indem sie sich ritzt, findet in der leidenschaftlich sexuellen Beziehung zu Brunnmann ein Ventil für ihre Gefühle.
Dann lernt sie in Krakau Marlene kennen und die beiden werden Freundinnen. Es stellt sich heraus, dass Marlene, ebenso wie Deborah Halbjüdin ist und sich hinter ihrer oberflächlichen Art eine mutige, junge Frau verbirgt...(den Rest der Geschichte will ich an dieser Stelle noch nicht verraten).
Ganz am Ende schließt sich die Rahmenhandlung und Martha erfährt, warum ihre Mutter ihr gegenüber niemals echte Gefühle zulassen konnte und dadurch auch die Beziehung zwischen Martha und Felicity gelitten hat. Alle offenen Fragen werden beantwortet und zumindest für Felicity wendet sich alles zum Guten.

Bewertung
Meine Meinung zu diesem sehr erfolgreichen Roman über die NS-Zeit ist zweigeteilt. Die Geschichte Deborahs ist wirklich berührend und die Protagonistin ist mir ans Herz gewachsen. Meine Favoritin ist allerdings die Figur der Marlene, eine mutige Frau, die trotz aller Widrigkeiten ihren Lebenswillen nicht verliert. Ein wirklich starker Charakter! Auch viele Nebenfiguren sind facettenreich und sehr liebevoll gestaltet, wie z.B. das Hausmädchen Ottilie. Zu der Sympathie, die ich den Figuren entgegengebracht habe, trägt auch die Stimme Anne Molls bei, die die Geschichte ganz wunderbar liest. Genauso, wie sie die "Guten" sympathisch macht, werden die "Bösen" aufgrund der Art und Weise, wie sie die Dialoge gestaltet, umso verachtenswerter.
Die Geschichte ist immer dann sehr stark, wenn man das persönliche Schicksal der einzelnen Figuren miterleben kann - in Dialogen, erlebter Rede, detaillierten Beschreibungen.
Die zusammenfassenden Passagen fallen demgegenüber ab, und auch die geschichtlichen Hintergründe werden in Rückblicken so erklärend dargeboten, dass es teilweise an Geschichts"unterricht" erinnert. Die Wertung des Geschehens wird den Figuren dabei in den Mund gelegt, so dass es ich mich als mündige Leserin manchmal schon ärgert. Die getroffenen Aussagen sind nicht falsch, teilweise aber zu verallgemeinernd, z.B. "die Angst regiert Deutschland" (bezogen auf die erstarkende Macht der Nationalsozialisten) oder "Ein ganzes Volk verfiel dem Nationalsozialismus". Es gibt neben diesen Allgemeinplätzen jedoch auch viele individuelle Erinnerungen, z.B. von Gustav, die sehr berühren. Wenn er von seiner Aufgabe als Arzt auf dem Schlachtfeld von Verdun erzählt, entschädigt die behutsame Schilderung der Details dann wieder für die Geschichtsvorlesungen.

Die Zusammenfassungen werden dann im weiteren Verlauf des Romans weniger und das Schicksal Deborahs rückt in den Vordergrund- und das tut der Geschichte gut.
Insgesamt hat mir der Roman zwar gefallen und war letztlich sowohl informativ als auch berührend - aber mit der sprachlichen Gestaltung kann ich mich nur bedingt anfreunden.