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Preis der Leipziger Buchmesse (2019)
Der Roman „Schäfchen im Trockenen“ ist als Brief an die
älteste, 14-jährige Tochter der Ich-Erzählerin konzipiert:
„Hör zu, Bea, was das Wichtigste ist und das Schlimmste
(…), dass es keine Eindeutigkeit gibt. Das muss ich hier, ganz zu Anfang, schon
mal loswerden – weil ich es immer wieder vergesse. (…) weil meine Sehnsucht
nach Eindeutigkeit so groß ist und die Einsicht, dass es keine gibt, mich so
schmerzt. (5)“
Die Ich-Erzählerin Resi hat mit ihrem letzten Buch ihre
Freunde kritisiert und deren Verlogenheit aufgedeckt, alle hätten die gleichen
Chancen und tuen so, als gäbe es keine Unterschiede zwischen ihnen. Ausgangspunkt
ist der Umzug in ein gemeinsam entworfenes Haus in der Innenstadt, in das Resi
aus Kostengründen nicht miteinziehen kann – sie lehnt sowohl die
Erdgeschosswohnung als auch Geld eines ihrer Freunde ab, weil sie nicht mit
Almosen abgespeist werden will.
Resi wäscht mit ihrem Buch schmutzige Wäsche in der
Öffentlichkeit.
Ein Umstand, der dazu führt, dass die Freunde ihr die
Freundschaft gekündigt haben und, was für eine 6-köpfige Familie in Berlin
Mitte besonders drastisch ist, auch die Wohnung.
Mit „Schäfchen im Trockenen“ reagiert Resi auf die
Reaktion ihrer einstigen Schulfreund*innen und deren Partner*innen und schreibt
sich ihren Frust, ihre Entrüstung, ihre Wut von der Seele. Dabei beleuchtet sie
die zurückliegenden Ereignisse nicht chronologisch, sondern springt zwischen
Vergangenheit und Gegenwart. Sie führt fiktive Gespräche mit ihren
Freund*innen, entwirft alternative Handlungen, was beim Lesen ab und an für
Verwirrung sorgt.
Auch flicht sie Episoden aus dem Leben ihrer Mutter ein,
der sie vorwirft,
„ihre Träume von Freiheit ihren Töchtern aufgehalst zu
haben – ohne Idee davon oder Hinweis drauf, wie sie vielleicht zu verwirklichen
wären.“ (8)
Aus diesem Grund will sie ihrer Tochter Bea schonungslos
die Wahrheit schreiben, will sie „aufklären“, vorbereiten auf ein Leben, in dem
es Gerechtigkeit nicht gibt und das „Haus“, aus dem man stammt, immer noch
maßgeblich über das Leben entscheidet, das man führt.
„Bea ist jetzt vierzehn und gehört initiiert. Aufgeklärt
und eingeführt in die Welt der Küchenböden, Arbeitsteilung, Arbeitsverteilung,
Putzjobs, Lohnkosten, (…). Anders als meine Mutter werde ich nicht davon
ausgehen, dass sie mit der Zeit schon erfährt, was sie wissen muss (…)“ (12)
Sie soll die Wahrheit erfahren, dass die Freund*innen
Resis „ihre Schäfchen im Trockenen“ (15) haben, in die Fußstapfen ihrer
wohlhabenden, reichen Eltern getreten sind, während sie selbst, als Künstlerin,
die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, mit Künstlerehemann und vier Kindern Schuld
daran hat, in einer weniger privilegierten Situation zu sein, denn Kinder
kosten bekanntlich Geld und man sollte sie nur bekommen, wenn man sie sich
leisten kann - so die Meinung ihrer
Freund*innen.
Am Beispiel eines Skiurlaubs, an dem alle damals
17-jährigen Freund*innen teilnehmen - weil es selbstverständlich bisher Teil
ihrer Familienurlaube gewesen ist – beschreibt Resi, wie ihr der Unterschied
zum ersten Mal wirklich deutlich ins Bewusstsein getreten ist. Hätte sie
einfach mitfahren sollen, sich Geld leihen, sich mehr anstrengen müssen, „weil
wir ja auch alle unseres Glückes Schmied waren.“ (69) Oder sind die
„Klassengrenzen“ oder Standesunterschiede nicht zu überwinden? Um diese Frage
dreht es sich letztlich, darin waren wir uns im Lesekreis einig.
Der Roman ist, so sagt die Ich-Erzählerin selbst, „das
Gegenteil eines gut gebauten, elegant komponierten Romans.“ (42), was natürlich
gnadenlos untertrieben ist. Er ist durch und durch komponiert, mit zahlreichen
intertextuellen Anspielungen versehen. Die Handlung führt letztlich immer
wieder in ihre Kammer – ihr eigenes, kleines, fensterloses Zimmer zurück, das
sie zur Verfügung hat – eine Anspielung auf den Essay von Virginia Woolf „A
room of one´s own“ (Schön, wenn Belesene im Lesekreis diskutieren 😉). Trotz dieser Komposition
habe ich persönlich beim Lesen aufgrund einiger Wiederholungen Längen
empfunden, die jedoch, wie meine Mitleserinnen argumentierten, die
unterschwellige Bitterkeit der Protagonistin zum Ausdruck bringen sollen.
Insgesamt, und da waren wir und einig, werden viele gut beobachtete Szenen erzählt,
in der Resi das scheinheilige Verhalten ihrer Freund*innen, die die
„unterschiedlichen Voraussetzungen (…) ignorieren“ und „mit neoliberalem
Geschwätz von Aufstiegschancen“ (220) bemänteln, messerscharf und bitterböse seziert.
Auch an Witz und Ironie sowie Selbstkritik mangelt es nicht.
Am Ende wird Resi dann ganz deutlich, sie prangert an,
dass alle Probleme zugedeckt würden - statt offen zu sagen, dass zum Beispiel
eine Familie zu sein, nicht immer schön ist. Dass Fotos gepostet werden, „um zu
blenden, anzugeben, zu behaupten“ (238). Doch wie sieht die Wahrheit dahinter
aus? Warum traut sich niemand auszusprechen, was nicht schön ist, was falsch
läuft?
Resi hat sich getraut und ist dafür von ihren
Freund*innen bestraft worden, weil man das nicht tut, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Etwas problematisch fanden auch wir, dass die Autorin ihr
eigenes Leben im Roman verarbeitet hat, dass hinter den Freund*innen echte Menschen
stehen, die sich in den Figuren wiedererkannt haben – was ist Fiktion, was Realität?
– oder sollte man sich diese Frage nicht stellen? Schließlich steht auf dem
Buchdeckel „Roman“ und Ich-Erzählerin ist nicht gleich Autorin…
Mich persönlich hat diese Frage beim Lesen weniger
beschäftigt, sondern mir hat die offene Auseinandersetzung mit der Art und
Weise, wie unsere Kommunikation und unser Verhalten die wahren Gefühle, Sorgen
und Ängste beschönigen, übertünchen und verdecken, gefallen. Die teilweise
drastische Sprache weniger, aber zur Wut, zum Ungeschönten gehört sie wohl dazu
– soll schocken und aufrütteln. Das gelingt 😉.