Sonntag, 11. März 2018

Gerbrand Bakker: Jasper und sein Knecht

- Tagebuch aus der Eifel.

Momo mit "Jasper und sein Knecht"
Beim Stöbern auf der Suhrkamp-Verlagsseite ist mir dieser Titel deshalb ins Auge gesprungen, weil ein Hund darauf zu sehen ist. Wer meinen Blog kennt, weiß, dass ich selbst einen schwarzen Labrador und daher eine große Affinität zu Hunden habe. Als ich dann noch in den Informationen zum Buch gelesen habe, dass der niederländische Autor Gerbrand Bakker seinen Alltag in der Eifel, die nur eine Autostunde vom Hochwald - meiner Heimat - entfernt liegt, beschreibt, dachte ich, das könnte etwas für mich sein, obwohl ich zugegebenermaßen von Bakker noch keinen Roman gelesen habe - bis jetzt. Das muss und wird sich ändern.
Die vorliegende Autobiographie ist ein Tagebuch, das Bakker am 3. Dezember 2014 in Schwarzbach (Eifel) beginnt und am 14.März 2016, den Epilog eingeschlossen, beendet.

Bakker plaudert zunächst über seiner Familiengeschichte, erzählt von seinem Opa Bakker, den er sehr geliebt hat, aber auch von seinem Alltag in der Eifel. Seinen Spaziergängen mit seinem Hund Jasper, den Gesprächen mit Nachbarn Klaus und davon, dass der Film zu seinem Roman "Boven is het stil" (Oben ist es still) in den Niederlanden im Fernsehen läuft, er selbst hat sich in das Drehbuch überhaupt nicht eingemischt. Viel Raum nimmt sein Gartenkumpel Han ein, der ihn oft mit seinem Auto von der Eifel nach Amsterdam oder zurück mit nimmt - Bakker hat keinen Führerschein.

Dass er kein einfacher Zeitgenosse ist, wird am Eintrag vom 10.Dezember deutlich.

"Wenn ich Besuch habe, kann ich nichts mehr. Ich muss irgendwann lernen, einfach ein eigenes Leben weiterzuleben. (...) Manchmal stell ich mir vor, was es bedeutet, verheiratet zu sein, für jemanden wie mich, meine ich. Eine Katastrophe wäre das, Tag und Nacht auf Tuchfühlung. Niemals Ruhe, immer reden müsse." (S.21)

Im e-mail Kontakt mit einem Engländer, den ihm eine ehemalige Buchhändlerin vermittelt, offenbart Bakker seine Homosexualität und, dass er "ein nicht unkomplizierter Mensch sei." (S.38)

Er selbst sieht sich als schwarzes Schaf seiner Familie, er hat 2 ältere, 2 jüngere Brüder und eine Schwester, ist jedoch der einzige, der mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient. Neben den Romanen, die er verfasst hat, schreibt er Kolumnen für den Groene Amsterdam und für Trouw.

Warum verschlägt es einen niederländischen, renommierten Autor in die Eifel?

"Schon lange wollte ich fort aus der Stadt, wieder auf dem Land leben. Aber ich wusste auch, dass ich nicht in meine Heimatgegend zurückkehren durfte. Dort würde ich es nicht aushalten." (S.31)

Ich glaube, ich habe das Eifelhaus vor allem wegen des tausendsechshundert Quadratmeter großen Grundstücks genommen. Als ich es kaufte, war ich fünfzig undhatte erst kurz zuvor entdeckt, dass ich keine dreißig mehr war. Immer denkt man: Später, später kommt das alles, obwohl längst später ist." (S.135)

Seit Dezember 2012 wohnt Bakker in dem Haus in der Eifel, hat begonnen es zu renovieren und auch in den Jahren 2014/15 werkelt er eifrig daran weiter - Terasse, Steinmauer, neues Bad.
Viel Energie widmet er dem Garten, was daran liegen mag, dass er tatsächlich ausgebildeter Gärnter ist. Das Haus ist ein Rückzugsort, ein begrenzter Bereich, in dem er sich sicher fühlt und für sich sein kann. Indem er sich der Tatsache stellen kann, dass er seit fünf Jahren keinen Roman mehr geschrieben hat. Dieser "Krise" begegnet er, in dem er dieses Tagebuch schreibt.

"Jasper und sein Knecht"?

Sein Verhältnis zu Hunden und wie er seinen eigenwilligen Jasper gekommen ist, erklärt Bakker sehr ausführlich im Eintrag zu Weihnachten 2014. Fast beiläufig schildert er, dass der Irish Red Setter Tasja, mit dem er aufgewachsen ist, im Juni 1969 mit seinem kleinen Bruder Arien gemeinsam zum Wassergraben gelaufen sei und allein zurückkehrte - ein Ereignis, über das er später geschrieben habe und das für ihn aus diesem Grund "vollkommmen unscharf [ist], und ich weiß selbst nicht mehr, was ich erfunden habe und was nicht." (S.45)

Bakker glaubt, dass der Tod seines Bruders "mit einem vagen Schuldgefühl verknüpft ist, das [er] schon damals hatte und von dem [er] heute weiß, dass es selbst wiederum mit einer Depression verknüpft ist, [s]eine Begleiterin seit früher Jugend." (S.104)

Zurück zu Jasper:

Auf seinen Hund ist er über eine Internetseite gestoßen. Jasper ist eine Promenadenmischung aus Griechenland. Er entpuppt sich als echter Jagdhund, der, sobald Bakker ihn von der Leine lässt, verschwindet. Ein Hund, der "einen Knecht" hat und zunächst wenig Liebe gibt.
Wie sich die Erziehung Jaspers und das Verhältnis zu seinem Knecht gestalten, wird fast täglich so unterhaltsam und liebevoll von Bakker dokumentiert und kommentiert, dass Jasper auch mir als Leserin ans Herz gewachsen ist, obwohl er Labradore "aus tiefstem Herzen" hasst. (S.22)

Es gibt auch sozial verträglich Labradore, die keine 45 Kilo schwer sind (was definitiv zu viel ist) und angeleint werden, sobald ein anderer Hund in Reichweite ist ;)

Ist das alles?
Reden über Hunde, über das Schreiben, über errungene Preise, das Gärtnern, Vögel und die Nachbarn?

"Mich heimlich aber doch fragen, wann ich nun endlich auf die Geschichte meiner psychischen Verfassung zu sprechen komme. Das schiebe ich vor mir her, sicherer ist es jetzt, etwas über einen Cashin-Ofen zu schreiben und über Jasper und das Wetter und Haubenmeisen. Vögel sind etwas sehr Tröstliches." (S.89)

Behutsam nähert sich Bakker seiner eigenen (Leidens-)Geschichte, erst im 2.Teil des Tagebuchs stößt er zum eigentlich Kern vor und schreibt über seine Depressionen, über Phasen in seinem Leben, in denen er sich "verbraucht" fühlte.
"Von einem lebenslangen Kampf gegen >etwas<." (S.170)

Er berichtet von zwei einschneidenden Erlebnissen aus den Jahren 2011, da hätte er nach China reisen sollen, und 2013 zu einem Literaturfestival in Buenos Aires. Beide Reisen sagt er kurzfristig hat. In seinem Blog schrieb er zunächst nichts über seine Empfindungen:

"Was man nicht benennt, ist nicht wirklich." (320)

"Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir mein ganzes Leben wie eine Abfolge von Durchschleppphasen vor." (S.372)

Diese "Durchschleppphasen" arbeitet er in seiner Autobiographie auf, legt den Finger in die offenen Wunden und gibt sehr viel von sich Preis. Das, was Thomas Schaefer äußert:

"Wer dieses Buchliest, wird davon berührt" (Buchrückseite),

kann ich nur bestätigen - und das liegt nicht nur an Jasper. Bakker öffnet sich, schreibt schonungslos über seine Krankheit und wie er damit umgeht - und beobachtet sich selbst dabei so sorgsam wie seinen Hund Jasper, seine Nachbarn, seine Umgebung, die Vogel - und Pflanzenwelt der Eifel - mit Ernsthaftigkeit, aber auch mit Humor.

Was erfahren wir noch über Bakker?

  • Mitwirkender bei vielen Theateraufführungen
  • Diplom in Kulturarbeit, danach studierte er in Amsterdam Niederländisch mit dem Schwerpunkt Historische Sprachwissenschaft
  • erfolgreicher Eisschnellläufer, nach einer Verletzung Eisschnelllauftrainer
  • Bergsteiger
  • tätig als Untertitler unter anderem von "Reich und schön"
  • Begonnen hat er seine Schriftstellerkarriere mit etymologischen Wörterbüchern, was auch für die Leser*innen zu interessanten Erläuterungen von Vogel- und Pflanzennamen im Deutschen und Holländischen führt
  • wegen seines Geldmangels absolvierte er eine Ausbildung zum Gärtner, daher die profunde Kenntnis beim Bepflanzen seines Gartens
  • 2010 Gewinner des International DUBLIN Literary Award für "Oben ist es still"
  • Lunch bei der niederländischen Königin entpuppt sich als Enttäuschung
  • 2 Gläser Weißwein sind genau richtig
Diese Aufzählung könnte ich noch endlos fortsetzen, Bakkers Leben und Alltag sind alles andere als langweilig. Mich haben seine Reflexion über seine Krankheit, sein Schreiben und seine Vergangenheit neugierig auf die Romane gemacht.
"Oben ist es still" steht ganz "oben" auf meiner Wunschliste.

Eine sehr interessante Biografie, die zu Herzen geht.

Vielen Dank dem Suhrkamp-Verlag für das Lese-Exemplar.

Buchdaten
Taschenbuch, 445 Seiten
Suhrkamp, November 2017