tag:blogger.com,1999:blog-44467321351831320052024-03-02T11:19:16.345+01:00QuerleserinIch möchte auf meinem Blog alle möglichen Bücher und Hörbücher vorstellen - quer durch alle Genres -
ob Gegenwartsliteratur, Fantasy, Krimis, Liebesromane, historische Romane oder Romane gegen das Vergessen.
Viel Spaß beim Lesen! Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comBlogger396125tag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-45001852833132322392024-03-02T11:18:00.000+01:002024-03-02T11:18:31.915+01:00Daniel Mason: Oben in den Wäldern<div>Leserunde auf<a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-oben-in-den-waeldern.664/"> whatchaReadin</a></div><div><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgitJ17uw1GHFPn_fAtcRZzjHdDU6A_tFoUwhuyz0TsAga32ZnhWcwkFRHlrFtrbWyReiVt5RKrSgYtVA5KWhZCgrL6sbiqeFEd_6XDlmGSJkhOU6ZZ9JgTRtDWX6mhFajB_BgXQaF-eqvaO28fu3lPGK0tY2Hp4ZhI4N05ZcSFwKRR4XY557SvYCAC8mNi/s4032/IMG_3964.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgitJ17uw1GHFPn_fAtcRZzjHdDU6A_tFoUwhuyz0TsAga32ZnhWcwkFRHlrFtrbWyReiVt5RKrSgYtVA5KWhZCgrL6sbiqeFEd_6XDlmGSJkhOU6ZZ9JgTRtDWX6mhFajB_BgXQaF-eqvaO28fu3lPGK0tY2Hp4ZhI4N05ZcSFwKRR4XY557SvYCAC8mNi/s320/IMG_3964.HEIC" width="240" /></a></div>Dieser ungewöhnliche Roman von Daniel Mason hat mich zu Beginn völlig bezaubert, da ein Ort, ein Haus, eine Landschaft im Mittelpunkt stehen.<div>Mit rasantem Tempo beginnt die Story, zwei Liebende fliehen wegen ihrer ungebührlichen Liebe aus einer Kolonie in die Berge und finden einen Ort, an dem sie bleiben möchten. Die Handlung beginnt Mitte des 18.Jahrhunderts, spielt in den Wäldern von Massachutsetts.</div><div>Dann folgt ein Brief, den eine Frau aus eben jener Kolonie geschrieben hat, die die Liebenden verlassen haben. Sie wird gemeinsam mit ihrem Säugling von Indianern verschleppt. (Der Begriff wird im Roman verwendet, da er die entsprechende Epoche charakterisiert. Darauf wird in einer editorischen Notiz hingewiesen, S.429).</div><div>Diese Frau gelangt zu eben jenem ersten Haus und trifft eine inzwischen alte Frau vor, die sich um sie und ihr Baby kümmert. <br />Um noch mehr Blutvergießen zu verhindern, töten sie drei weiße Soldaten, die vorhaben, ein Dorf der Ureinwohner anzugreifen. Dabei stirbt die alte Frau (die Liebende) und die andere verlässt den Ort mit ihrem Kind, nachdem sie ihre Geschichte, also den Todesengel-Brief, in einer Bibel niedergeschrieben hat, die am Ende des Romans noch einmal eine Rolle spielen wird.<br /><br /><br />Der Verwesungsprozess der drei Soldatenleichen wird sehr plastisch beschrieben - aus dem "Herzen" des einen Soldaten wächst ein Apfelbaum. Dieser Apfelbaum hat wiederum einen ehemaligen Soldaten bewogen genau dort eine Apfelplantage zu gründen. Charles Osgood macht das Haus in den Bergen und auch den Garten zu einer Art Paradies, auf das immer wieder Bezug genommen wird. In einem Brief, den er seinen beiden Mädchen schreibt, erfahren wir, wie es ihn an jenen Ort verschlagen hat und wie das neue Haus entstanden ist. Im folgenden Kapitel wird aus der Sicht seiner Tochter Alice, die gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Mary die Plantage übernommen hat, erzählt, wie sie in dem Haus aufgewachsen sind, wie ihr Leben verläuft und auch, wie es zu Ende geht.</div><div>Dieser Wechsel aus traditionell erzählten Passagen aus jeweils einer personalen Perspektive, aus Briefen, aus Balladen, die jeweils kleine Puzzleteile liefern, um die ganze Geschichte zusammensetzen zu können und auch Sprichwörtern, die kommentiert werden sowie Bildern ist sehr ungewöhnlich und originell. <br />Neben den unterschiedlichen Genres hat auch jeder Abschnitt einen der jeweiligen Epoche angepassten Stil - insofern ist die Aussage auf dem Buchrücken, es sei ein "sprachmächtiger spannender Roman" zutreffend.</div><div><br /></div><div>Das nächste Kapitel besteht aus Briefen von William Henry Teale (Maler) an Erasmus Nash (Autor). Obwohl beide sehr authentisch geschildert werden, sind sie (leider) fiktiv.<br />Teale hat das Haus der Osgoods von einem ihrer Nachfahren gekauft, verändert und vergrößert, das ursprüngliche wird sogar verschoben, aber nichts abgerissen:<br /><br />"Hier draußen reißt sowieso niemals jemand etwas ab - man fügt immer nur hinzu, agglutiniert, Haus an Haus, Schuppen an Schuppen, wie ein monströses deutsches Substantiv." (S.167)<br /><br />In dieser Aussage beschreibt Mason den Aufbau seines Romans. Schicht für Schicht entsteht das Haus und wir lesen die Geschichten, die zu den Veränderungen geführt haben. Es wird immer wieder etwas hinzugefügt. Gleichzeitig knüpft er immer wieder an vorangegangene Kapitel an und offene Fragen klären sich. Dadurch wird deutlich, dass alles miteinander verwoben ist. Sogar die Toten bleiben, Geister, die dem Haus und der Natur verbunden bleiben. Sie verleihen dem Roman das Märchenhafte. Aber wer weiß schon, was nach dem Tod geschieht?</div><div><br /></div><div>Nicht nur das Haus unterliegt dem Wandel der Zeit, sondern auch die Natur verändert sich. In Zwischenkapiteln wird dargestellt, wie auch Kleinstlebewesen vieles verändern können.</div><div><br /></div><div>Die Handlung erstreckt sich bis in die Gegenwart und sogar in die Zukunft hinein. Was wird bleiben, von dem Haus, der Umgebung, den Menschen, die es bewohnt haben?<br /><br /><div><div>Ein faszinierender Roman, der mehrere Genres und Stile gekonnt zu einem organischen Ganzen vereint und darüber hinaus sehr unterhaltsam ist.</div><div><br /></div><div>Für mich ein Lesevergnügen!</div><div><br /></div></div></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-10454855608830130782024-02-09T16:40:00.001+01:002024-02-09T16:40:19.991+01:00Markus Gasser: LilDie Rache ist mein!<br />Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-lil.661/">whatchaReadin</a><br /><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEji19H1THZOz5sPF_qF6Gpt-XJ2KmqojtqK6HS0jY7c1gW9lPnzSGZqg1Z4hYPD5FPt8XK3lJOnW9PIP6PJvFM-nXUohHiefDrsSK0wWFYFONwAK8s3qnObItqqYehrxa4-ArgdVL7sM6b6cwoFNOchSVxez66m8PFqlQsbtsr9PfDhyZ3Q_PDVKR-ba0qJ/s4032/IMG_3938.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEji19H1THZOz5sPF_qF6Gpt-XJ2KmqojtqK6HS0jY7c1gW9lPnzSGZqg1Z4hYPD5FPt8XK3lJOnW9PIP6PJvFM-nXUohHiefDrsSK0wWFYFONwAK8s3qnObItqqYehrxa4-ArgdVL7sM6b6cwoFNOchSVxez66m8PFqlQsbtsr9PfDhyZ3Q_PDVKR-ba0qJ/s320/IMG_3938.HEIC" width="240" /></a></div>Am Anfang des Romans war ich sehr verwirrt, sowohl Klappentext als auch Buchrücken und nicht zuletzt das Cover suggerieren, dass es sich bei Lillian Cutting um eine historische Persönlichkeit handelt. Nach erfolglosem Googeln habe ich die<br />Ankündigung genauer gelesen und mir ist bewusst geworden, dass sie eher exemplarisch für eine erfolgreiche Frau in einer männerdominierten Welt steht, die von ihrem Sohn schamlos auf Seite geräumt wird.<br /><br />Die Handlung beginnt mit der Nachfahrin Lils – Sarah, die eine Hirntumor-Operation und eine Strahlentherapie hinter sich hat und der es so miserabel geht, dass sie mit Selbstmordgedanken spielt. Doch dann meldet sich ihr Chefredakteur freudig bei ihr, dass ein Brief von Lil Cutting gefunden wurde, der sozusagen den Ausschlag dafür gibt, dass Sarah wieder zum Leben erwacht und beginnt die Geschichte ihrer Urahnin niederzuschreiben.<br /><br />„Aber dieser eine Brief Lil Cuttings an Colby Sandberg, ein schief beschriebenes Blatt voller Angst und Zorn, war das letzte, erschütternde Dokument, das mir zu dieser Geschichte gefehlt hatte. Jetzt bin ich sie uns schuldig.“ (S.10)<br /><br />Und so beginnt Sarah im ständigen Dialog mit ihrer Hündin Miss Brontë die unglaubliche Geschichte Lils niederzuschreiben.<br />Die Gespräche mit der Hündin markieren die Gegenwart, die Nachfragen Miss Brontës erhellen die Geschichte und bringen gleichzeitig einen ironischen Ton in die Handlung – ich finde diese Idee wundervoll.<br /><br />Wer war Lillian Cutting?<br />„Allgemein bekannt ist, dass die Millionenerbin Lillian Cutting um 1880 mit ihren exzentrischen Investitionen ganz New York in besorgtes Erstaunen versetzte. Sie vermehrte ihr Vermögen nach einer Logik, die den Experten verrückt und selbst dem Börsenprofi John D. Rockefeller wie Schwarze Magie vorkam.“ (S.12)<br />So erfolgreich darf eine Frau nicht sein, denn sie beleidigt „jeden Sinn für Proportion, Anstand, Geschmack“, sie maßt sich ein Leben an, „das ihr als Frau nicht zustand.“ (S.12)<br /><br />Im Mittelpunkt dieses Romans voller Esprit steht für mich das Bestreben, die Geschichte einer Frau zu erzählen, die es gewagt hat, erfolgreicher als die Männer zu sein, die ihren eigenen Weg geht und sich nicht um Konventionen schert - und das muss, nach Meinung der damaligen Gesellschaft bestraft werden, weil sie sich nicht anpassen will.<br /><br />Ihrem Sohn, der nach dem Tod des Vaters an das ganze Erbe herankommen möchte, gelingt es, sie mit üblen Tricks in der Nervenheilanstalt „Hops Island“ unterzubringen, in der sie unter Morphium gesetzt wird und dem behandelnden Doktor Matthew Fairwell ausgeliefert ist, ein besonders perfider Vertreter eines „Psychiaters“, dessen unmenschliche Untersuchungsmethoden leider in dieser Zeit üblich sind. Da helfen Miss Brontës Einlassungen und der saloppe Ton, den Sarah anschlägt, sonst könnte man das kaum ertragen.<br /><br />Die Anwältin Colby Sandberg, die als gleichberechtigte Partnerin mit ihrem Mann zusammenarbeitet und ebenfalls von der feinen Gesellschaft New Yorks mit Verachtung gestraft wird, wird auf den Fall Lillian Cutting aufmerksam und besucht sie im Sanatorium. Sofort ahnt sie, dass Lil gegen ihren Willen festgesetzt wird. Was folgt ist eine märchenhafte anmutende Geschichte, in der Lil letztlich ihrem Namen "Lil the Kill" alle Ehre macht – doch wie es dazu kommt, möchte ich nicht vorwegnehmen, denn die Lektüre macht unglaublich viel Spaß. Vieles, was man über die Nervenheilanstalt liest, mag man allerdings nicht glauben und doch ist es wissenschaftlich belegt, ebenso das Verhalten der sogenannten höheren Gesellschaft gegenüber einer erfolgreichen Frau.<div>Warum Sarah unbedingt die Geschichte ihrer Urahnin erzählen möchte, erschließt sich am Ende des Romans und auch das ist unglaublich, aber nach verlässlicher Aussage des Autors, der die Leserunde mit seinen Kommentaren bereichert hat, tatsächlich so geschehen.</div><div>Für mich ein Roman, der unterhält, aber auch erschüttert - so soll es sein.</div><div>Klare Leseempfehlung!</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-5577278278488351082024-01-21T12:45:00.002+01:002024-01-21T12:45:25.202+01:00Iris Wolff: Lichtungen<br /><div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjog1xPyFt07_q_et_ypMgF9B-jNPN_LSFwx22LKFQSpPU2X42U9YEM5xgkdDsqqQ9AE-55hf1Qd2DgDflw3fqRg_e73R9LNT-xcW72oLoyjOE2X3eJe9moOcFJj3lnu2BXJwWEMRjniZqxH8f4IyV2U96LsWAdvlOYl4v3mea02rVqYATTzDfgSV9ehIJ4/s4032/IMG_3902.HEIC" imageanchor="1" style="clear: right; float: right; margin-bottom: 1em; margin-left: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjog1xPyFt07_q_et_ypMgF9B-jNPN_LSFwx22LKFQSpPU2X42U9YEM5xgkdDsqqQ9AE-55hf1Qd2DgDflw3fqRg_e73R9LNT-xcW72oLoyjOE2X3eJe9moOcFJj3lnu2BXJwWEMRjniZqxH8f4IyV2U96LsWAdvlOYl4v3mea02rVqYATTzDfgSV9ehIJ4/s320/IMG_3902.HEIC" width="240" /></a></div>"Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen.“ (S.76)</div><div><br /></div><div>Der Protagonist Lev ist zu Beginn der Handlung ca. Mitte-Ende 30 und arbeitet in einem privatisierten Sägewerk in Rumänien. Geboren im kommunistischen Vielvölkerstaat während der Diktatur Ceaușescus, stellt er sich als Kind die Frage "was er sei. (...) Bei einer siebenbürgisch-sächsischen Mutter, einem rumänischen Vater und einem österreichischen Großvater sei die Sache nicht so einfach." (S.232)</div><div>Für Iris Wolff, die selbst mit ihrer Familie 1986 Siebenbürgen Richtung Deutschland verlassen hat, ist die Frage der Zugehörigkeit ein zentrales Thema des Romans.</div><div>Die Unsicherheit, welche Identität er hat, bestimmt Levs Leben und weckt in ihm den Wunsch nach Konstanz und Sicherheit. Auch ein tragische Unfall in seiner Kindheit sowie der frühe Verlust seines Vaters führen zu diesem Wunsch und prägen entscheidend sein Leben.</div><div><br /></div><div>"Lev hatte kaum <b>Erinnerungen</b> an seinen Vater, der bei einem Bergrutsch verunglückte, als er fünf Jahre alt gewesen war." (S.240)<br /><div><br />Diese wenigen Erinnerungen sind wie "Lichtungen", immer wieder taucht dieses Motiv des Titels in den einzelnen Kapiteln auf, die die prägenden Situationen aus Levs Leben, an die er sich erinnert, erzählen.</div><div><br /></div><div>"Jeder Augenblick (...) enthielt alles Gewesene, und war doch immer wieder ein Neubeginn." (S.34)</div><div><br /></div><div>Als Leserinnen und Leser steigen wir mit einem Neubeginn ein.<br /><br /><div>„Dieselgeruch, Lautsprecherdurchsagen, vom Wind zerhackt; er war so stark, dass sie sich schräg gegen ihn lehnen konnten, mit aufgeblähten Shirts, flatternden Hosen, Brausen in den Ohren, im Kopf, im Körper. Noch Minuten später, im Inneren der Fähre, war dieses Brausen zu spüren, ein Nachbeben, Nachklang, und Lev dachte unwillkürlich daran, wie Sägeblätter in eigenwillig-summendem Takt nachschwangen, wie der Boden mit einem Mal ruhig wurde, und das Sägemehl, das über der Maschine schwebte, herabfiel – leicht verzögert, verwundert, von der Schwerkraft überrascht.“ (S.9)<br /><br />Wir erfahren, dass Kato, Levs Freundin seit Kindertagen, die Rumänien nach der Öffnung der Grenzen verlassen hat und als Straßenkünstlerin ihr Geld verdient, ihn zurück nach Rumänien begleiten wird.</div><div><br />„Wir reisen gemeinsam zurück?“ (…) „Ja“, sagte Kato. Einfach nur: Ja. Das reichte ihm für den Moment.“ (S.11)</div><br />Auch wir reisen zurück, denn Iris Wolff erzählt Levs Leben bis zu jenem Moment rückwärts in neun Kapiteln. Dabei ist jedem Kapitel ein passendes Zitat vorangestellt, das im Zusammenhang mit der Handlung steht und diese sozusagen beleuchtet.</div><div><br />Aufgrund der Erzählweise liegt der Fokus in Bezug auf Kato und Lev, wie es zu dem Moment kommt, da sie mit ihm zurückkehren möchte. Warum ist sie ohne ihn in den Westen? Wie ist es dazu gekommen, dass sie ihm geschrieben hat, er solle kommen. Warum hat er sie nicht vorher besucht?</div><div>Sukzessive tauchen wir in Levs Vergangenheit ein, aus seiner personalen Perspektive wird seine Geschichte erzählt, die mit Katos eng verknüpft ist. </div><div>Schritt für Schritt entblättert sich sein Leben vor uns, bis wir in seiner seiner frühen Kindheit angelangen. Obwohl man weiß, dass es zwischen Lev und Kato eine Art "Happy End" gibt, liest man doch mit Spannung, entdeckt die verschiedenen Figuren in Levs Leben, welche Bedeutung sie für ihn haben und welchen Einfluss sie auf ihn ausüben. Manches bleibt vage und wird nicht erklärt.</div><div><br />„In allem gab es diese Dunkelstellen, wo die Erfahrung aufhörte und die Erinnerung anfing. Etwas blieb, und etwas ging verloren, manches schon im Augenblick des Geschehens, und wie sehr man sich auch bemühte, es tauchte nie wieder auf."</div></div><div><br /></div><div>Insgesamt ein wunderbarer Roman, der von einer besonderen Freundschaft erzählt, von der Frage nach der eigenen Identität und danach, was uns im Leben prägt - und das in einer außergewöhnlichen metaphorischen Sprache. Iris Wolff verfügt über eine besondere Beobachtungsgabe, lässt mit ihren Worten sofort Bilder im Kopf entstehen, die es mir leicht machen in diese Geschichte einzutauchen.</div><div>Auch das liebevoll gestaltete Cover sorgt dafür, dass man dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. </div><div><br /></div><div>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-lichtungen.658/">whatchaReadin</a></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-75424334274056628542024-01-07T11:47:00.001+01:002024-01-07T11:47:28.502+01:00Bernhard Schlink: Das späte Leben<p> Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-das-spaete-leben.656/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiwSrjguwdojwlXQE_2PZhAxGVcrzClwA2cZRvkSsOpWGWzY0zs7y6pzVKd1QrX8UGaaFhP9Ww0RHQzYbZzdIKmht-EM7wfnFdVs1wxEJFUI4kamZWtKJQBuBNopW9d3vBacJua_1S6z2uYGt11oLl56tgXLx3etqrwG2yY5sFDjA-BNa3aaOmhtPN3F-Ko/s4032/IMG_3822.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiwSrjguwdojwlXQE_2PZhAxGVcrzClwA2cZRvkSsOpWGWzY0zs7y6pzVKd1QrX8UGaaFhP9Ww0RHQzYbZzdIKmht-EM7wfnFdVs1wxEJFUI4kamZWtKJQBuBNopW9d3vBacJua_1S6z2uYGt11oLl56tgXLx3etqrwG2yY5sFDjA-BNa3aaOmhtPN3F-Ko/s320/IMG_3822.HEIC" width="240" /></a></div><b>Spät </b>wird Martin, Juraprofessor, Vater - erst mit 70 Jahren. Seine Frau Ulla ist Mitte 40.<div><br /></div><div>"Die zwölf Jahre seit der Hochzeit waren gute Jahre. Sie kauften ein kleines Haus mit Garten am Rand der Stadt. Ulla schloss das Studium ab, verlegte sich ganz aufs Malen, fand ein Atelier und eine Galerie, in der sie ausstellte und immer wieder aushalf, und bekam vor sechs Jahren David. Er lehrte bis siebzig an der Universität und schrieb danach weiter, wandte aber immer mehr Zeit an David und an den Garten und ans Kochen. Er nahm das Leben mit Ulla, dem Sohn und den verbliebenen Tätigkeiten als Geschenk, dem man nicht ins Maul schaut." (S.24)</div><div><br /></div><div>Doch jetzt ist diese Zeit vorüber, denn Martin leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs - unheilbar. Ihm bleibt ohne Therapie noch maximal noch ein halbes Jahr</div><div>Ein Kritikpunkt in der Leserunde war die mangelhafte Recherche und infolgedessen die fehlende Expertise im medizinischen Bereich. Von der Tatsache, dass alle Entscheidungen vom Hausarzt gefällt werden, Therapiemöglichkeiten nur unzureichend diskutiert werden bis hin zur fragwürdigen Medikation bei Krebs - all das interessiert Schlink offenkundig nicht, zerstört jedoch die Glaubwürdigkeit der Geschichte.</div><div>Ihm geht es ausschließlich darum, wie ein alter Mensch reagiert, im Angesicht dessen, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Was soll er seinem Sohn mit auf den Weg geben, was möchte er hinterlassen? Kann er seinen Lebensweg überhaupt noch beeinflussen? Oder muss er das Leben loslassen?</div><div>Schade, dass er das Klischee des alten Mannes mit jüngerer Frau bedient hat. Kann man nicht auch das Bedürfnis haben, seinen Enkeln etwas hinterlassen zu wollen?</div><div><br /></div><div>Die Reaktion seiner jüngeren Frau auf seine Diagnose mutet seltsam kühl und unempathisch an, sofort gerät sie ins Tun:</div><div>"Was willst du jetzt machen?" (S.26)</div><div>Sie wird als pragmatisch, nüchterne Frau beschrieben, die ohne Vater aufgewachsen ist. Er habe die Familie verlassen, als sie noch sehr klein gewesen sei, berichtet Ulla Martin und betont gleichzeitig, dass sie keinen Vaterersatz gesucht hat. Trotzdem begibt sich Martin auf die Suche nach Ullas Vater? Ist es der Wunsch Gutes zu tun, noch ein letztes Mal Einfluss zunehmen oder ist es übergriffig, dies ohne ihr Wissen zu tun?</div><div><br /></div><div>Ulla bringt Martin auf die Idee, David einen Brief zu schreiben, der wortwörtlich von Gott (und der Welt) handelt. Es geht um sein Verhältnis zur Religion, um die Gerechtigkeit der Liebe, um einen gerechten Gott.</div><div>Zunächst ist dieser Brief sehr unpersönlich, es scheint fast so, dass Schlink seine persönliche Meinung zu diesen Themen im Roman hinterlassen möchte.</div><div>Allerdings wird Martin bewusst, dass er mit dem Brief David auch eine Gewissheit mitgeben will:</div><div>"Die Jahre mit ihm und die Erinnerung an die Jahre mit ihm sollten für David ein Grundstock an Gewissheit werden, dass er geliebt war. Er sollte sich jetzt als kleiner und später als großer Mensch nicht anstrengen müssen, um sich angenommen und aufgehoben zu wissen. Die Gewissheit, geliebt zu sein, sollte bei den Anstrengungen des Lebens beflügeln, nicht Belohnung für sie sein." (93f.)</div><div>Auch in seinem Handeln wird dieses Bestreben offensichtlich. Martin nutzt die Zeit mit seinem Sohn intensiv, er unternimmt eine Wanderung, legt gemeinsam mit ihm einen Komposthaufen an, kümmert sich um ihn, allerdings bereitet er David kaum auf seinen bevorstehenden Tod vor, auch Davids Mutter tut dies nicht.</div><div>Zugute halten muss man dem Protagonisten, dass er am Ende die gemeinsame Zeit am Meer ausklingen lässt, intensive Tage mit seiner Familie verbringt, das Leben laufen lässt. Und auch die Leser:innen werden auf den letzten Seiten etwas versöhnt. Das Ende Martins erspart uns der Autor glücklicherweise.</div><div><br /></div><div>Während man Martins Verhalten, aus dessen personaler Perspektive die Handlung geschildert wird, teilweise nachvollziehen kann, ist Ullas Handlungsweise oft nicht verständlich. Ob es ihre Reaktionen auf Martins Brief, den sie wie selbstverständlich liest, noch seine Vorschläge in Bezug auf David noch ihre Verhaltensweisen außerhalb ihrer Familie sind, die Figur wirkt nicht authentisch und nicht in sich schlüssig.</div><div><br /></div><div>Insgesamt fällt meine Bewertung für einen von mir sehr geschätzten Autor eher bescheiden aus. Der Roman liest sich gut - aber ist das ein Qualitätsmerkmal? Es sind sehr viele Wendungen, die ebenfalls in dieser Dichte unglaubwürdig sind.<br />Schlink hätte sich auf das Thema des herannahenden Todes und den Fragen konzentrieren sollen, was bleibt von mir, was möchte ich hinterlassen, kann ich das Leben meiner Lieben noch lenken oder muss ich es loslassen. Wenn es in den Szenen und in Martins Gedanken darum geht, zeigt der Roman seine Stärke.</div><div><br /></div><div><br /></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-72093107446487803562023-11-25T12:02:00.005+01:002023-11-25T12:08:10.079+01:00Charles Lewinsky: Rauch und Schall<p> - das Denkmal Goethe wackelt</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-rauch-und-schall.652/">whatchaReadin</a></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjq-8vG9inB-MsZGDTGvnSJfa90Xi5dbwGH_wsF70Ajkue85rFCkFuil-a3oKQwU1Fwy8vR7DXFf4IGj6bGYIPN0ms1pjqb5YpArRx1pi6xMsGLja6PE75cTYAkC7Jv21Bi9P3Ed2lKoCyzhUCqHjoqcaesLcDHaaIZrFazE4tgru5-FbofPMkBW59kGY-7/s4032/IMG_3618.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjq-8vG9inB-MsZGDTGvnSJfa90Xi5dbwGH_wsF70Ajkue85rFCkFuil-a3oKQwU1Fwy8vR7DXFf4IGj6bGYIPN0ms1pjqb5YpArRx1pi6xMsGLja6PE75cTYAkC7Jv21Bi9P3Ed2lKoCyzhUCqHjoqcaesLcDHaaIZrFazE4tgru5-FbofPMkBW59kGY-7/s320/IMG_3618.HEIC" width="240" /></a></span></div><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Welch genialer Anfang: </span><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Goethe hatte Hämorrhoiden." (S.7)</span><p></p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Der große Dichterfürst, bewunderter Klassiker wird von einer so unsäglichen Krankheit geplagt. Goethe wird in diesem Roman von Lewinsky von seinem Sockel gestoßen und</span><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;"> als Mensch dargestellt - etwas arrogant, sehr von sich eingenommen.</span><div><span style="background-color: white;">Gerade auf dem Rückweg von seiner Schweizer Reise 1797 wird er in der Kutsche durchgeschüttelt und leidet. Zudem muss er feststellen, dass er eine Schreibblockade hat. Die bedeutungsschweren Sentenzen, die leichten Verse, nichts gelingt ihm mehr. Zurück in Weimar wartet der Herzog auf das für seine Frau bestellte Festgedicht - doch die Verse wollen nicht fließen,</span></div><div><span style="background-color: white;">"als hielten ihm tausend Dämonen die Hand fest und hinderten ihn daran, auch nur einen Buchstaben zu Papier zu bringen, dass die Gedanken schneller vor ihm flohen, als er sie erspähen konnte" (S.46).</span></div><div><span style="background-color: white;">In seiner Verzweiflung nimmt Goethe das Angebot des Vielschreibers Christian August Vulpius, Bruder seiner Geliebten Christiane, an und lässt sich von ihm das Festgedicht schreiben. Und das, obwohl er ihn dafür verachtet, Literatur zur Unterhaltung zu verfassen - heute würde man sagen Belletristik oder Massenliteratur.</span></div><div><span style="background-color: white;">Und doch ist es gerade Vulpius, der ihm zu helfen vermag und ihm letztlich die Weiterarbeit am Faust ermöglicht - das zumindest ist Lewinskys Version, der laut Klappentext "minuziös recherchierte Fakten, versetzt mit fantasievollen Lügen" zusammengefügt hat.</span></div><div><span style="background-color: white;">Nebenbei nimmt er die höfische Gesellschaft Weimars aufs Korn und zeichnet Christiane als lebenstüchtige, pragmatische Frau, die ihren Bruder und Goethe geschickt zusammenbringt.</span></div><div><span style="background-color: white;">In bilderreicher Sprache, im Ton Goethes mit vielen Bezügen zur griechischen Mythologie und intertextuellen Verweisen unterhält Lewinsky die Lesenden. </span></div><div><span style="background-color: white;">Neben der guten Story überzeugt v.a. die Komik vieler Szenen, die teilweise Slapstick-Charakter haben. Ich musste tatsächlich beim Lesen öfter lachen.</span></div><div><span style="background-color: white;"><br /></span></div><div><span style="background-color: white;">Eine klare Lese-Empfehlung, nicht nur für Goethe- und Lewinsky-Fans.</span></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-67388215251919204322023-10-25T12:24:00.000+02:002023-11-24T18:05:26.104+01:00Alex Schulman: Endstation Malma<p><br /> "Ein Zug, drei Menschen und ihre miteinander verwobenen Schicksale" (Klappentext)</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-endstation-malma.647/">whatchareadin</a></p><p><a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-endstation-malma.647/"></a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgXliasDrRbFTXI2k9wSTIzbcTbzKIz3wGk3iLPC9qZT7LsOch2kAQr2wm9r3AAMGYqDL6O-Ub_yq4Mv-ui5iVAO0MiFhhwjykINGqLaGt14L6phrFzznKx-YXz_kKFHMDPaHcRe47Ruxy0CvLldndQfWjdSoiiasFwlf26XACq9hhMCHUpxianlZ-y4Pc6/s4032/IMG_3433.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgXliasDrRbFTXI2k9wSTIzbcTbzKIz3wGk3iLPC9qZT7LsOch2kAQr2wm9r3AAMGYqDL6O-Ub_yq4Mv-ui5iVAO0MiFhhwjykINGqLaGt14L6phrFzznKx-YXz_kKFHMDPaHcRe47Ruxy0CvLldndQfWjdSoiiasFwlf26XACq9hhMCHUpxianlZ-y4Pc6/s320/IMG_3433.HEIC" width="240" /></a></div><p></p><p>Der 3.Roman von Alex Schulman ist ebenso meisterhaft komponiert wie die beiden Vorgänger "Die Überlebenden" und "Verbrenn all meine Briefe". </p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Zunächst glaubt man, alle drei Figuren, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird, säßen im gleichen Zug mit der <b>Endstation Malma</b>.</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">- Harriet mit ihrem Vater, der seine Fototasche dabei hat, samt einer Urne</span></p><p><span style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">- Oskar und seine Frau, die im Zug nach Malma sitzen, während sie schläft</span></p><p><span style="background-color: white;"><span style="color: #141618;"><span style="caret-color: rgb(20, 22, 24);">-Yana, eine junge Frau, die ebenfalls im Zug nach Malma, um etwas herauszufinden.</span></span></span></p><p><span style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Der Autor führt uns auf die falsche Fährte, erst im 3.Kapitel, realisiert man, dass die drei Handlungsstränge zeitlich versetzt sind:</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Ninchens Beerdigung, August 1976, und darunter der Name ihrer Mutter: Harriet." (S.59) Im Folgenden werden die Fotos beschrieben, die auf der ersten Reise nach Malma im Jahr 1976 entstanden sind.</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Es gab mehrere Reisen nach Malma. Die erste fand in den Siebzigerjahren statt. Da war ihre Mutter noch ein Kind und fuhr mit ihrem Vater dort hin, um jemanden namens Ninchen zu beerdigen - ein Haustier vielleicht? (Harriet-Kapitel)</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Die zweite Reise erfolgte am 17.September 2001. Ihre Mutter war erwachsen und todunglücklich in der Beziehung mit ihrem Vater." (S.60) (Oskar-Kapitel)</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Und das hier ist die dritte Fahrt." (S.60) (Yana-Kapitel)</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Erneut vermag es Schulman mit einer ungewöhnlichen Komposition zu begeistern.</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Neben der Zugreise nach Malma gibt es noch einen anderen roten Faden, der die verschiedenen Handlungsstränge zusammenhält: die schwierige Tochter-Vater-Beziehung, unter der sowohl Harriet als auch Yana leiden. Beide haben Angst ihre Väter zu verärgern, können sich nicht entfalten, leben in der Stille einer fehlenden Kommunikation. Allerdings zeigt sich, dass Harriets Vater sie durchaus geliebt hat, nur nicht imstande gewesen ist, es ihr zu zeigen. Auch Oskar fragt sich, warum er seine Tochter verliert, doch seine ungezügelte Wut verhindert, dass die beiden zueinander finden.</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Beide Mädchen, Harriet und Yana, wurden von ihren Müttern verlassen. Warum verlässt ausgerechnet Harriet, die selbst unter der Trennung von der Mutter zu leiden hatte, ihre eigene Tochter. Das ist eines der Geheimnisse sein, die es zu ergründen gilt und das sich am Ende auflöst.</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Während der Zugfahrten erinnern sich die drei Reisenden an Ereignisse aus ihrer Vergangenheit. Kapitel für Kapitel entfaltet sich das Bild der dysfunktionalen Familie.</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Die Kindheit ist eine unbegreifliche Installation, genau wie ein modernes Kunstwerk. Sinnlos und überflüssig. Man möchte die ganze Scheiße am liebsten zertreten." (S.230)</span></p><p><span style="background-color: white;">Ein Satz, den Oskar denkt und der exemplarisch für alle Protagonist:innen gilt. Wie traurig, denn eigentlich sollte doch die Kindheit ein Ort der seligen Erinnerung sein.</span></p><p>Dieses Zitat bringt für mich zum Ausdruck, was alle Protagonisten erlebt haben. Ob Oskar, der unter der mangelnden Berührung seiner Mutter gelitten hat, oder Harriet und Yana, die mit schweigenden und jähzornigen Vätern aufwachsen müssen, sie alle erleben keine glückliche Kindheit. Welche Folgen das hat, kann man am besten an Harriet sehen, die Dreh-und Angelpunkt der Geschichte ist. Die sich immer wieder „you are not alone“ (Yana) vorsagen muss, um einen Halt zu finden. <span style="background-color: white;">An Harriets Figur wird die Frage aufgeworfen, inwiefern ihre Kindheit ihr Verhalten als Erwachsene rechtfertigt.</span></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Die geraden Linien von der Kindheit bis in die Gegenwart hinauf, alles, was man jetzt ist, kann und muss durch das erklärt werden, was einem früher widerfahren ist. (...) Und man ist selbst niemals schuld, man ist immer nur das Opfer der Fehler und Schwächen anderer." (S.233)</span></p><p>Harriet sieht sich als Opfer, sucht die Entschuldigung in ihrer Vergangenheit, deshalb auch die 2.Reise nach Malma. Yana beschreibt das Verhältnis ihrer Eltern sehr treffend:</p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">"Wenn ihre Eltern sich stritten, stellte Yana sich oft vor, dass das, was sie hörte, Hilferufe von Eingesperrten wären, einem Mann und einer Frau, die irgendwo gefangen gehalten wurden und verzweifelt herauszukommen versuchten." (147)</span><br style="box-sizing: border-box; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-family: -apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"; font-size: 16px;" /></p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;">Gegen Ende des Romans nimmt die Handlung an Fahrt auf, die Kapitel werden kürzer und es klärt sich, warum Harriet nicht zu Yana zurückgekehrt ist. Diese Aufklärung ist allerdings wenig realistisch, definitiv eine Schwachstelle des Romans. Es bleiben weitere Fragen offen, über die am Ende nachdenken darf ;).</span></p><p><br /></p><p><br /></p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-7968506306484723712023-10-12T16:36:00.002+02:002023-10-12T16:36:25.197+02:00Julie Otsuka: Solange wir schwimmen<p>übersetzt von Katja Scholz</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-solange-wir-schwimmen.644/">whatchareadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhhlFwpFAq5CrQLsU_WhW2pIExIHU84TF_tk5Plsn-A_rUpiFfjkA9EnuMFoIVWY5CoQ7_93xPAvmYmttD7cbFy2edl-BhM9CEDBkcH89ULFxD1Kx1kT59tiOEXd1XPOM_piAn0omSAn637TMcVtunxF4nvxMlFGzs4auwVydnN-b_t9s5KDhRC8vHcam8J/s4032/IMG_3400.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhhlFwpFAq5CrQLsU_WhW2pIExIHU84TF_tk5Plsn-A_rUpiFfjkA9EnuMFoIVWY5CoQ7_93xPAvmYmttD7cbFy2edl-BhM9CEDBkcH89ULFxD1Kx1kT59tiOEXd1XPOM_piAn0omSAn637TMcVtunxF4nvxMlFGzs4auwVydnN-b_t9s5KDhRC8vHcam8J/s320/IMG_3400.HEIC" width="240" /></a></div><p>Selten habe ich so einen irreführenden Klappentext gelesen: "Ein starkes Buch über die Demenz einer Tochter und die Liebe ihrer Tochter."</p><p>Während die Demenz der Mutter, Alice, von Beginn an zumindest angedeutet wird, macht sich die Liebe der Tochter erst im letzten Teil bemerkbar.</p><p>Der Roman ist aus insgesamt 5 Teilen aufgebaut, die sich auch dadurch voneinander absetzen, dass sie unterschiedliche Erzählperspektiven und auch Erzählformen aufweisen. </p><p>"Das Schwimmbad unter der Erde" beschreibt in der Wir-Form, wobei Alice Teil dieses Kollektivs ist -</p><p>"Alice, eine pensionierte Labortechnikerin in einem frühen Stadium von Demenz" (S.9) -</p><p>ein Schwimmbad unter der Erde und vor allem die einzelnen Menschen, die regelmäßig dieses Schwimmbad aufsuchen. Der Autorin gelingt es dabei hervorragend mit wenigen Sätzen eine Figur zu skizzieren, so dass man als Leser:in direkt ein Bild vor Augen hat. Es werden verschiedene Schwimmtypen aufgezählt, die Motivation zu schwimmen wird unter die Lupe genommen, die Bedeutung des Schwimmens für die Einzeln erläutert.</p><p>Das Kapitel "Der Riss" - ebenfalls in der Wir-Perspektive erzählt - beschreibt, wie ein mysteriöser Riss am Boden des Beckens auftaucht, über den heftig spekuliert wird. Letztendlich muss das Schwimmbad geschlossen werden, weil sich die Ursache nicht feststellen lässt.</p><p>Der Riss als Metapher für Alice Demenz - war eine der Hypothesen aus der Leserunde. Auch ein Symbol dafür, dass im Leben immer etwas Unvorhergesehenes geschehen kann, das uns aus der Bahn wirft - wortwörtlich in diesem Fall. Metaphorisch interessant, hat das Kapitel doch erhebliche Längen.</p><p>"Diem Perdidi" - der verlorene Tag beschreibt in der Sie-Form (personale Erzählperspektive), was Alice noch weiß und was sie schon vergessen hat. Im Verlauf des Kapitels verschiebt sich das Wissen Richtung Vergessen. Das ist sehr gut gemacht, auch weil es eine sehr originelle Art und Weise ist, Alice Biographie zu erzählen. Allerdings bleibt die Figur auf Distanz - das mag an der Perspektive und den vielen Aufzählungen liegen, den immer gleichen Satzanfängen, die beim Lesen auf mich ermüdend gewirkt haben. Es ist ein Leben im Stakkato-Stil erzählt, der nicht erschüttert und bewegt.</p><p>"Belavista" - ein Pflege-und Altenheim steht im Fokus dieses Kapitels:</p><p>"Sie sind heute hier, weil Sie den Test nicht bestanden haben." (S.87)</p><p>Insgesamt sehr zynisch erzählt, über das, was Alice erwartet, was die Einrichtung zu leisten vermag - für Zusatzzahlung gibt es Zusatzleistungen, was sie überwacht, wie sie arbeitet. Das System wird gnadenlos kritisiert - nicht die Menschen, die dort arbeiten und leben.</p><p>Erst im letzten Teil "EuroNeuro" tritt die Tochter in Erscheinung. Aus der Du-Perspektive macht sie sich Vorwürfe der Mutter zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Wenn der Klappentext ansatzweise zutrifft, dann auf dieses letzte Kapitel, das auch das einzige ist, das beim Lesen eine emotionale Reaktion hervorruft - zumindest bei mir.</p><p>Insgesamt ist der Roman erzähltechnisch und vom Aufbau her sehr interessant, trotzdem hat er mich nicht bewegt, weil die Figuren auf meistens Distanz bleiben. Das muss kein Kriterium für die Qualität eines Romans sein, aber wenn von der Liebe einer Tochter zu ihrer Mutter die Rede ist, möchte ich berührt, erschüttert, mitgenommen und nicht auf Distanz gehalten werden.</p><p><br /></p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-33936143390488414792023-09-04T15:07:00.000+02:002023-09-04T15:07:33.460+02:00Monika Helfer: Die Jungfrau<p> - ein autofiktionaler Roman über eine Freundschaft.</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-die-jungfrau.635/">whatchaReadin</a></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjC3LJ26zfQphbYl3nV8Usrg1A10V9TepK1_8LtFaB4gd4lDr2WgpLJAUBkQM0ahrgPZdkapH_vE34_spe2amSGhXe39GSk8C68_IPfCb356gYrpQvL4OZaqyw-MvqtfRYW7fDwsACrH_AtoLYIMFYsHUMYZnPAheCmT8K3cbSqoz5XOET_duijrIz3Bow5/s4032/IMG_3324.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjC3LJ26zfQphbYl3nV8Usrg1A10V9TepK1_8LtFaB4gd4lDr2WgpLJAUBkQM0ahrgPZdkapH_vE34_spe2amSGhXe39GSk8C68_IPfCb356gYrpQvL4OZaqyw-MvqtfRYW7fDwsACrH_AtoLYIMFYsHUMYZnPAheCmT8K3cbSqoz5XOET_duijrIz3Bow5/s320/IMG_3324.HEIC" width="240" /></a></div>In Helfers aktuellen Roman erzählt die Autorin von ihrer Jugendfreundin Gloria. Die beiden haben sich aus den Augen verloren und keinen Kontakt mehr gehabt, bis an Monikas 70.Geburtstag ein Brief von Gloria eintrudelt, geschrieben von ihrer Nichte Klara, die sie bittet zu kommen, weil Gloria im Sterben liege.<div>So macht sich Moni auf, die einstige Freundin zu besuchen.<p></p><p>Gloria lebt immer noch in dem einst luxuriösen Haus, in dem sie als Kind und Jugendliche mit ihrer Mutter gewohnt hat. Während Moni aus ärmlichen Verhältnissen stammt, wuchs Gloria im Überfluss auf, allerdings nur in finanzieller Hinsicht. Die Mutter ließ sie in Unsicherheit darüber, wer ihr Vater ist, so dass Gloria sich einen Amerikaner erträumt hat. </p><p>"Irgendwie war es der Mutter gelungen, die Illusion in Glorias Herz zu implantieren. (...) Die Illusion, die Sehnsucht, auch der Hass, die Angst, die Unbefriedigtheit sollen nicht sterben, wenn ich sterbe ... Sie sind mein Erbe." (S.57)</p><p>Es ist eine seltsame Freundschaft, von der Monika Helfer erzählt. Eine Freundschaft, die man heutzutage als toxisch bezeichnen würde. Gloria versucht Moni mithilfe ihres Geldes, ihrer Schönheit, ihrer Schauspielkunst und ihrer Wirkung auf Männer zu imponieren und auch zu übertrumpfen, während sich Moni moralisch überlegener fühlt und sozusagen ihren Wettstreit gewinnt. Denn sie heiratet zuerst, bekommt Kinder, wird eine erfolgreiche Schriftstellerin.</p><p>Nichtsdestotrotz verbindet die beiden Mädchen etwas, letztlich haben sie sich trotz aller Unterschiede und Differenzen gern, aber es reicht nicht, um ein Leben lang konstant in Kontakt zu bleiben.</p><p>Assoziativ erzählt Monika Helfer einzelne Episoden der Freundschaft - nicht in chronologischer Reihenfolge, was sie selbst zum Gegenstand des Romans macht.</p>"Im Kopf gibt es die Zeit nicht. So gesehen, ist die Schriftstellerei der Warteraum schlechthin."<div>(S. 25)<div><br /></div><div>"Die Zeit schwindet mir und schwindelt, Vergangenheit und Gegenwart wachsen ineinander. Während ich mit Wut auf die Tastatur klopfe, ärgere ich mich über Gloria nicht weniger, als ich mich damals geärgert hatte. Jahre vergehen, der Rossschwanz bleibt. Was vor fünfzig Jahren weh getan hat, tut immer noch weh." (S.84)</div><div><br />Das passt zu dem Zitat mit dem Wartezimmer und dass es im Kopf keine Zeit gibt. Die Gefühle sind genauso präsent wie vor langer Zeit. Sie warten darauf, dass man sie aufs Papier bringt. </div><div><br /></div><div>Und das hat Monika Helfer getan - in der ihr typischen lakonischen Sprache hat sie die Geschichte ihrer Freundschaft mit Gloria aufgeschrieben und sie gleichzeitig verarbeitet. Das war zumindest mein Eindruck.</div><div><br /></div><div><br /></div></div></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-85537798654692252672023-09-03T16:41:00.000+02:002023-09-03T16:41:25.807+02:00Stefan Moster: Bin das noch ich<p> - Identitätskrise eines Violinisten</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-bin-das-noch-ich.632/">whatchaReadin</a></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhJ50do1v8XoIvTKZb35dySZ0XhkqHegYcD78cbHvZkabjImmefX2YnSKfUkxfJPte549ApCNikxmfitdOQgFNy3KsGt1u9YFkUulXhvDBRT_dhx2OKX-z3SAjnkijMMz6Xqs0a9EvxpeDAgcREJmOBTURdqisZDZv4adjDpHYaTmfuYHD8VmkNIA9-hDUg/s4032/IMG_3298.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhJ50do1v8XoIvTKZb35dySZ0XhkqHegYcD78cbHvZkabjImmefX2YnSKfUkxfJPte549ApCNikxmfitdOQgFNy3KsGt1u9YFkUulXhvDBRT_dhx2OKX-z3SAjnkijMMz6Xqs0a9EvxpeDAgcREJmOBTURdqisZDZv4adjDpHYaTmfuYHD8VmkNIA9-hDUg/s320/IMG_3298.HEIC" width="240" /></a></div>Simon Abrameit ist Berufsmusiker - Violinist - und zu einem Konzert in Helsinki eingeladen. Er reist mit gemischten Gefühlen aus Deutschland an.<p></p><p>"Es hat mit seiner linken Hand zu tun. Sie ist unzuverlässig geworden" (S.9). Alle anderen freuen sich jedoch auf diesen gemeinsamen Auftritt, da sie nach der Corona-Pandemie endlich wieder vor Publikum musizieren dürfen.</p><p>"Nur aus Russland ist diesmal niemand dabei" (S.10), während die Musikerinnen und Musiker aus der Ukraine herzlich begrüßt werden. Der Roman spielt folglich im Sommer 2022.</p><p>Simon trifft auch die Violinistin Mai wieder, deren Eltern zur Zeit des Vietnamkrieges nach Deutschland geflüchtet sind und die einen Finnen geheiratet hat. Nachdem seine linke Hand ihn bei der schwierigen Sonate für Violine solo von Béla Bartok im Stich lässt, denn sie "erstarrt in einer Qual, die den ganzen Arm sowie die linke Schulter lahmlegt" (S.20), bietet sie ihm an, sich in ihrem kleinen Ferienhaus auf einer einsamen Schäreninsel zurückzuziehen.</p><p>In der Auseinandersetzung mit seinem Handicap schreibt er auf der Insel in sein Notenheft Briefe an Darja, ebenfalls eine Violinistin, die einst aus Russland in den Westen geflohen ist und ukrainische Großeltern hat. Gemeinsam mit ihr hat Simon vor Jahrzehnten auf einem Wettbewerb gespielt und "erkannte sofort (ihre) überragende Begabung und erkannte sie auch an, neidlos, wie man so sagt, mit Bewunderung." (S.81)</p>Seine Vergleiche und Erinnerungen an Darja zeigen, dass er von der Angst, nicht gut genug zu sein, schon seit jenem Wettbewerb beherrscht wird. Schon damals hatte er Zweifel, ob Violinist als "Beruf(ung)" für ihn noch in Frage kommt. <br />Und auch jetzt auf der Insel stellt er sich die Frage, wer er denn sei, wenn er nicht spiele.<br />Simon ist in einer Existenzkrise und braucht offenkundig Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen, was er außer Violinist noch sein kann. Die Frage "Aber bin das noch ich?" (S.132) treibt ihn um und gleichzeitig zur Natur, zu den Vogelstimmen. Wie eine Teilnehmerin aus der Leserunde recherchiert hat, ist Moster Hobby-Ornithologe. Das merkt man den Beschreibungen der einzelnen Vogelarten, deren Brutverhalten sowie deren Singstimmen deutlich an. Gleichzeitig ist dies eine Stärke des Romans sowie die detaillierte Darlegung dessen, was Simon beobachtet, was er hört, wie er sich auf der Insel fühlt und sich zwingt, nicht zu üben.<div>Nebenbei lesen wir auch eine Art Biographie des ungarischen Musikers Béla Bartok, ebenfalls ein Exilant, und schlüpfen in das Denken eines Musikers, der die Stücke, die er spielt, innerlich hören kann. Sehr faszinierend geschildert. Auch die Geräusche der Natur klingen für ihn wie Musik - "Die Welt ist Klang" als Leitmotiv.</div><div>Obwohl der Roman sehr handlungsarm ist, ist er weder langweilig noch langatmig, da die Identitätskrise Simons und sein Erleben der Natur auf der Insel die Lesenden gefangen nehmen.</div><div>Der Roman ist in der personalen Perspektive Simons verfasst, bis auf die Briefe an Darja, die er in sein Notenheft schreibt, sowie einen Teil, der sozusagen einen Auszug aus jenem Heft bildet.</div><div><br /></div><div>Diese Briefe und das Notizbuch aus der Ich-Perspektive haben mir am besten gefallen. Gerade, weil Darja ein Gegenüber, ein positives Vorbild für den Protagonisten ist. Eine Adressatin seiner Gedanken, weil er glaubt, sie verstehe ihn.<br />Der letzte Teil hätte für mein Empfinden etwas kürzer ausfallen können, ansonsten - ein wunderschöner Roman.</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-38263091699679417192023-07-29T12:21:00.003+02:002023-07-29T12:26:53.001+02:00Sarah Moss: Sommerwasser- multiperspektivischer Episodenroman über einen Regentag<br /><br />Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-sommerwasser.629/">whatchaReadin</a><br /><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiDlofTeuN0M3ipZr8qqoHKpt73_ppCe4fMIhBJ4cb31ePd58S1Zn3c_jDUkAO0dOdd1O8gjWST865Hzv9MMWYGEOmoCdImzxbVCV9EiOkNOQ9u-av8KkmQGGicFGTlSu5HICnbHvli9dk9HKPGtBFjBQrbOUDNdQE5HeMkpxTd68h_23-NlCf9wsT4MAyi/s4032/IMG_3159.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiDlofTeuN0M3ipZr8qqoHKpt73_ppCe4fMIhBJ4cb31ePd58S1Zn3c_jDUkAO0dOdd1O8gjWST865Hzv9MMWYGEOmoCdImzxbVCV9EiOkNOQ9u-av8KkmQGGicFGTlSu5HICnbHvli9dk9HKPGtBFjBQrbOUDNdQE5HeMkpxTd68h_23-NlCf9wsT4MAyi/w240-h320/IMG_3159.HEIC" width="240" /></a></div></div>Sarah Moss Roman spielt im an einem schottischen See (Loch) in einer Ferienhaussiedlung, in dem die unterschiedlichsten Charaktere aufeinandertreffen. Die Handlung erstreckt sich über einen Tag, an dem es ununterbrochen regnet und den Feriengästen kaum Raum für Aktivitäten gibt.<br /><br />In 12 Kapiteln erfahren wir aus unterschiedlichen personalen Perspektiven, wie die einzelnen Figuren einen Teil dieses Tages erleben. Als Leser:innen offenbaren sich uns jeweils die Gedanken der Personen, so dass sich deren Charakter und Verhaltensweisen vor uns ausbreiten. Obwohl Moss ganz unterschiedliche Figuren zu Wort kommen lässt, wirkt jede Perspektive authentisch und glaubwürdig.<div>Die 40jährige Justine, die sich früh morgens aus dem Haus schleicht, um durch den Regen zu rennen und dabei über das Laufen und ihr Leben reflektiert, oder David, der Arzt im Ruhestand, der schon seit Jahren mit seiner Frau Mary im Sommer in die Hütte fährt und sieht, wie Justine am Haus vorbeiläuft.<br /><br />Es gibt keine Interaktion zwischen den einzelnen Partien, nur Beobachtungen, Mutmaßungen und</div><div>(Vor-)Urteile. Vor allem gegenüber den Ukrainern, die nachts laute Musik hören und somit Unmut bei den anderen erzeugen.<br /><br />„Andere Menschen bleiben im Urlaub im Bett, erst recht, wenn sie die halbe Nacht wach gehalten wurden von diesen egoistischen Arschlöchern mit ihrer lauten Musik, die gewusst haben müssen, dass sie den kleinen Kindern und deren Eltern und den alten Leuten und überhaupt allen den Schlaf und damit den nächsten Tag ruinierten.“ (8)<br /><br />Offener Rassismus tritt bei der kleinen Lola zutage, wenn sie das ukrainische Mädchen Violetta auf eine Schaukel lockt, die über dem „Loch“ hängt und es dann mit Steinen bewirft. Diese bedrohliche Situation wird nicht aufgelöst und schwebt über den weiteren Kapiteln. Was ist mit Violetta geschehen?</div><div>Aber auch die Kanufahrt eines jungen Mannes, der seinen Eltern und der jüngeren Schwester entfliehen will, wird lebensbedrohlich, weil er seine Kräfte überschätzt. So kämpfen die einzelnen Figuren mit den widrigen Umständen, mit sich selbst und ihren Gedanken, gefangen in diesem Regentag, der am Ende eine völlig unerwartete Wendung nimmt.<br /><br />Aus jeder der Hütten kommen jeweils zwei Figuren zu Wort, teilweise auch die Kinder, wie z.B. Lola, so dass man als Leser:in immer auch eine weitere Perspektive der Handlung erlebt. Nur die Hütte der Ukrainer bleibt stumm, die sieht man nur aus der Sicht der anderen. Gedanken, die teilweise durchaus rassistisch anmuten.<br /><br />Neben ihrer Gesellschaftskritik übt Moss auch Kritik am Brexit:<br />„Er blinkt, nimmt die erste Spitzkehre bergauf, ein schönes, glattes EU-gefördertes Wunderwerk der Technik, über das außerhalb der Saison vielleicht zwei Dutzend Autos pro Tag fahren. Wie können die Engländer so dumm sein, denkt er erneut, wie können sie den gelben Ring aus Sternen auf jeder neuen Straße, jedem neuen Krankenhaus, den erneuerten Schienen und neu gemachten Stadtzentren der letzten dreißig Jahren nicht sehen?“ (37)<br /><br />Eine Besonderheit bilden die 12 kurzen Zwischenkapitel, die den jeweiligen Kapiteln, die aus der Sicht einer Figur erzählt werden, zugeordnet und thematisch mit diesem verbunden sind – auch wenn sich der Zusammenhang nicht immer direkt erschließt. <br /><br />„Der Klang von Blut und Luft“ beschreibt zunächst die Stimmung vor dem Sonnenaufgang in der Natur beim Regen.<br />Der Satz "so beständig wie der Klang von Blut und Luft im eigenen Körper. Man würde früh genug bemerken, wenn es aufhörte." (S.5) bezieht sich auf Justine, das erschließt sich jedoch erst, wenn man das folgende Kapitel ganz gelesen hat.<br />Gleichzeitig taucht dieser Satz wieder am Ende des Romans auf, so dass sich eine Art Rahmen ergibt.<br /><br />Insgesamt ist der Roman sowohl von der Komposition, der Erzähltechnik und der Figurenzeichnung überzeugend.<br /><br />Klare Leseempfehlung für alle, die kein „Wohlfühl“-Sommerbuch lesen wollen, sondern eines, das einen authentischen Einblick in die Gedanken, und auch Abgründe, unterschiedlicher Menschen bietet.</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-30968786154163221612023-07-04T14:11:00.003+02:002023-07-04T14:11:41.254+02:00Volker Weidermann: Mann vom Meer<p> - noch eine Biografie über Thomas Mann?</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-mann-vom-meer.623/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj90-nP8IsDRuRho9jTalVZXmnY4wDfyqi3kP_hMBDIMowLGb9NTMZwa7tBrJHVfm8-w8yIX07dGpQDjrM9TOlco5IB5eXb9tP3XUPcbY6oWX3YnVPmUuTc58iCeEjn5qSXR0rtKSCPaScOiroZZeJZiTzQ1ViQMJUkZSCqEmLNUPhS6gRDXzOyQfnvls7r/s4032/IMG_2985.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj90-nP8IsDRuRho9jTalVZXmnY4wDfyqi3kP_hMBDIMowLGb9NTMZwa7tBrJHVfm8-w8yIX07dGpQDjrM9TOlco5IB5eXb9tP3XUPcbY6oWX3YnVPmUuTc58iCeEjn5qSXR0rtKSCPaScOiroZZeJZiTzQ1ViQMJUkZSCqEmLNUPhS6gRDXzOyQfnvls7r/s320/IMG_2985.HEIC" width="240" /></a></div><p>In seinem Sachbuch erzählt der Journalist Volker Weidermann das Leben Thomas Manns, jedoch mit dem Fokus auf dessen Liebe zum Meer. Dabei muss er zwangsläufig vieles auslassen, auch seine Kinder tauchen nur am Rande auf, bis auf seine Lieblingstochter Elisabeth, die seine Liebe zum Meer "geerbt" und sie zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat.</p><p>In der Einleitung schildert Weidermann die erste Begegnung Elisabeths mit dem Meer - an der Hand des berühmten Vaters.</p><p>"Ein bisschen Angst hatte sie schon. Sie wusste ja, dass es ein großer Moment war. Vor allem für ihn, für Herrpapale, wie sie ihren Vater nennt. Sie wusste ja so gut, wie sehr er das Meer liebte. (...) Sie zittert aber vor allem vor Freude, Erregung und ein wenig auch aus Angst, dass sie sich nicht begeistert genug zeigen könnte." (7)</p><p>Doch ihre Sorge ist unbegründet, das Meer übt auf sie eine große Faszination aus. Das greift Weidermann im Nachwort wieder auf, indem er seinen Besuch auf dem Forschungsschiff "Elisabeth Mann Borgese" schildert.</p><p>"Das Meer ist der stille Held all seiner Bücher." (12) - unter dieser Prämisse erläutert Weidermann sowohl Thomas Mann Beziehung zum Meer und legt eindrucksvoll dar, welche Rolle dieses in seinen bekanntesten Werken spielt - "Buddenbrooks", "Der Zauberberg", "Tonio Kröger" und auch "Der Tod in Venedig", um nur einige zu nennen.</p><p>Dabei zitiert der Autor, teilweise etwas zu ausführlich, aus den genannten Werken und interpretiert sie hinsichtlich der Bedeutung des Meeres. Er zeigt auf, inwiefern die Protagonisten Manns eigenes Verhältnis zum Meer widerspiegeln und belegt auch, dass Mann sein eigenes Leben "schamlos" ausgeschlachtet hat, persönliche Ereignisse verarbeitet, unerfüllte Wünsche zu Papier gebracht hat.</p><p>Thomas Mann Kenner werden das wissen, aber durch den Fokus auf das Meer ergeben sich neue Einsichten und Erkenntnisse. So liefern vor allem die ersten Kapitel Informationen über Julia Mann, Thomas Manns Mutter, die ihre Kindheit am Strand von Paraty - 250 km südlich von Rio de Janeiro -verbracht hat, "ein Kindheitsparadies" (19). Nach dem Tod ihrer Mutter verlässt ihr Vater dieses Paradies, um in seine Heimat Lübeck zurückzukehren, wo Julia mit ihren Geschwistern bei einer Pflegemutter untergebracht wird, während der Vater auf seine Plantage zurückkehrt.</p><p>Unter dem Leitspruch "Verleugne dich selbst" (33) wird sie ihren Weg in Lübeck gehen, den Konsul Mann heiraten - der Rest ist bekannt.</p><p>Thomas Mann selbst erblickt mit sieben Jahren zum ersten Mal das Meer, "sein Meer, die Lübecker Bucht, wo die Familie ab 1882 jedes Jahr vier Wochen Sommerferien verbrachte." (51) Eine Erfahrung, die ihn sein Leben lang begleitet und die sich vor allem in seiner Romanfigur Hanno Buddenbrook widerspiegelt.</p><p>Volker Weidermann klammert auch Thomas Manns Liebe zum eigenen Geschlecht nicht aus und stellt dar, wie Mann zur der Überzeugung gelangt, man brauche "eine Rüstung aus Bürgerlichkeit und Wohlanständigkeit, um in dieser Welt den inneren Kern aus Abenteurertum, Frivolität, unangemessener sexueller Neigung und Verworfenheit zu bewahren." (121)</p><p>Auch der Umschwung seiner politischen Einstellung wird dargelegt und in Bezug zum Meer gesetzt. In seiner Rede "Von deutscher Republik" habe er sich auch vom Meer verabschiedet, bzw. vom "Sog des Meeres. Von all dem, wofür das Meer für ihn immer auch stand: Verantwortungslosigkeit, Sympathie mit dem Tod, Sog ins Verderben, verbotene Liebe, Unpolitik, Antidemokratie, Rausch, Romantik, seliges Vergessen, Glück ohne Pflicht, Schönheit, Ferien für immer." (14)</p><p><span face="-apple-system, BlinkMacSystemFont, "Segoe UI", Roboto, Helvetica, Arial, sans-serif, "Apple Color Emoji", "Segoe UI Emoji", "Segoe UI Symbol"" style="background-color: white; caret-color: rgb(20, 22, 24); color: #141618; font-size: 16px;"><b>Fazit: </b>Ein Sachbuch, das für alle, die Thomas Mann und sein Werk kennen, neue Aspekte beleuchtet, und zudem "papierene Fährten" legt, wie jemand aus der Leserunde so treffend bemerkt. Dank der Bibliografie am Ende kann man gleich weiterlesen oder die Werke Thomas Mann mit neuem Blickwinkel genießen :).</span></p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-58533622859821568612023-06-09T17:18:00.000+02:002023-06-12T20:56:50.758+02:00Helga Schubert: Der heutige Tag<p> - Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-der-heutige-tag.620/">Whatchareadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgOFT1ISpmLXkp1nUNkgo3uQYFYHrovivNi5TQ31XnAmqhWMO9URjU-jEfOIji1mUFOoChzxdYcp2kxjSSEoLOnJeqaNrSc52UCDu-Py2pU9_4-wizAmAKeMgxQ8j8xsyO-GI9HdC_5WmBU_ZnM6MZphJsfCiE4ppUDXgG13iNojsdug4FDOmCnTRfEeA/s4032/IMG_2868.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgOFT1ISpmLXkp1nUNkgo3uQYFYHrovivNi5TQ31XnAmqhWMO9URjU-jEfOIji1mUFOoChzxdYcp2kxjSSEoLOnJeqaNrSc52UCDu-Py2pU9_4-wizAmAKeMgxQ8j8xsyO-GI9HdC_5WmBU_ZnM6MZphJsfCiE4ppUDXgG13iNojsdug4FDOmCnTRfEeA/s320/IMG_2868.HEIC" width="240" /></a></div>Helga Schubert erzählt in ihrem Roman schnörkellos und ehrlich davon, was es bedeutet, einen geliebten Menschen Tag und Nacht zu pflegen. Einen Menschen, der sowohl körperlich beeinträchtigt ist als auch zunehmend dement wird und manchmal nicht mehr weiß, wer vor ihm steht.<br /><br />Dem autofiktionalen Roman vorangestellt ist das Bibelzitat „Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ (Matthäus, Kapitel 6, Vers 34).<br /><br />Jeder einzelne Tag bringt neue Herausforderungen mit sich, dabei stehen jedoch nicht nur die Plagen im Vordergrund, sondern auch die schönen Momente, die Momente, in denen die Liebe zwischen H. Schubert und ihrem Mann hervorscheint, denn sie sind „Zwei alte Liebesleute“, die seit 58 Jahren zusammen sind. (S.7)<br /><br />„Das ist übrig nach unseren Jahrzehnten, dachte ich: Hände, die sich aneinander wärmen. Ich gab ihm unter der Decke die Hand und drückte sie. Und er drückte meine Hand. Wie ein Versprechen. In guten und in schlechten Zeiten. Aber es sind gar keine schlechten Zeiten.“ (96)<br /><br />Die beiden leben im Hier und Jetzt, am „heutigen Tag“, wie eine Teilnehmerin der Leserunde es treffend auf den Punkt gebraucht hat.<br /><br />Neben der Schilderung der täglichen Pflege, der Freundlichkeit der Pflegekräfte, die ihr wiederum Kraft schenken, thematisiert H.Schubert auch, wie schwierig es ist, einem pflegebedürftigen geliebten Menschen ein Leben zuhause zu ermöglichen. Kaum eine Chance eine Vertretung zu finden, immer präsent sein müssen, nachts geweckt zu werden, Geduld zu bewahren und damit konfrontiert zu sein, vom geliebten Menschen nicht mehr erkannt zu werden. Oft fühlt sie sich am Ende ihrer Kräfte und allein gelassen.<br /><br />„Wie lange wird in Deutschland die Pflege eines alten kranken hilfsbedürftigen Menschen, der gern zuhause leben und auch sterben will, noch so holprig sein, so ausschließlich auf einen einzigen Angehörigen bezogen?“ (S.187)<br /><br />„Manchmal möchte ich tot sein, endlich ohne Verantwortung und Pflichten, aber trotzdem dabei sein, niemand soll sich schuldig fühlen (…)“ (S.189)<br /><br />Der Roman trägt den Untertitel „Ein Stundenbuch der Liebe“, wobei das Stundenbuch das offizielle Buch der römisch-katholischen Kirche für die Tagezeitenliturgie bzw. das Stundengebet ist. Schuberts Liebe ermöglicht es ihr, stündlich für ihren Geliebten da zu sein. Sie betet dafür, dass er noch in ihrer Nähe sein kann, behütet und beschützt ihn, lebt für die kostbaren Momenten ihrer gemeinsamen Liebe.<br /><br />Sie schildert in Rückblicken auch, wie diese Liebe gewachsen ist, welchen Herausforderungen sie sich in der ehemaligen DDR stellen musste und welche Schwierigkeiten eine Patchworkfamilie mit sich bringt – die Hilfe seiner Kinder erweist sich nicht als selbstverständlich.<br /><br />Ein Roman, der berührt und vor Augen führt, was uns alle erwarten kann. Hoffentlich gibt es in unserem Leben auch einen liebevollen Menschen wie Helga Schubert, der uns ein würdiges Ende ermöglicht und der "wie ein alter treuer Hund" (S.265) an unserem Bett wacht.<div><br /></div><div>Trotz einiger Längen im letzten Drittel des Romans eine klare Leseempfehlung.<br /><p><br /></p></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-53952221110382872152023-03-19T15:13:00.000+01:002023-03-19T15:13:26.977+01:00Percival Everett: Die Bäume<div><br /></div>Leserunde bei <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-die-baeume.604/">whatchaReadin</a><div><br /></div><div><br /><div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiIKG9Mh2fsOmTcciEvl50gPxAbVBFPlDQGiP_CfsEOb1UBC6vmClkjwK0GvJLF2QLfybtDzK7NNBxlwr44q3Ip5TUmZwLYCCQ_3F44CA4t7uCjOeFfUKL_ENqeSZKlq48eZ2guGeC1FI2rLDe_dzOVL_SsSoBHBeBv2PnVjR0hpVj06Igs7LoG-3Nulw/s4032/IMG_2705.jpeg" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiIKG9Mh2fsOmTcciEvl50gPxAbVBFPlDQGiP_CfsEOb1UBC6vmClkjwK0GvJLF2QLfybtDzK7NNBxlwr44q3Ip5TUmZwLYCCQ_3F44CA4t7uCjOeFfUKL_ENqeSZKlq48eZ2guGeC1FI2rLDe_dzOVL_SsSoBHBeBv2PnVjR0hpVj06Igs7LoG-3Nulw/s320/IMG_2705.jpeg" width="240" /></a></div>Der Roman basiert auf einem historischen Fall: Im Jahr 1955 wurde der 14-jährige Emmett Louis Till, ein US-Amerikaner afroamerikanischer Abstammung, in Money, Mississippi vom Lebensmittelhändler Roy Bryant und dessen Halbbrunder J.W.Milam grausam ermordert, weil er angeblich Bryants Frau Carolyn „Bye, Babe“ gesagt und sie um die Taille gefasst haben soll.<br />Der Tod des Jungen löste eine nationale Debatte über Rassismus in den USA aus, trotzdem wurden die beiden Mörder von einer aus weißen Männern bestehenden Jury freigesprochen. (Quelle Wikipedia).<br /><br /> <br />Everett lässt seine Handlung ebenfalls in Money spielen, Anfang des 21.Jahrhunderts, die einer der Protagonisten folgendermaßen beschreibt:</div><div>"Wir sind hier nicht in der Großstadt. Wir sind hier noch nicht mal im einundzwanzigsten Jahrhundert. Wir sind ja kaum im zwanzigsten, wenn Sie verstehen, was ich meine."</div><div>Ein Stadt, in der Rassismus auf der Tagesordnung steht und die Rednecks (im Sinne von konservativen Reaktionären) fast uneingeschränkt das Sagen haben.</div><div><br /></div><div>Carolyn Bryant, die Emmett Till beschuldigt hat, lebt tatsächlich noch als Granny C bei ihrem Sohn Wheat Bryant und seiner Frau Charlene.</div><div>"Wheat war zurzeit arbeitslos, war ständig und immer zurzeit arbeitslos. Charlene wie oft und gern darauf hin, dass das Wort zurzeit ein Davor und ein Danach voraussetzte". (S.11)</div><div>Gleich zu Beginn offenbart Carolyn, deren Identität im Verlauf des Romans offenbart wird, ihren Meineid: "Ich hab dem kleinen Kerl unrecht getan. Wie es geschrieben steht: Alles rächt sich früher oder später." (S.17) - und das wird es tatsächlich, darum geht es in diesem Roman, um Rache für die Opfer der Lynchjustiz.<br /><br />Unter mysteriösen Umständen werden nacheinander sowohl Junior Junior Milam, der Sohn J.W.Milams, als auch Wheat Bryant getötet. Neben ihren verstümmelten Leichen, denen die Hoden abgeschnitten wurden, liegt jeweils eine schwarze Leiche, die eben jene Hoden in den Händen hält. In beiden Fällen ist es derselbe Tote, der nach dem ersten Mord an Milam auf ungeklärte Weise aus der Gerichtsmedizin verschwindet.</div><div>Der örtliche Sheriff Red Jetty ist nebst seinen wenig intelligenten Deputy Sheriffs Delroy Digby und Braden Brady mit den Morden überfordert, so dass sie Unterstützung vom MIB (=Mississippi Investigation Bureau) erhalten.</div><div>Red Jetty Kommentar:</div><div>"Großstadtbullen kommen hierher zum Arsch der Welt, um den Hinterwäldlern zu helfen. Keine Sorge. Ich bin nett zu den Scheißern." (S.37)</div><div><br /></div><div>Ed Morgan und Jim Davis, beide afroamerikanischer Herkunft, nehmen sich des Falls an und freunden sich mit Kellnerin Gertrude an, die zu Mama Z. führt. Welche Rolle spielt diese über 100 Jahre alte Dame, ebenfalls afroamerikanischer Herkunft, die in einem Archiv die Namen aller Opfer von Lynchmorden in den USA gesammelt hat?</div><div>Das Morden oder besser gesagt, die Racheakte gehen weiter – und zwar nicht nur in Money, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten, wobei die Opfer ausschließlich weiße Rassisten sind, denen allesamt die Hoden abgeschnitten werden und jeweils von einem Toten – afroamerikanischer, asiatischer oder indigener Herkunft in der Hand gehalten wird. Wer steckt hinter all diesen Rachemorden? Geht es nur noch um den Fall Emmett Till oder steht etwas größeres Ganzen dahinter? Woher kommen all die Toten?<br /><br />Der Roman hat mich über viele Seiten begeistert, v.a. durch den Aufbau in kurze, actionreichen Kapitel, seine besondere Sprache, in der die tumben Weißen gnadenlos mit Witz durch den Kakao gezogen werden. Die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Trumps, der ebenfalls einen satirisch überzeichneten Auftritt hat (der allerdings aus meiner Sicht weniger gelungen ist), werden in ihrer Dummheit, ihrem eingeschränkten Denken regelrecht vorgeführt, so dass man an vielen Stellen lachen muss. Das vergeht jedoch wieder schnell, wenn man sich die Lynchmorde und den alltäglichen Rassismus, unter dem Amerikaner:innen afroamerikanischer, aber auch asiatischer und indigenen Herkunft auch heute noch massiv leiden, vor Augen führt.<br /><br />Der Roman ist eine „Rachefantasie“ (Klappentext), die gegen Ende hin ins Magisch-Realistische übergeht. Der Schluss lässt mich als Leserin etwas ratlos zurück, aber vielleicht ist gerade das die Absicht des Autors, der auf drastische Art und Weise auf den Völkermord an Schwarzen, Asiaten und Indigenen in den USA aufmerksam machen will.</div><div><br /></div><div>Das ist ihm auf jeden Fall gelungen!<br /><br /> <br /><br /> <br /><br /><br /></div><br /></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-69734144491544512112023-03-05T12:47:00.001+01:002023-03-05T12:47:17.845+01:00Janet Lewis: Draussen die Welt<p><span style="font-family: inherit;"> Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-draussen-die-welt.599/">whatchaReadin</a></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><span style="font-family: inherit;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiKi-azsoyhSjRrTdd5UQle1q_o_sCyWusOVwlhAa4FunEQN4ffKFtsfnkWuIm4th6hQfb2DDbYE7xyzSADoxifYkHwfwBDB7XlmF3aGUxBB98mT7kP0qrzY5l-F-LtfgDga9uc2aPqHKLc3YvwT13xIkRi43wxw90wt0hzDxqWM6vNZR5aM8kX4y2JgA/s4032/IMG_2638.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiKi-azsoyhSjRrTdd5UQle1q_o_sCyWusOVwlhAa4FunEQN4ffKFtsfnkWuIm4th6hQfb2DDbYE7xyzSADoxifYkHwfwBDB7XlmF3aGUxBB98mT7kP0qrzY5l-F-LtfgDga9uc2aPqHKLc3YvwT13xIkRi43wxw90wt0hzDxqWM6vNZR5aM8kX4y2JgA/s320/IMG_2638.HEIC" width="240" /></a></span></div><span style="font-family: inherit;">Im Mittelpunkt des Romans, der 1943 zum ersten Mal in den USA erschienen ist und während der Weltwirtschaftskrise – ca.1929-1933 spielt, steht die etwa 50jährige Mary Perrault, die aus Schottland stammt, inzwischen jedoch in Kalifornien, in der Nähe von San Fransisco lebt. Sie ist glücklich verheiratet und hat vier Kinder – Jamie, Duncan, Andrew und die 15jährige Melanie. Ihr Mann ist gelernter Gärtner und arbeitet inzwischen bei den Wasserwerken, seine Leidenschaft ist jedoch seine Kaninchenzucht.<o:p></o:p></span><p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;"><br /></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Zu Beginn lernen wir ihre ihre Freundin Agnes Hardy kennen.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">„Sie waren zusammen aufgewachsen, diese beiden Frauen, in einer von Fischerei und Whiskyherstellung geprägten Stadt in Argyleshire. Und sie waren auch zusammen ausgewandert, doch ihre Wege hatten sich in New York getrennt, als Agnes Wilkie nach Kanada ging und Mary Knox nach Kalifornien.“ (S.14)<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Während Agnes Besuch in Marys gepflegten Garten spürt man die tiefe Verbundenheit zwischen den Frauen und den Frieden, der über allem liegt.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">„Es war ein Tag wie so viele in einer langen Reihe friedvoller Tage, und er enthielt keinerlei Warnung, dass er der letzte sein sollte. Und doch war Mary Perrault Jahre später in der Lage, auf diesen Nachmittag zurückzublicken wie auf eine in einem Rahmen gefasste Szene, die man im Gedächtnis an einem besonderen Ort bewahrte, und sich an die alltäglichen Worte und Gesten zu erinnern, an die Alltagsdinge, über die sie sprächen, die fortan für immer eine beständige Würde annahmen, die weit über die Worte und die Gesten aller anderen Nachmittage hinausreichte.“ (S.20)<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><o:p><span style="font-family: inherit;"> </span></o:p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Die Vorausdeutung verweist darauf, dass Agnes Hardy mit ihrem Auto verunglückt, weil sie die Eisenbahngleise überquert, ohne die herannahende Lokomotive zu bemerken. Bei dem Unglück kommen auch ihre beiden Enkelkinder um. Diese Tragödie führt dazu, dass Agnes Mann Lem in der Folge häufig in Marys Haus verkehrt und auch seine beiden Neffen, die zu ihm ziehen, Eustace und Walter, Bestandteil der Familie Perrault werden. <o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Es geschieht im Folgenden recht wenig in diesem Roman – „Alltagsdinge“ werden geschildert, Anekdoten reihen sich aneinander, abwechselnd mit ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, die in ihrer sprachlichen Ausgestaltung – viele Adjektive und Metaphern - teilweise ausufern, so dass ich mich beim Lesen ab und an gelangweilt habe.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><o:p><span style="font-family: inherit;"> </span></o:p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Den Beginn des Romans erleben wir größtenteils aus der personalen Perspektive Mary Perraults und erfahren ihre Sicht der Dinge: Reflexionen über den Tod ihrer Freundin, Erinnerungen an ihre eigene Mutter und deren Erfahrungen mit dem Tod und auch die Frage, ob und wie sie ihre heranwachsende Tochter aufklären soll. Im Verlauf des Romans rückt dann Melanie in den Fokus: ihre Freundschaft und/oder Liebesbeziehung zu Eustace, ihre erste Arbeitsstelle, ihre Gedanken über das, was sie im Leben erreichen will. Im Mittelteil widmet sich der Roman vor allem den zwischenmenschlichen Beziehungen und den gesellschaftlichen Konventionen, mit denen die jungen Menschen konfrontiert werden.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><o:p><span style="font-family: inherit;"> </span></o:p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">„Sie verspürte leichte Erregung und Freude darüber, nunmehr verlobt zu sein, von der Freude abgesehen, dass soziale Normen erfüllt waren und man sich in der Situation so verhalten hatte, wie es sich gehörte.“ (158)<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><o:p><span style="font-family: inherit;"> </span></o:p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Es ist dieser Teil, den ich am stärksten finde und der auch – aus meiner Perspektive- unterhaltsam zu lesen ist, während der erste Teil zu wenig Dynamik entwickelt. <o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Die Weltwirtschaftskrise wird zwar erwähnt:<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">„Im November dieses Jahres kam dann die Finanzkrise, die noch viele Jahre lang Folgen haben würde. Die Kinder der Perraults bemerkten kaum etwas davon, für sie war es lediglich eine weitere aufregende Nachricht n Zeitung und Radio“ (95),<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">spielt, entgegen der Ankündigung im Klappentext, eher eine untergeordnete Rolle. In der missglückten Beziehung zu den neuen Nachbarn tritt dieser Aspekt am Rande in Erscheinung.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;"><br /></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Die Stärke des Romans bildet seine Hauptfigur. Marys Sicht auf die Dinge, „alles funktionierte besser, wenn man die Dinge so nahm, wie sie kamen, und nicht versuchte, sie zu sehr zu beeinflussen“ (255), bestimmen ihr Handeln, so dass sie für die anderen eine Art Bezugsperson wird, deren moralischem Urteil man vertrauen kann. <o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Die Schwäche sehe ich in den ausufernden Beschreibungen und der fehlenden Handlung - sowohl innerer als auch äußerer – vieler Szenen.<o:p></o:p></span></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><o:p><span style="font-family: inherit;"> </span></o:p></p><p class="MsoNormal" style="margin: 0cm;"><span style="font-family: inherit;">Fazit: Man braucht Muße und Geduld, um diesen Roman zu lesen ;)</span><span style="font-family: Calibri, sans-serif;"><o:p></o:p></span></p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-13577685222848604492023-01-28T15:04:00.002+01:002023-01-28T15:04:59.692+01:00Eva Björg AEgisdóttir: Verschwiegen<p> - ein Island-Krimi</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiYcD6DGTDNorhcrKLyQmaTwYb8pYqLxiP_jWW-Y8Bj4mBImjqEJegESYDra5Uw5-uD7FG2ru8s72j5kf7bz_f92DJ4RxGB1_iVgFDI2HzG0mXa3_hE-YaeEzJU1-ErFgI7UdhQ5IcO5Mevok7c1aGBKFULVofVtiLjUJIwvo81WTKM6e-m1WyAUtexww/s4032/IMG_2490.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiYcD6DGTDNorhcrKLyQmaTwYb8pYqLxiP_jWW-Y8Bj4mBImjqEJegESYDra5Uw5-uD7FG2ru8s72j5kf7bz_f92DJ4RxGB1_iVgFDI2HzG0mXa3_hE-YaeEzJU1-ErFgI7UdhQ5IcO5Mevok7c1aGBKFULVofVtiLjUJIwvo81WTKM6e-m1WyAUtexww/s320/IMG_2490.HEIC" width="240" /></a></div><p>Nach längerer Krimiabstinenz war der erste Band dieser neuen Reihe aus Island eine echte Offenbarung. Auch in der Vergangenheit schlug mein Herz immer für die skandinavischen und nordischen Krimis, daher dachte ich, als ich die Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-verschwiegen.595/">whatchaReadin</a> sah, dieses Mal bin ich wieder dabei. Und ich bereue es nicht.</p><p>Mit der jungen Polizistin Elma, die nach der Trennung von ihrem Freund David aus Reykjavík in ihre kleine Heimatstadt Akranes, ein Nest, in dem sich alle kennen, zurückkehrt, hat die Autorin eine Sympathieträgerin in den Mittelpunkt gestellt, die Entwicklungspotential hat. Mir gefällt, dass die Figur keinen Stereotyp bedient, sondern sehr individuell und authentisch gestaltet ist, wie fast alle Figuren in dem Krimi. Kein Schwarz und Weiß. Es scheint fast so, als stünde nicht der Mordfall im Vordergrund, sondern die Psychologie der einzelnen Protagonist:innen, fast viel interessanter ist.</p><p>Zum Mordfall:</p><p>Eine Frau zwischen 30 und 40 Jahren wird am alten Leuchtturm am Meer bei Akranes zwischen den Felsen aufgefunden. Sie heißt Elísabet Hölludóttir und hat ihre Kindheit in Arkranes verbracht.</p><p>Gemeinsam mit ihrem Kollegen Saevar und ihrem Vorgesetzten Hödur muss Elma diesen Fall lösen, der tief in die Vergangenheit des Opfers reicht.</p><p>Diese Vergangenheit wird immer wieder in kursiv gesetzten Kapiteln erzählt. So erfahren die Leser:innen sukzessive etwas über die Kindheit Elísabets - mehr als die Ermittler:innen.</p><p>Ihr Vater ist im Jahre 1989 nicht mehr nach einem Sturm vom Meer zurückgekehrt, da ist sie sechs Jahre alt und ihre Mutter wieder schwanger. Bereits zu Beginn wird angedeutet, dass das kleine Mädchen sexuell missbraucht wird und unter schwierigen Umständen aufwächst - die Mutter trinkt, hat verschiedene Lebenspartner und bringt ihrer Tochter kaum Liebe entgegen. Nur Elísabets Freundin Sara kann ihr einen Halt geben.</p><p>Immer wieder taucht im Zuge der Ermittlungen eine einflussreiche Familie in Akranes auf: Hendrik, ein Immobilienunternehmer, seine Frau Ása sowie deren Sohn Bjarni und dessen Frau Magnea. Auch der gewalttätige Bruder Hendriks spielt eine Rolle. Interessant ist auch, dass Hödur die Ermittlungen dadurch behindert, dass er diese Familie gut kennt, wie es eben in einer kleinen Stadt üblich ist. Viel mehr will ich zur Handlung nicht verraten.</p><p>Was mich beim Lesen begeistert hat, ist, dass man permanent Hypothesen aufstellt, diese überprüft, verwirft, neue aufstellt, so dass man in einen Lesesog gerät, der bis zum Ende der Handlung trägt, die nicht alle Fragen beantwortet - so wie in der Realität.</p><p>Ich freue mich schon auf den nächsten Teil der Reihe!</p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-15471155525151546592022-11-21T13:39:00.002+01:002022-11-21T13:39:41.029+01:00Yeoh Jo-Ann: Zweckfreie Kuchenanwendungen<p> Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-zweckfreie-kuchenanwendungen.587/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjEOOIhAkAw9E0sBqghJpsZTs3pp8OTVf387gFHo19n4GyKwfXwQK2o7luqozXHLBOav2Po-NlhgpxBxCGiDGkA16W6D1notDO0qSefNuF5Ic_UwOVEOevKXlPmVd3QUDwPvQpIBjbcyBBwfK83Hj34Jrh-7w4YiwPL4ChrD1smVeW1Dl-ITSEeq5UVRg/s4032/IMG_2343.HEIC" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjEOOIhAkAw9E0sBqghJpsZTs3pp8OTVf387gFHo19n4GyKwfXwQK2o7luqozXHLBOav2Po-NlhgpxBxCGiDGkA16W6D1notDO0qSefNuF5Ic_UwOVEOevKXlPmVd3QUDwPvQpIBjbcyBBwfK83Hj34Jrh-7w4YiwPL4ChrD1smVeW1Dl-ITSEeq5UVRg/s320/IMG_2343.HEIC" width="240" /></a></div><p>Die Handlung dieses außergewöhnlichen Romans spielt in Singapur, im Mittelpunkt steht der 35-jährige Lehrer Sukhin, der leicht autistische Züge aufweist.</p><p>Eigentlich mag er keine Kinder, unterrichtet jedoch englische Literatur und ist sogar Abteilungsleiter. Grummelnd und wenig zugewandt durchlebt er seine Tage, besucht hin und wieder seine Eltern, deren Wohnzimmer eine Kartonsammelstelle ist - man könnte ja umziehen und einen Karton brauchen. Ganze Türme bauen sich dort auf, enge Gassen zum Durchgehen werden frei gehalten. Während sie dort auf ein weiteres Leben warten, dienen sie Jinn, Sukhins einstiger Freundin, als Wohnstätte mitten in Chinatown, Singapur. Dort entdeckt Sukhin sie zufällig und dieses Treffen wirbelt sein geordnetes Leben gehörig durcheinander.</p><p>Warum lebt sie als Obdachlose mitten auf der Straße? Schließlich kommt sie aus einer wohlhabenden Familie? Was ist zwischen ihr und ihrer Schwester, die sich einst so nahestanden, vorgefallen?</p><p>Sukhin beschäftigt sich immer mehr mit Jinn statt mit seinem Beruf, was seinem Freund Dennis, einem Homosexuellen - immer noch ein Tabuthema in Singapur - auffällt. Er vermutet eine Frau hinter Sukhins Veränderungen und liegt somit nicht falsch. </p><p>Der Titel des Romans spiegelt Sukhins große Leidenschaft für Kuchen wider. Jedes Mal, wenn er Jinn besucht, bringt er ihr einen Kuchen mit und er beginnt sogar für sie zu backen. Eine potentielle Heiratskandidatin, die seine Eltern für ihn ausgewählt hatten, scheiterte daran, dass sie keinen Kuchen mochte. Kuchen und Kartons bilden einen Rahmen um diese wunderbar skurrile, humorvolle und warmherzige Geschichte.</p><p>Eine Besonderheit sind die Zwischenkapitel, die in einer kursiven Schrift gesetzt sind und die man am besten ganz am Ende noch einmal lesen sollte ;) - weil sie die Geschichte der beiden Protagonisten fortsetzen und beleuchten - und aus der Perspektive Jinns verfasst sind.</p><p>Insgesamt hat mir der Roman außerordentlich gut gefallen, weil er so leicht daherkommt, auch sprachlich, und doch hinter die Kulissen schaut und unserer Wegwerfgesellschaft den Spiegel vorhält. So gehört Jinn zu einer Gruppe von Menschen, die Essen von Märkten sammeln, das weggeworfen werden soll, um daraus für Obdachlose und Bedürftige zu kochen. Die kritischen Töne schwingen jedoch eher mit - im Vordergrund stehen die beiden Hauptfiguren und ihre Entwicklung.</p><p>Ein wunderbares Debüt, dem hoffentlich noch viele weitere Romane folgen ;)</p><p>Vielen Dank dem Körner-Verlag für dieses auch optisch sehr schöne Lese-Exemplar!</p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-64852310119132932232022-11-12T14:35:00.000+01:002022-11-12T14:35:14.141+01:00Celeste Ng: Unsere verschwunden Herzen<p> - eine Dystopie</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-unsere-verschwundenen-herzen.584/">whatchaReadin</a>.</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi9gv2JhRFMZbeQ3psvv2c15jOxfEKT0Zjaqf4Gid3VPS5QXh4rcU008IxnXX522IgdD6IGZqwb3tAnytdUPOdxl_o0lDBTPVz-EgA-e8hWC-b1SA45GR9YweBemWF3-8yXSxYl9ElhlYEbNeB8MY00XWoi2IDbEYLNPRnTKnnxj1Rs1baAWVVbMoWbrw/s4032/IMG_2314.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi9gv2JhRFMZbeQ3psvv2c15jOxfEKT0Zjaqf4Gid3VPS5QXh4rcU008IxnXX522IgdD6IGZqwb3tAnytdUPOdxl_o0lDBTPVz-EgA-e8hWC-b1SA45GR9YweBemWF3-8yXSxYl9ElhlYEbNeB8MY00XWoi2IDbEYLNPRnTKnnxj1Rs1baAWVVbMoWbrw/s320/IMG_2314.HEIC" width="240" /></a></div><p>Noah ist 12 Jahre alt, doch sein Name "fühlt sich immer noch wie eine Halloween-Maske an, gummiartig und unangenehm, etwas, das nicht richtig sitzt." (13)</p><p>Denn eigentlich ist er Bird - so hat ihn seine Mutter immer genannt, die ihn und seinen Vater Ethan jedoch vor drei Jahren verlassen hat, warum, erfährt man zunächst nicht.</p><p>Zu Beginn der Handlung erhält Bird einen Brief von ihr.</p><p>"Natürlich aufgerissen und wieder versiegelt mit einem Aufkleber, wie alle Briefe: Geprüft zu Ihrer Sicherheit - PACT." (11)</p><p>Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft in den USA, in der die Regierung nach einer drei Jahre andauernden Krise, deren Ursache im Unklaren bleibt, ein Gesetz (PACT) beschlossen hat, das verspricht, "amerikanische Ideale und Werte" zu schützen und "gegen unamerikanische Ideen" zu verteidigen. Als Sündenbock für die Krise hat man sich auf China geeinigt - "diese gefährliche, ständige gelbe Bedrohung" (197) - was für Menschen, die asiatisch aussehen bedeutet, dass sie offen auf der Straße angepöbelt werden dürfen, dass es gewaltsame Übergriffe gibt, während alle anderen zusehen. Als Druckmittel nimmt die Regierung Kinder aus den Familien heraus, die sich gegen PACT und gegen die Regierung selbst stellen. Die "verschwundenen Herzen" kommen in Pflegefamilien und die ursprünglichen verhalten sich still, in der Hoffnung ihre Kinder auf diesem Weg wieder zurückzubekommen.</p><p>Der Begriff "verschwundene Herzen" stammt aus einem Gedicht von Birds Mutter Margaret Miu, "einer Person of Asian Origin" (17), die als Verräterin gilt. Deshalb stehen Bird und sein Vater unter Beobachtung. Sein Vater, einst Linguistikprofessor, arbeitet inzwischen in der Universitätsbibliothek in Harvard und bläut seinem Sohn ein, nicht aufzufallen, unter dem Radar zu fliegen, keinerlei Aufsehen zu erregen. Allein sein Aussehen veranlasst andere Menschen ihn anzugreifen. Doch Bird schlägt die Warnungen in den Wind und macht sich auf die Suche nach seiner Mutter - ein Abenteuer, das ihn nach New York führt.</p><p>Wie die Autorin im Nachwort schreibt, ist ihr Romans dicht an der Realität.</p><p>"Mit dem Beginn der Pandemie im Jahr 2020 ging ein starker Anstieg antiasiatischer Diskriminierung einher, aber auch das ist kein neues Phänomen: In der amerikanischen Geschichte hat diese Diskriminierung lange und tiefe Wurzeln." (393, Nachwort)</p><p>Auch die Tradition Kinder als Druckmittel einzusetzen, ist leider keine Erfindung der Autorin. So gab es in den USA "staatliche Internate für indigene Kinder, (...) und die nach wie vor stattfindende Trennung von Migrantenfamilien an der Südgrenze der USA" (393, Nachwort).</p><div>Während der erste und letzte Teil aus der Perspektive des 12-jährigen Birds erzählt werden, erfährt man im Mittelteil im Stil eines Erzählberichtes die Geschichte Margarets. In der Leserunde herrschte Konsens darüber, dass dieser Part aufgrund der Erzählweise weniger berührend ist, dass er dazu dient, die Ereignisse gestrafft zusammenzufassen, die zur Situation in der Gegenwart geführt haben. Der letzte Teil "reißt" den Roman dann wieder raus. Er ist unglaublich spannend und wartet mit einer starken Idee des Protests auf, die verdeutlicht, wie wichtig jedes einzelne Schicksal ist. </div><br />Insofern rüttelt der Roman auf und zwingt, genau hinzusehen und die Augen nicht vor der Diskriminierung zu verschließen, sondern laut davon zu sprechen, Zeugnis abzulegen, damit nichts vergessen wird.Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-9767383044240503892022-10-30T17:29:00.004+01:002023-12-02T14:31:49.436+01:00Ian McEwan: Lektionen<div class="separator"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh-k54jDbZjY5clU0y7w9ORUnJXmy2ghrcQ1scny1A00PR8msYLscQXzxJ4kfkpgov-rAUkh-WQ7BbI8jYlePaUqk45Yn7PUUHvl5PDQC9_82gHoRv--UHRTa3pMXut9xElgPrOBroGPDMAXpN0Uzjr6fiX_xM3F9xe0ikf78nvu6GjWHhV5WEGp_wgnQ/s4032/BBD82F08-0460-4D24-B688-1FC12852FD6D.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em; text-align: center;"><img border="0" data-original-height="3024" data-original-width="4032" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEh-k54jDbZjY5clU0y7w9ORUnJXmy2ghrcQ1scny1A00PR8msYLscQXzxJ4kfkpgov-rAUkh-WQ7BbI8jYlePaUqk45Yn7PUUHvl5PDQC9_82gHoRv--UHRTa3pMXut9xElgPrOBroGPDMAXpN0Uzjr6fiX_xM3F9xe0ikf78nvu6GjWHhV5WEGp_wgnQ/s320/BBD82F08-0460-4D24-B688-1FC12852FD6D.jpg" width="320" /></a></div>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-lektionen.583/">whatchaReadin</a><br /><br />Im Roman erzählt McEwan die Lebensgeschichte von Roland Baines verknüpft mit der realen politischen Geschichte, die Einfluss auf Baines nimmt, was dieser mehrfach reflektiert und thematisiert.<div><br /></div><div>McEwan erzählt nicht linear, sondern ausgehend von der Gegenwart im Jahr 1986 erinnert sich der der 38-Jährige an seine Klavierstunden als 11-Jähriger zurück. Dabei hat ihn seine Lehrerin sexuell belästigt hat, was bei ihm aber vor allem sexuelle Fantasien auslöst, so dass seine Lehrerin dem 13-Jährigen als Objekt der Begierde bei der Masturbation dient. </div><div><br /></div><div>Roland Baines wurde im Spätsommer 1959 ins Internat nach England geschickt, während seine Eltern in Libyen bleiben. Dort ist sein Vater als britischer Armeeoffizier stationiert. Die Zeit in Libyen hat Roland in guter Erinnerung, auch während der Suezkrise. In dieser Zeit war er in einem Camp evakuiert, in dem er trotz der Abschottung grenzenlose Freiheit erlebt hat, "sie prägte ihn in seiner Ruhelosigkeit, seinem unklaren Ehrgeiz mit Anfang zwanzig, bestärkte seine Aversion gegen jede Art regulärer Arbeit." (82)</div><div><br /></div><div>Auch der Einfluss des autoritären Vaters sowie der depressiven Mutter prägen ihn - Pflichtbewusstsein, Verantwortung, Erziehung zum Mann vs. Vertrauter der Mutter. In diesem Spannungsfeld wird er groß und versteht viele der Geheimnisse der "Familienwolke" (75) nicht: Warum wachsen seine älteren Geschwister, die einen anderen Vater haben, nicht mit ihm auf? Warum ist seine Mutter so traurig?</div><div><br /></div><div>Die Erinnerungen an seine Klavierlehrerin Miriam Cornell werden wach, weil er in der Gegenwart im Jahr 1986 von seiner Frau verlassen wird und nun mit seinem sieben Monate alten Sohn Lawrence allein dasteht. Folgende Nachricht hat Alissa ihm hinterlassen:</div><div><br /></div><div>"Versuche nicht, mich zu finden. Mir geht es gut. Es ist nicht Deine Schuld. Ich liebe dich, aber dies ist endgültig. Ich habe das falsche Leben gelebt. Bitte vergib mir, wenn du kannst." (20)</div><div><br /></div><div>- trotzdem wird er von der Polizei verdächtigt wird, seine Frau umgebracht zu haben.</div><div><br /></div><div>Während Roland wie gelähmt ist, legt sich eine atomare Wolke über Europa - der Supergau in Tschernobyl.</div><div><div><br />"Er hatte gedacht, es sei seine Liebe, die das Kind schützte. Aber ein öffentlicher Notstand ist ein indifferenter Gleichmacher. Kinder eingeschlossen. (...) Was in den Augen eins Politikers gut für die Massen sein mochte, war womöglich für keinen Einzelnen gut, insbesondere nicht für ihn." (52)<br /><br /></div><div>Ein Satz, der für viele politische Ausnahmezustände Geltung hat.</div><div><br /></div><div>Wir begleiten Roland von Ende 30 bis zu seinen 70ern, immer wieder durchbrochen von Rückblicken an seine Jugend, an die Klavierlehrerin, die sein Leben nachhaltig beeinflusst hat, und auch den Beginn seiner Ehe mit Alissa.</div><div>Die Geschichte der Eltern der beiden wird erzählt, so dass Licht in die "Familienwolke" fällt und auch Alissas Verhalten wird anhand ihrer Familiengeschichte verstehbar - auch wenn die Tatsache, dass sie ihre Familie verlässt, um ihren Traum Schriftstellerin zu werden verwirklichen zu können, kaum nachvollziehbar bleibt.</div><div><br /></div><div>Die Geschichte Rolands wird in drei Teilen erzählt, die deutliche Zeitsprünge aufweisen.</div><div>Teil 1: 1986<br />Teil 2: 1989 - 1996<br />Teil 3: 2002 - 2021<br /></div><div><br /></div><div>McEwan webt in Rolands Lebensgeschichte die politische Geschichte ein und gemeinsam mit dem Protagonisten tauchen wir auch in die Höhepunkte des letzten Jahrhunderts - den Fall der Mauer, das vorläufige Ende des Kalten Krieges, das zu politischem Optimismus verführt hat, der bitter enttäuscht worden ist.</div><div><br /></div><div>"Wie - nach welcher Logik, welcher Motivation oder infolge welcher hilfloser Kapitulation - waren wir alle, Stunde um Stunde, innerhalb einer Generation vom erregenden Optimismus des Berliner Mauerfalls zum Sturm auf das US-Kapitol gelangt? Er hatte das Jahr 1989 für ein Portal, einen Torbogen gehalten, eine weite Öffnung hin zur Zukunft, durch die alle strömen würden. Dabei war es nur ein Höhepunkt, ein kurzer Ausschlag nach oben gewesen." (696)</div><div><br /></div><div>Die Kunst McEwan besteht für mich darin, dass er Rolands Entwicklung, aber auch die der anderen Figuren, authentisch und nachvollziehbar schildert. Ist man zunächst abgestoßen von Rolands Dahintreiben, wächst einem der Protagonist im Lauf des Romans ans Herz, so dass ich nach 710 Seiten immer noch gern weitergelesen hätte, obwohl fast alle Handlungsfäden aufgelöst werden. Viele kluge Sätze über das Elterndasein, das Älterwerden und den Einfluss der Geschichte auf unser Leben machen diesen Roman zu einem Lesevergnügen.</div><div><br /></div><div>Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.</div></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-30195424745667509012022-10-09T17:09:00.004+02:002023-02-12T14:10:26.749+01:00Dörte Hansen: Zur See<p> - Inselleben ungeschminkt.</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-zur-see.577/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjld-ntY8K8Lk_jylaCn2smjW0ufWHEgBgzcSY_m4z_yPVAP3X_7wWwtkhnGy5_DRq6JTN0x2o7Md9iQoR9qfUsGqC3Y6MeThCsm0FecG-TzIqLY0KfTjJEJ8T4k2pqDV9pcQPo7L_tc2d1CqYFGpag1uByy6rMO7Qho4mt0pim8Ut-IB7Z3sN9Se9l1Q/s4032/IMG_2225.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjld-ntY8K8Lk_jylaCn2smjW0ufWHEgBgzcSY_m4z_yPVAP3X_7wWwtkhnGy5_DRq6JTN0x2o7Md9iQoR9qfUsGqC3Y6MeThCsm0FecG-TzIqLY0KfTjJEJ8T4k2pqDV9pcQPo7L_tc2d1CqYFGpag1uByy6rMO7Qho4mt0pim8Ut-IB7Z3sN9Se9l1Q/s320/IMG_2225.HEIC" width="240" /></a></div>Zu Beginn des Romans werden die Leser:innen von einem, der die Leinen los- und festmacht, mit auf eine Nordseeinsel genommen - "irgendwo in Jütland, Friesland oder Seeland" (7), eine Insel also, die exemplarisch für eine der typischen Ferieninseln steht. <div><br /><div>Der Seemann dient den Fremden als Paradebeispiel.</div><div>"Sie (die Touristen) kaufen ihm die Schweigenummer ab, den wilden Bart, das grimmige Gesicht und diese alte Seemannsjacke. Die Fremden lassen sich gern blenden von den Messingknöpfen mit dem Ankermuster und dem Ring in seinem Ohr. Ein Ryckmer Sander passt in ihren Nordseeurlaub wie der Austernfischer und der Seehund und die Kutterscholle." (13f.)</div><div><br /></div><div>Wir erfahren, dass er der älteste Sohn der Familie Sander ist, deren Mitglieder, neben dem Pastor der Insel, Matthias Lehmann, die Protagonist:innen des Romans stellen.</div><div>Auch das Haus der Familie mit seinen Knochenzäunen wird uns vorgestellt. Ein typisches Haus - so wird es suggeriert. Idyllisch, ohne eine Idylle zu beherbergen - der Knochenzaun gibt uns erste Hinweise, dass es hier hart zugeht.</div><div>Hanne Sander, die von ihrem Mann Jens verlassen wurde, der auf einer Vogelinsel, dem "Driftland" lebt. Ryckmer, der Alkoholiker ist und die "weiße Wand" nicht vergessen kann. Eske, die Altenpflegerin, die die Touristen nicht mag und an der alten Sprache hängt, und Henrik, der Jüngste, Künstler und Eigenbrötler.</div><div><br />"Auf einer Inselfähre/Nordseeinsel, irgendwo in Jütland, Friesland oder Seeland" (7/10) klingt wie der Anfang einer Sage, eines Märchens.<br />Hansen führt die von uns, die die Inseln nur aus dem Urlaub kennen, vor: Wir durchschauen die Idylle nicht, lassen uns gern blenden, wollen uns das Urlaubsfeeling nicht mit der Realität zerstören lassen. Das geschieht dann, wenn die vom Festland ihren Traum verwirklichen und sich ein Haus auf der Insel kaufen.<br />Dieser Bruch der Illusion, der Idylle taucht immer wieder auf. Ein Beispiel ist, dass die Kinder wegen der Feriengäste aus ihren Zimmern vertrieben werden und gemeinsam auf dem Dachboden schlafen müssen, sie werden "Luftkinder" (48), "Flaschengeister" (48). Hansen versteht es mit ihren Bildern sofort Assoziationen zu wecken, ein Erkennen hervorzurufen.</div><div>Doch die Touristen haben sich verändert, werden anspruchsvoller, raumgreifender, so dass Hanne Sander keine "Badegäste" mehr aufnimmt - ihr Haus mit Knochenzaum wird den Touristen nicht mehr gerecht.</div><div><br /></div><div>Auch der Pastor sucht bewusst die "Tagesränder (...). Die Dämmerzeiten zwischen Tag und Nacht, die frühen Nebelmorgen und die späten Regennachmittage. Man muss am Strand, beim Bäcker und im Supermarkt gewesen sein, bevor die erste Fähre mit den Bustouristen und den Fahrradfahrern kommt. Und man muss warten, bis die Abendfähre weg ist, wenn man klein auf einem Inselfriedhof stehen will." (23)</div><div>In der Hauptsaison ist er in Hochform, strahlt von seine Kanzel, bezaubert mit seinem Charisma.</div><div>"Er fühlt sich manchmal wie ein Vogel, der die Federkleider wechselt: sommerliches Prachtkleid, winterliches Schlichtkleid, und dazwischen liegt die Zeit der Mauser." Jetzt ist er "Federlos" (=Kapitelüberschrift), denn seine Frau will die Insel verlassen und nur noch am Wochenende kommen, will näher bei den Kindern sein, um diese zu unterstützen. Der Titel der jeweiligen Kapitel ist sozusagen ihr Motto.</div><div><br /></div><div>Ein Figurentableau mit vielen Problemen, alltäglichen und außergewöhnlichen. In der Familie Sander und auch beim Pastor bündeln sich diese exemplarisch und Hansen erzählt, wie sie sich weiterentwickeln, sich das Beziehungsgeflecht langsam wieder ändert und auch, wie sich das Leben auf der Insel durch die Touristen unwiederbringlich den neuen Zeiten anpassen muss.<br /><br />Ein Roman, in dem genau hingeschaut wird. Auf die Touristen und die Insulanerer:innen, auf einzelne Figuren, die in ihrer Komplexität dargestellt werden. Und das in einer vordergründig nüchternen Sprache, die jedoch immer wieder poetisch wird. Das ist der besondere Ton ihrer Romane. Die Figuren werden beleuchtet, aber mit Empathie und Nachsicht.</div><div><br /></div><div>Klare Leseempfehlung!<br /><p><br /></p></div></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-70685872528649746632022-09-18T16:14:00.000+02:002022-09-18T16:14:34.313+02:00Eeva-Liisa Manner: Das Mädchen auf der Himmelsbrücke- ein lyrischer Roman.<div>Aus dem Finnischen von Maximilian Murmann<br /><div><div><br /></div><div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEihja9LgiQHxQGt_VBriopDX1xO8BNzLd_FTFDlPW0xb7otuetG4Wj0bXhzMngpsfYSs9lNXkqcXckO2DYpHYEnL8eIuiIAUKZuWdiQrM8QmQ8RS7te8SiFRVtiFlm0RPjWKWfAEqjplPCGxKU_Y5d5ziAYt_WCu1GOVjMcVp9CoGIh1lNXdnLCjlnJIg/s4032/IMG_2167.jpeg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEihja9LgiQHxQGt_VBriopDX1xO8BNzLd_FTFDlPW0xb7otuetG4Wj0bXhzMngpsfYSs9lNXkqcXckO2DYpHYEnL8eIuiIAUKZuWdiQrM8QmQ8RS7te8SiFRVtiFlm0RPjWKWfAEqjplPCGxKU_Y5d5ziAYt_WCu1GOVjMcVp9CoGIh1lNXdnLCjlnJIg/s320/IMG_2167.jpeg" width="240" /></a></div>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-das-maedchen-auf-der-himmelsbruecke.572/">whatchaReadin</a><br /><br />"Die Welt ist eine Dichtung meiner Sinne." (Nachwort)</div><div><br /></div><div>Diese Aussage steht auf einer Gedenktafel am Haus, in dem Manner gewohnt hat und unter dieser Prämisse sollte man diesen Roman auch lesen.</div><div>In der Leserunde waren wir teilweise etwas ratlos ob der Interpretation und es stellten sich Fragen: Wer erzählt, ob ein reales Geschehen geschildert wird, ob die Figur der neunjährigen Leena, die von einer tiefen Traurigkeit erfüllt ist, authentisch sein kann.</div><div>Mir hat das Statement des Verlegers, das er uns freundlicherweise hat zukommen lassen, geholfen, den Roman besser zu verstehen. </div><div>Im Mittelpunkt steht meines Erachtens die poetische Darstellung der inneren Welt Leenas, die Wechselwirkungen zwischen Innen und Außen, die Grenzen zwischen Realität und Traumwelt. Ist ihre Trauer eine Kategorie, die wir als Erwachsene anlegen, fragt Antje Rávik Strubel im Nachwort oder nimmt Leena die Welt nur anders wahr?</div><div><br /></div><div><div>"Es war eine sonderbar kraftlose und trotzdem grenzenlose Trauer, sie war überall in ihr und Leena spürte, dass nichts, wirklich nichts sie davon befreien konnte. Es war eine endlos lange, ewige Trauer, eine Trauer, die nicht zu erklären und dennoch selbstverständlich war." (17)</div><div><br /></div><div>Oberflächlich könnte man sagen, ihre Trauer erwachse daraus, dass ihre Mutter im Kindbett gestorben, der Vater, ein Trinker, nicht anwesend ist. Sie wächst bei ihrer Großmutter auf, die selbst von Trauer erfüllt ist, da ihr Sohn im Meer ertrunken ist und ihr Mann, der diesen aus dem Haus gejagt hat, sich erhangen hat. Zudem fühlt sich Leena in der Schule unwohl, denn ihre Lehrerin zeigt ihr gegenüber keinerlei Empathie.</div><div><br /></div><div>Doch ihre Trauer berührt existentielle Fragen. Während sie am Fenster sitzt, dem Regen zusieht, der an der kalten Scheibe herunterläuft, fragt Leena sich, warum sie so traurig sei.</div><div>"Worüber sie weinte, das wusste sie nicht, und genau deshalb erschien ihr alles so traurig. Haus, Himmel, Baum, Wolken ...alles war wie für diese Trauer bestimmt. Natürlich auch sie. Dass es bestimmt war - dass alles fertig und durch nichts zu ändern war - , daher kam wohl diese alles umfassende Trauer." (18)</div><div><br /></div><div>Die Frage, ob sie etwas an ihrem Schicksal ändern kann oder ob alles vorherbestimmt ist, wird im Schlüsselgespräch (das man mindestens zweimal lesen muss) zwischen ihr und dem blinden Organisten Filemon thematisiert sowie in dem Gespräch zwischen ihr und der Nonne Elisabeth, eine der wenigen positiven Figuren im Roman, die ihr einen Moment des Haltes geben können.</div><div>In der Kirche, in der sie sich begegnen, erfährt Leena auch den wohltuenden Zauber der Musik, das ein Motiv neben dem des Wassers und ihrer (vermeintlichen) Todessehnsucht ist.</div><div><br /></div><div>"Was für ein Gefühl wäre es wohl, im Wasser zu sterben? Und plötzlich wusste sie es. Und sie wusste es, als wäre sie irgendwann im Wasser gestorben." (22)</div><div><br /></div><div>Will sie wirklich sterben oder spiegelt sich in Leenas Gedanken die Einsamkeit der Autorin wider, die ebenfalls ohne Eltern aufgewachsen ist, in einer Stadt, die von 1939 von der Sowjetunion eingenommen wurde und die sie verlassen musste.</div><div>Im Roman "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" führt sie uns in ihrer Protagonistin Leena ein Sehen vor,</div><div>"das nicht unterscheidet zwischen den Sphären des Wirklichen und der Fantasie, den Sphären des Erlebten und des Erinnerten, des Erfahrenen und Erträumten, der Sphäre des Diesseitigen und Jenseitigen." (Nachwort, 142)</div><div><br /></div><div>Diesem "Sehen" zu folgen, erschwert das Verständnis des lyrischen Romans, der jedoch, wenn man sich darauf einlässt und fokussiert, durch seine poetische Sprache zu verzaubern vermag.</div><div><br /></div></div></div></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-55546178554854850522022-09-01T08:01:00.000+02:002022-09-01T08:01:28.082+02:00Stefanie vor Schulte: Schlangen im Garten<p> - ein fantastischer Roman über das Trauern.</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-schlangen-im-garten.568/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjlJxCNjRKHg59Y7dHn1GOw1hhdafV8Hn2s0iL-aR3EUHfduMLB8HstaH9LY28EZqJQadhth2FIx2eZ8s7OOag_Lt0tv207WiRlV-MEGFU1tt8Hg5HWAYK1AlJd1lAidKt2K3NaaeIobSe18YOAWygbypNQbLGS1i2uRb8nW9S0GhUCwgbCy5yjb8UeZw/s4032/IMG_2148.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjlJxCNjRKHg59Y7dHn1GOw1hhdafV8Hn2s0iL-aR3EUHfduMLB8HstaH9LY28EZqJQadhth2FIx2eZ8s7OOag_Lt0tv207WiRlV-MEGFU1tt8Hg5HWAYK1AlJd1lAidKt2K3NaaeIobSe18YOAWygbypNQbLGS1i2uRb8nW9S0GhUCwgbCy5yjb8UeZw/s320/IMG_2148.HEIC" width="240" /></a></div>Nachdem ich Anfang des Jahres das Märchen "Junge mit schwarzem Hahn"von Stefanie vor Schulte gelesen hatte, das mir sehr gut gefallen hat, freute ich mich auf ihren neuen Roman, der ungewöhnlich startet.<div><i>"Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe." (5)</i><br /><br />Seine Frau ist Johanne Mohn, wahrscheinlich an einer Krebserkrankung gestorben, Näheres erfahren wir zunächst nicht. Sie hinterlässt ihren Mann Adam, der seine Arbeit kündigt, sowie drei Kinder. Steve, der Älteste unterbricht sein Studium, zieht wieder nach Hause und kümmert sich um seine jüngeren Geschwister Micha (11) und Linne (12), da der Vater in seiner Trauer gefangen ist.<div><i>"Was tust du bloß hier, denkt er oft. Wo doch Trauer ein Zimmer ist, das du gut kennst. Es hat ein Fenster, Tisch, Bett und Stuhl. Es ist gefüllt mit Leben, mit Langeweile, mit anderem. Aber eines Morgens ist es anders, und du setzt die Beine aus dem Bett auf den Boden und senkst deine Füße in stumpfes Schwarz, das durch deine Fußsohlen in dir emporwächst, und wenn du aufstehst, dauert jede Bewegung eine Ewigkeit, und willst du aus dem Fenster schauen, gibt es dort nichts mehr zu sehen, weil die Scheiben blind sind und Pech an ihnen herabrinnt." (25 f.)</i></div><div><br /></div><div>In sprachgewaltigen Bildern findet vor Schulte Worte für die Gefühle der Mohns, die jeden Abend Seiten der Tagebücher der Mutter essen, ohne sie zu lesen, weil Adam ihr versprochen hat, dass niemand sie lesen werde. Als wollten sie sich ihre Erinnerungen einverleiben, um sie nicht zu vergessen. Nur Linne stiehlt Papierfetzen, um sie heimlich zu lesen.</div><div>Auch die Gegenstände vermissen die Mutter:<br /><i>"Und als wüssten die Gegenstände um den Verlust, löschen sie sich aus. Entgleiten ihren angestammten Plätzen, Perlen aus den Regalen."(6)</i><br /><br />Hat man nach dem Lesen des 1.Kapitels zunächst den Eindruck erneut in einer fantastischen Welt zu sein, entspricht in den folgenden Kapiteln das Setting unserer realen Welt: Die Kinder gehen zur Schule, es gibt ein Schwimmbad, eine Straßenbahn, nervige Nachbarn. Und doch schlängelt sich das Fantastische in die Handlung.<br /><b>Linne</b>, die eine unbändige Wut in sich trägt und sich auf dem Schulhof prügelt, ihre Art mit der Trauer umzugehen, wird zum Direktor bestellt.</div><div>Dort hängt ein alter Stich an der Wand, auf der eine Schlange zu sehen ist - eine Aspis-Viper, ein Lauerjäger - eine "Schlange im Garten". Über die Bedeutung des Schlangen-Motivs haben wir in der Leserunde ausführlich diskutiert.</div><div><br /><b>Steve </b>sieht in allem Gesichter, genau wie die Mutter, sie lähmen ihn, so dass er in Situationen verharrt und nicht weitergehen kann.</div><div><b>Micha </b>empfindet sich selbst als Wasser, <i>"auch tagsüber kann er die Brandung in sich hören. Dann siehst er sich selbst, als sei er nur eine zarte äußere Micha-Linie, die sein wahres Ich umrahmt, ein Wellenspiel, das Glitzern, darüber der Himmel." (8)</i></div><div><i><br /></i></div><div>Zu Beginn trauert jeder für sich allein, sind sie ohne die Mutter keine Einheit mehr. Ihre Nachbarn denunzieren sie aufgrund ihrer unmäßigen Trauer beim Traueramt, da sie nicht mehr in zum normalen Leben fähig sind.</div><div>Herr Ginster, der Beamte vom Traueramt, tritt auf den Plan und beobachtet die Familie fortan wegen <i>„verschleppter Trauerarbeit“. (58), den "wer beim Trauern auffällt, richtet gesellschaftlichen Schaden an. (76)</i></div><div>Das fiktive Trauerarbeit offenbart vor Schultes Kritik an der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Kultur, der Trauer nur wenig Raum zu geben, möglichst schnell wieder zum alltäglichen Leben, zur Leistungsfähigkeit zurückzufinden.</div><div>Auch die weiteren Figuren, die aus dieser Gesellschaft herausgefallen sind und mit der Familie in Kontakt treten, verdeutlichen diese Kritik. Da ist die obdachlose Dame mit Hund, der eigentlich ein Ball ist, die Figur des Herrn Brassert auf dem Friedhof, den die Kinder jeden Nachmittag besuchen und der seine eigene Art gefunden hat, mit seiner Trauer umzugeben. Jede der Mohns freundet sich mit einer weiteren Figur an und alle bilden sie im Verlauf des Romans eine skurrile Gemeinschaft, wobei das Fantastische allmählich die Überhand gewinnt.</div><div>Am Ende hätte ich mir einen deutlicheren Rückbezug zur Realität gewünscht, doch insgesamt haben mich die originelle Art und Weise, wie vor Schulte vom Trauern erzählt, ihre ungewöhnlichen Bilder und die Motive, die sie verwendet, überzeugt.</div><div><br /></div><div>Klare Leseempfehlung!</div></div><div><br /></div><div>Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Lese-Exemplar!</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-69566613685739631312022-06-04T16:09:00.000+02:002022-06-04T16:09:12.904+02:00Iris Wolff: So tun, als ob es regnet<p>ein Roman in vier Erzählungen.</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-so-tun-als-ob-es-regnet.556/">whatchaReadin</a></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEis6FyocP5PpDP6KBwu4qS2qOajY3lyHvpsypx3AJdwkONxZJfanrisrRgRn-poPJ5c30ThjFmbaIPO2HMmaQZZs5e8V1SwfK6IU5BdM8O-1S7sU2p3XIbozdNhvHgT0--1zJHwCDpU1JZUGfe1qg3eHA5shBiObfIiBMHMXKAitYmtcLtQr_HRFZ1itg/s3264/IMG_1982.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="3264" data-original-width="2448" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEis6FyocP5PpDP6KBwu4qS2qOajY3lyHvpsypx3AJdwkONxZJfanrisrRgRn-poPJ5c30ThjFmbaIPO2HMmaQZZs5e8V1SwfK6IU5BdM8O-1S7sU2p3XIbozdNhvHgT0--1zJHwCDpU1JZUGfe1qg3eHA5shBiObfIiBMHMXKAitYmtcLtQr_HRFZ1itg/s320/IMG_1982.HEIC" width="240" /></a></div>"So tun, als ob es regnet" bedeutet im Rumänischen, dass man zwar körperlich anwesend ist, sich aber ganz den Gedanken hingibt, sich "ganz aus der Zeit und diesem Raum" (77) stiehlt.<p></p><p>Diese Eigenschaft zeichnet alle vier Protagonist:innen der vier Erzählungen, die miteinander verbunden sind, aus.</p><p>Die erste Erzählung "Budapest?" spielt im 1.Weltkrieg und den deutschen Soldaten Jacob verschlägt es nach Siebenbürgen, wo viele Deutschsprachige gelebt haben und das im Herzen Rumäniens liegt. Inmitten der Sinnlosigkeit des Krieges lernt Jacob Alma kennen, eine verheiratete Frau mit drei Töchtern, und verliebt sich in sie, während ihn aus der Heimat schlimme Nachrichten erreichen.</p><p>Ihre kurze, heimliche Begegnung begründet eine Familiengeschichte, die sich über die nächsten drei Erzählungen erstreckt. Henriette - Vicco - Hedda verbindet die Suche nach dem Glück angesichts der politischen Umstände in ihrem Land, ihrer persönlichen Lebens- und Familiengeschichte.</p><p>Henriettes Geschichte spielt 1933, bevor Siebenbürgen von den Deutschen besetzt wurde. Die geheimnisvolle Begegnung mit einer Fremden wirft viele Fragen auf, die in unserer Leserunde für Spekulationen gesorgt hat. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Zitate, die jeder Erzählung vorangestellt sind und die sozusagen den Kern jeder Geschichte enthalten und einen Hinweis auf die Bedeutung der Fremden geben.</p><p>Die dritte Erzählung spielt im jungen Ceausescu Regime. Während die Amerikaner auf dem Mond landen, wird die Freiheit im kommunistischen System mit Füßen getreten und Gegner willkürlich verhaftet. In wenigen Sätzen fächert Iris Wolff die Konsequenzen auf, wenn man aus der Reihe tanzt.</p><p>"Es brauchte keine Beweise, die meisten Gerichtsverhandlungen waren Schauprozesse, die Strafen standen schon vorher fest." (109)</p><p>"Sie kannten die Spielregeln: Du weißt von nichts, es geht geht dich nichts an, die Partei hat recht. Drei einfache Regeln, mit denen man auch im Kommunismus ein gutes Leben führen konnte." (110)</p><p>Heddas Geschichte spielt Anfang des neuen Jahrtausends auf La Gomera, wo sie Buchempfehlungen verfasst, selbst schreibt, vor allem träumt und so tut, "als ob es regnet". Auch sie ist auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben, während ihr Vater Vicco mit der alten Heimat abgeschlossen hat. </p><p>Es sind die existentiellen Fragen nach dem Glück, nach den vermeintlich wichtigen Entscheidungen im Leben, die im Vordergrund der Erzählungen stehen - genauso wie die Frage nach der Heimat.</p><p>"Vielleicht war es zuletzt lächerlich gleichgültig. Jedes Ziel, jeder Wunsch diente dazu, irgendwo anzukommen, und wenn man nicht aufpasste, versäumte man den Moment, in dem man mit allen Sinnen spürte, wo man war." (162)</p><p>"Es war einmal und ist doch nie geschehen" (162) - in wunderbar poetischer und bilderreicher Sprache, die doch niemals überladen wirkt, erzählt uns Iris Wolff auf wenigen Seiten eine vier Generationen umfassende Familiengeschichte.</p>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-37820528451507207932022-05-21T13:55:00.003+02:002022-05-21T14:03:39.664+02:00Stefan Hertmans: Der Aufgang<p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-der-aufgang.553/">whatchaReadin</a></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgPSIyAxxlE0kORy-LBf-tIHJcYRdEATFJ2SGVbZfH3hB6F6rOMfUaKdVl1UMxSwHigKvzgJoV-M7qnawq5JsIrZ-X6RvWeM65-KFQdZuEAqN4AAKE-o8wGARu9ZgcBuTiW9-kTLhpg5r2iVVDASM4vii8u290p45H7FfajMovWYDRv1gNQbXnHX45A6g/s2048/50C7499A-1191-44E6-8A62-E30E0CE7B88E.jpeg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2048" data-original-width="1536" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgPSIyAxxlE0kORy-LBf-tIHJcYRdEATFJ2SGVbZfH3hB6F6rOMfUaKdVl1UMxSwHigKvzgJoV-M7qnawq5JsIrZ-X6RvWeM65-KFQdZuEAqN4AAKE-o8wGARu9ZgcBuTiW9-kTLhpg5r2iVVDASM4vii8u290p45H7FfajMovWYDRv1gNQbXnHX45A6g/s320/50C7499A-1191-44E6-8A62-E30E0CE7B88E.jpeg" width="240" /></a></div>Die Frage, ob man dieses Buch als Roman bezeichnen könne, wurde in der Leserunde zunächst diskutiert. Im Anhang erklärt der Autor, dass die Geschichte auf "historischen Fakten und einer ausführlichen Dokumentation, ergänzt durch die Fantasie des Autors" (467) basiert. Also doch ein Roman, der die Biographie des flämischen Kollaborateurs und SS-Mannes Willem Verhulst mit der Lebensgeschichte des Autors verknüpft.<p></p><p>Die Verbindung besteht in einem Haus im Genter Stadtviertel Patershol, in dem der Autor 20 Jahre gelebt hat und das auch der Wohnsitz Willem Verhulsts gewesen ist. Stefan Hertmans schildert zunächst sehr lebhaft, wie der das verwunschene Haus im Spätsommer 1979 entdeckt hat.</p><p>"Um die verrosteten Gitterstäbe eines der Zäune wanden sich die dicken, fast schwarzen Äste eines Blauregens. Schwer von Staub hingen späte Blütentrauben herab, dennoch rührte mich ihr Duft - er führte mich zurück in den verwilderten Garten meiner Kindheit;" (8)</p><p>Er kontaktiert den Notar De Potter, Besitzer des Hauses, und besichtigt das heruntergekommene Haus und kauft es aus einem Impuls heraus. Anfang des neuen Jahrtausend, als er das Haus gerade wieder verkauft hat, fällt ihm dann das Buch seines ehemaligen Geschichtsprofessors Adrian Verhulst in die Hände: "Sohn eines >>falschen<< Flamen". Bevor er den Professor besuchen kann, stirbt dieser, worauf sich Hertmans vornimmt, "nicht die Geschichte eines SS-Mannes (zu) erzählen; solche Geschichten gibt es ohnehin zuhauf. Ich werde die Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner erzählen." (12)</p>Zu Beginn weicht er jedoch von diesem Vorsatz ab und schildert zunächst die Kindheit Willems, erzählt von seiner ersten Ehe mit einer jüdischen Frau, die für ihn ihren Ehemann verlassen hat. Nach deren Tod gründet er eine 2.Familie. Wir erfahren auch, dass er ein Frauenheld und seine politische Gesinnung zunächst sehr wechselhaft ist. Geprägt hat ihn der flämisch-wallonische Konflikt und dessen Politisierung nach dem 1.Weltkrieg. Daraus resultiert auch, dass er als patriotischer Flame mit den Deutschen, die Belgien im 2.Weltkrieg besetzt haben, kollaboriert.<br />Seine Frau Mientje hingegen erscheint als friedliebend und freundlich. Zudem ist sie eine gläubige Protestantin, die sich dem Haushalt und dem Aufziehen der drei Kinder Adrian, Letta und Suzy widmet. Sie ist die stille Heldin, die heimlich Widerstand übt.<div>Ab dem zweiten Teil des Romans wechseln die Szenen, in denen der Autor das Haus besichtigt, mit denen aus der Vergangenheit ab. Sehr interessant, wie sich der Autor auf Spurensuche begibt und z.B. den Ort in Deutschland aufsucht, an dem die Kinder Verhulst den Sommer 1942 verbracht haben. Es wird immer deutlicher, dass er seine Biografie auf viele Quellen stützt, auf Interviews mit den beiden noch lebenden Töchtern und den Hinterlassenschaften der Familie: „die Tagebücher der Mutter, ihre eigene (Lettas) Lebensgeschichte, ein Heft mit einem Läufer, auf dessen Umschlag in der väterlichen Handschrift Wils Kindheit und Jugend geschrieben steht.“ (157)<br /><br />Der Autor erklärt auch implizit seine Vorgehensweise:<br />„Symphonein bedeutet zusammenklingen, gemeinsam einen Klang hervorbringen, dessen komplexes Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile.“ (157)</div><div><br /></div><div>Sein Bestreben ist es, aus den verschiedenen Quellen die Lebensgeschichte Willem Verhulst und seiner Familie zusammenzusetzen, so dass ein Bild jenes Mannes entsteht, der als SS-Mann viele Menschen verraten, seine Taten jedoch niemals bereut hat, und das seiner Familie, die sich zunehmend um Distanzierung bemüht. Gleichzeitig wird auch die Geschichte des Drongenhofer Haus erzählt, in dem Mientje Menschen versteckt hat, auch Kollaborateure, und das auf den Autor eine besondere Faszination ausübt. Auch der Konflikt zwischen Flamen und Wallonen wird thematisiert, ein Thema, das in Belgien sicherlich größere Aufmerksamkeit erlangt als in Deutschland.</div><div><br /></div><div>Insgesamt eine interessanter Roman mit dokumentarischem Charakter, da er eine Vielzahl an Bildmaterial bietet und Zitate der Kinder und Enkelkinder eingeflochten sind. Trotz einiger Längen lesenswert.</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-88474394556304398732022-03-27T13:47:00.000+02:002022-03-27T13:47:41.777+02:00Dagmar Schifferli: Meinetwegen- Monolog einer Psychopathin (?)<br /><br />Leserunde auf<a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-meinetwegen.542/"> whatchaReadin </a><br /><br /><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi7VOp9f12e_Duor7WfQe_afKlZd5ALzy-gwAdQJGexqVn10nvPSlfx2W7Ve_R7Dcl387ArfkD7vcwi8mV_fqA4PLqkxnL98TEedurCPk3JWtEOC9NM5vtF22goOeHD5TYuj_h0GoFypqOWRtqEBv8b0v2_GmmTDVwJ0kE2P_N-mOArqpAib8yBatox7w/s4032/IMG_1526.HEIC" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi7VOp9f12e_Duor7WfQe_afKlZd5ALzy-gwAdQJGexqVn10nvPSlfx2W7Ve_R7Dcl387ArfkD7vcwi8mV_fqA4PLqkxnL98TEedurCPk3JWtEOC9NM5vtF22goOeHD5TYuj_h0GoFypqOWRtqEBv8b0v2_GmmTDVwJ0kE2P_N-mOArqpAib8yBatox7w/s320/IMG_1526.HEIC" width="240" /></a></div>Katharina ist ein 17-jähriges Mädchen, das sich in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche befindet, weil sie straffällig geworden ist. Der kurze Roman ist ausschließlich aus ihrer Sicht in der Ich-Perspektive verfasst. Als Leser:innen hören wir ihr zu, wie sie einmal in der Woche mit ihrem Psychiater spricht, der selbst ins Gespräch nicht eingreifen darf. Das ist ihre Bedingung, damit er alles über ihre Tat erfährt.<br /><br />Gleich zu Beginn gibt sie zu bedenken:<br /><br />„Es wäre nicht willentlich gelogen, wenn ich etwas erzählte, dass ich gar nicht so erlebt habe oder mir jemand erzählt hat, dass es so gewesen sei. Ohrfeigen, wenn sie heftig genug sind, verletzen das Gehirn. Die, die ich gekriegt haben, waren heftig. Darum bin ich mir unsicher, ob ich mich an alles korrekt erinnere. Obwohl ich möchte.“ (5)<br /><br />Kann man ihr trauen? Ist sie eine zuverlässige Erzählerin? Will sie sich wirklich ihrer Tat stellen? Und was hat sie getan? Das sind die Fragen, die durch den Roman tragen und kontinuierlich die Spannung hochhalten. Katharina erzählt nur das, was sie wirklich will. Vieles bleibt ausgespart und nachfragen darf der Psychiater zunächst nicht.<br /><br />„Eines aber müssen Sie wissen: Sie dürfen mich nie unterbrechen, niemals. Auch keine Fragen stellen, keine Töne, keinen Pieps von sich geben, wie etwa hm, oder sich räuspern. Das würde meine Gedanken durcheinander bringen.“ (5)<br /><br />Von ihrem Leben selbst erfahren wir wenig. Ihre Mutter ist an MS erkrankt und verstorben. Ihr Vater hat ein Verhältnis mit der Pflegekraft gehabt und hat Katharina laut ihrer Aussagen geschlagen und auch verbal Schaden zugefügt. Nach eigenen Aussagen lebt sie in „der ständigen Angst vor Prügel und Beschimpfungen. Ich habe nicht mitgezählt, wie oft mir mein Vater den Tod gewünscht hat.“ (24)<br />Katharina macht ihn auch für den Tod ihrer Mutter verantwortlich.<br /><br />„Nein, ich weiß, dass er schuld war,<br />schuld ist,<br />am Tod meiner Mutter. Schauen Sie mich nicht so an. Es stimmt. Er hat ihren Rollstuhl nicht arretiert, sie saß drin, der Rollstuhl fuhr immer schneller,<br />kippte um.“ (19)<br /><br />Eine Zeitlang hat sie bei ihrer Tante gelebt und war auch in einem katholischen Internat, woraus sie geflohen ist. Ihre Tante wollte sie jedoch auch nicht aufnehmen.<br /><br />„Keine Ahnung, warum micht ihre Kinder…Man sieht sich ja nie von außen. Das habe ich schon mal gesagt. Jedenfalls haben sie mich ziemlich gemieden.“ (36)<br /><br /><br />Der Psychiater lässt sich darauf ein und erst nach ein paar Sitzungen darf er mithilfe von Karten mit ihr interagieren. Im Verlauf der Handlung stellt sich heraus, dass das Geschehen im Jahr 1970 spielt. In diesem Jahr ist erstmals die Psychopathy Checklist von R. Hare erschienen ist, so dass der behandelnde Psychiater diese noch nicht gekannt haben kann. Damit gibt uns die Autorin einen Hinweis darauf, dass Katharinas Charakter eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweisen könnte, d.h. dass sie eine Psychopathin ist, die ihr Gegenüber manipuliert.<div>(Vielen Dank an unser Leserundenmitglied @Gaia, die uns darüber aufgeklärt hat)<br /><br />Allerdings legt auch die Erzählweise dies nahe, denn ausgerechnet bei der Sitzung, in der sie ihre Tat erzählen will, muss der Psychiater eingreifen.<br /><br />„Helfen Sie mir, sagen Sie etwas!<br />WAS?<br />Etwas, das mir weiterhilft, bitte!<br />JA<br />Ich habe im Bericht Folgendes gelesen, Katharina: (…)" (92)<br /><br />Dadurch, dass sie sonst die Fäden in der Hand behält und nur beim Geständnis ihrer Tat auf Hilfe angewiesen ist, zeigt meines Erachtens, dass sie keine echte Reue empfindet und den Psychiater dahingehend manipuliert, dass er ihr hilft in den offenen Strafvollzug zu gelangen und ihr ein gutes „Zeugnis“ auszustellen. Auch die intertextuellen Bezüge, z.B. zur Todesfuge von Paul Clean könnten ein Hinweis darauf sein, dass sie sich als Opfer stilisiert, um selbst in einem besserem Licht zu erscheinen.<br /><br /></div><div>Allerdings könnte man den Roman auch anders lesen. Katharina befreit sich von ihrer Tat mithilfe der Gesprächstherapie, empfindet Reue, entwickelt sich und will neu anfangen. Beim ersten Lesen erscheint sie durchaus sympathisch, man empfindet aufgrund ihrer Kindheit Mitleid mit ihr. Es bleibt am Ende tatsächlich offen, jedoch bleibt das ungute Gefühl, Katharina meine es nicht ernst, sondern wähle ihre Worte mit Kalkül. Ein Eindruck, der sich beim 2.Lesen bestätigt.</div><div><br /></div><div>Ein interessanter Roman, der zum Diskutieren einlädt und die Leser:innen herausfordert.</div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-4446732135183132005.post-7731034562285219782022-03-12T15:11:00.000+01:002022-03-12T15:11:17.029+01:00Dirk Kurbjuweit: Der Ausflug<p>Eine Parabel?</p><p>Leserunde auf <a href="https://whatchareadin.de/community/forums/leserunde-der-ausflug.537/">whatchaReadin</a></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhWgojlXo8IM0B1VC070XlOlqmEHMy5ZpoGIYKY2yd8Nld19c_JJMVQWKc9FFmG4cVZSeKB1CH1AaOXsD2f7fJa34JJb_6TCd2maMluxRYzCNUP8UAOMS0No9k8HsXjBD68u50L4iaKOyS2sQL2H97sXkOUTQ5HOI4LO2j1kRHdiiUfNWP5Auv8-pfNow=s4032" imageanchor="1" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhWgojlXo8IM0B1VC070XlOlqmEHMy5ZpoGIYKY2yd8Nld19c_JJMVQWKc9FFmG4cVZSeKB1CH1AaOXsD2f7fJa34JJb_6TCd2maMluxRYzCNUP8UAOMS0No9k8HsXjBD68u50L4iaKOyS2sQL2H97sXkOUTQ5HOI4LO2j1kRHdiiUfNWP5Auv8-pfNow=s320" width="240" /></a></div>Der Roman erzählt die Geschichte von vier Freunden, Amalia, Bodo, Josef und Gero, wobei Amalia die ältere Schwester Bodos ist. Die Vier haben schon in der Schule eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Inzwischen sind sie Anfang 30 und unternehmen regelmäßig gemeinsam Ausflüge, dieses Mal geht es an ein entlegenes Flussdelta.<div>Bevor sie zum Kanuverleih fahren, übernachten sie in einem Gasthof, in dem es zu einem rassistischen Angriff kommt. Josef, der schwarz ist, wird daran gehindert auf die Toilette zu gehen und mit dem N-Wort beschimpft.</div><div>Die Szenerie wirkt zwar einerseits bedrohlich, andererseits aber auch unglaubwürdig, was auch daran liegt, dass die Figuren nicht authentisch wirken. Weder die vier Freunde noch die Rassisten im Dorf. Die Schikanen setzen sich fort, beim Kanuverleih, sogar bei den Schleusen, und die bedrohliche Stimmung legt sich auch auf die Vierer-Gruppe. </div><div>Im Rückblick wird Amalias Leben aufgefächert, wir erfahren von ihrer Beziehung zu einem Ralleyfahrer, mit dem sie nach der Trennung von Josef zusammengekommen ist. Auch die schwierige Beziehung zu ihren Eltern wird herausgestellt. Sie ist die einzige Figur, deren Vergangenheit und Hintergründe beleuchtet werden, während alle anderen Figuren kaum Tiefe haben.</div><div>Da es bereits auf dem Klappentext steht, kann ich verraten, dass die Vier per Drohne eine Pistole erhalten. Sie sollen damit Josef erschießen, andernfalls werde Amalia von allen vergewaltigt und alle getötet.</div><div>Kurbjuweit unterwirft seine Protagonisten einem sozialen Experiment. Wie weit geht ihre Freundschaft? Sind sie selbst unterschwellig rassistisch? Halten sie zu Josef, sind sie bereit, sich selbst zu opfern?</div><div><br /></div><div>Trotz dieser interessanten Konstellation und der damit verbundenen Fragen, hat mich die Handlung kalt gelassen, da sie völlig unglaubwürdig daherkommt. Die Vier haben durchgehend keinen Handyempfang, die Bedrohen wissen immer genau, wo sie sich aufhalten, machen regelrecht Jagd auf sie, während die Vier orientierungslos herumpaddeln. Das Ganze wirkt wie ein Kammerspiel, das trotz seiner Brutalität zumindest bei mir keine echte Betroffenheit auslösen kann.</div><div><br /></div><div>In der Leserunde wurde diskutiert, ob man diesen kurzen Roman als Parabel lesen könnte. Meines Erachtens passt die Textsorte nicht, weil hier alles offen liegt und man letztlich überhaupt nicht nachdenken muss. Die Frage, wie hätte man selbst in der Situation gehandelt, ist natürlich berechtigt und auch wichtig. Dadurch, dass alles jedoch so unglaubwürdig geschildert wird, fällt es schwer, sich darauf einzulassen. Es wäre schön, wenn die Story subtiler erzählt worden wäre.</div><div>Doch leider ist die Handlung plakativ, holzschnittartig, die Figuren bleiben bis auf Amalia blass und wäre es keine Leserunde gewesen, hätte ich nach der Hälfte aufgehört zu lesen. Es hat mich nicht gepackt weder emotional noch intellektuell. Schade um die verlorene Lesezeit.</div><div><p><br /></p></div>Querleserinhttp://www.blogger.com/profile/10042002978803115338noreply@blogger.com