Donnerstag, 12. Dezember 2019

Ian McEwan: Die Kakerlake

- eine Satire auf den Brexit.

Leserunde auf whatchaReadin

"Als Jim Sams, klug, doch beileibe nicht tiefgründig, an diesem Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine ungeheure Kreatur verwandelt." (11)

Aus der einstigen Kakerlake ist ein Mensch geworden, der sich über den "glitschige[n] Fleischlappen" (11) in seinem Mund wundert, über seine eingeschränkte Sichtweise und darüber, dass sein Skelett, sein Panzer nach innen verlagert ist.
Höchst amüsant werden die ersten Gehversuche der Kakerlake beschrieben, die als britischer Premierminister aufgewacht ist - offensichtlich nach einer alkoholgeschwängerten Nacht. In der ersten Begegnung mit einer persönlichen Referentin reichen Grunzlaute zur Verständigung, sein erstes Wort: Okidoki.

Die Parallelen zu Kafka sind offensichtlich und gewollt, ebenso der bitterböse, satirische Blick auf die zeitgenössische britische Politik. Die Botschaft, auch eine Kakerlake kann Premierminister sein, drängt sich auf, wobei der Verdacht genährt wird, es gebe einen "göttlichen" Plan, den die Kakerlake, die (leider) schnell in den Hintergrund rückt, ausführen möchte.
Genährt wird der Verdacht, als Jim in der ersten Kabinettssitzung "ein verblüffendes Wiedererkennen" (34) erlebt - er ist, bis auf eine Ausnahme - von Kakerlaken umgeben, die ebenfalls menschliche Gestalt angenommen haben.

Seine Marschroute für die kommende Zeit steht fest: Er wird den Willen des Volkes, nämlich die Einführung des Reversalismus durchsetzen.
Im Reversalismus, eine Erfindung McEwans, wird der Geldfluss umgedreht:
"Am Ende des Arbeitsmonats gibt eine Angestellte für die vielen Stunden, die sie gearbeitet hat, ihrer Firma Geld. Geht sie einkaufen, wird sie hingegen für jede Ware, die sie mitnimmt, großzügig zum Einzelhandelstarif entschädigt. Bargeld zu horten ist gesetzlich untersagt." (41)

Ein ökonomisches Prinzip, das nicht funktionieren kann, da waren wir uns in der Leserunde einig, vor allem, wenn ein Land einen Alleingang wagt. Reversalismus gleich Brexit - so ist diese Parabel zu lesen, denn Ökonomen sagen eine wirtschaftliche Katastrophe voraus, Ähnliches haben wir auch in Bezug auf den Brexit gelesen.

McEwan prangert den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union an, da seine Heimat sozusagen den Rückwärtsgang einlegt. Bezeichnenderweise nennt er die Vertreter des Reversalismus  Rückdreher - ein deutliches Statement.
Darüber hinaus rechnet er in seiner "bitterbösen politischen Satire", wie es im Klappentext heißt, auch mit dem Politbetrieb an sich ab.
"In schwierigen Zeiten wie diesen brauchte das Land einen verlässlichen Feind." (76) 
Ein Schiffsunglück wird politisch ausgeschlachtet, um die Stimmung im Land zu Gunsten Sams zu drehen. Unbequeme Minister werden verleumdet, Meinungen so getwittert, dass "eine solche Bedeutungsdichte [entsteht, die], aufs Eleganteste gepaart mit leichtfüßiger Loslösung von allen Details" ist (77). Die Anspielungen auf Trump sind eindeutig und überaus treffend.

Am Ende gibt es tatsächlichen einen Plan...

Die Meinung in der Leserunde war fast einhellig. Die Novelle (?) oder die Parabel sei mit heißer Nadel gestrickt, was zu Lasten der Literarizität geht. Die Figuren werden kaum entwickelt, die Verwandlung von der Kakerlake zum Menschen tritt schnell in den Hintergrund, einiges wird referiert statt erzählt. Schade!
Die Sprache ist hingegen wie nicht anders zu erwarten messerscharf:
"Jim hatte hervorragende Fühler für die öffentliche Gemütslage." (88)
"Nichts war so befreiend wie ein engmaschiges Lügennetz." (97)

Es ist verständlich, dass McEwan das Bedürfnis hat, sich seine Frust über den Brexit von der Seele zu schreiben. Das Thema ist jetzt aktuell, also muss das Büchlein sofort auf den Markt. Zu deuten gibt es wenig, seine Aussagen sind glasklar: Der Alleingang Großbritanniens ist ein Rückschritt und aus seiner Sicht ein gewaltiger Fehler, die Politiker sehen nur ihren Vorteil, berücksichtigen das Wohl des Volkes zwar in ihren Reden, jedoch nicht in ihren Taten und Entscheidungen.
Die Frage ist, wen diese Botschaft erreicht und ob sie von denen gehört wird, die es betrifft.

Vielen Dank dem Diogenes Verlag für das Leseexemplar.

Sonntag, 17. November 2019

Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman

- Fakt oder Fiktion?

Leserunde whatchaReadin

"Wie der Leser zum Komplizen des Autors wird." (268)

Christoph Poschenrieder spielt in seinem Roman mit dem, was hätte sein können, und dem, was wahr (?) ist.

Am Ende des 1.Weltkrieges erhält der für seine Geschichten im Münchner Satireblatt Simplicissimus bekannte Autor Gustav Meyrink vom Auswärtigen Amt den Auftrag, einen Roman zu verfassen, der die Schuld für den Ausbruch des Krieges den Freimaurern zuschreiben soll.
"In groben Zügen, mein Herr. Die Angelegenheit ist im Grunde überaus simpel: Wir möchten, dass Sie einen Roman schreiben, aus dem für jedermann klar ersichtlich und verständlich wird, wer am Ausbruch des andauernden, bedauerlichen Krieges schuld ist. Wenn es außerdem unterhaltsam wäre, schadet es auch nicht." (15)

Er soll "Fake News" in die Welt setzen,
"noch kann er den Umschlag an den Einarmigen zurückreichen, mit vor Indignation zitternder Stimme ausrufen: Was erlauben Sie sich, mich mit Ihrem abstrusen, was sage ich, infamen Anliegen heimzusuchen. Ich bin ein Künstler und damit per definitionem nicht käuflich! Gut, denkt Meyrink, gut wenigstens ein Mal in Gedanken inszeniert zu haben, was auszusprechen ich nicht über mich bringe." (16)

Poschenrieder erzählt diese Geschichte, wie Meyrink nach Berlin reist, sein Ringen darum, diesen Roman zu schreiben, was ihm aber nicht so recht gelingen will.
"Es ist furchtbar, nicht schreiben zu können. Das ging doch immer so einfach." (155)
Nebenbei werden wir Zeuge der revolutionären Umtriebe Kurt Eisners in München und Zeuge der Gespräche zwischen Meyrink und dem erfolglosen Schriftsteller Erich Mühsam, der bei der Novemberrevolution zu kurz gekommen, eine Rolle in der Räterepublik gespielt hat.

Eingebettet in die Handlung um den zu schreibenden Roman, der die Fake News verbreiten soll, sind Passagen in der Ich-Perspektive Meyrinks, die sein Leben erzählen, wobei er von seiner unehelichen Geburt erzählt - "Ich" - und seinen alchemistischen Versuchen - "Ich, Goldmacher"-, von seinen erfolglosem Dasein als Bankier hin zu seinem Dasein als Schriftsteller.
"Der Schmerz brachte mich zum Schreiben. Der Rückenschmerz, nicht der Weltschmerz." (178)

Eine Passage berichtet von dem Missverständnis, dass er für einen Juden gehalten wurde, was dazu geführt hat, dass er massiven Anfeindungen ausgesetzt gewesen ist. Gleichzeitig ein Grund, warum gerade er den Roman über die Schuld der Freimaurer am Ausbruch des 1.Weltkrieges schreiben soll.
"Ja, denkt Meyrink, darin könnte seine besondere Qualifikation für diese Aufgabe von nationaler Bedeutung liegen: ein angeblicher Jude mit einer Riehe gutdokumentierter Ausfälle gegen das Deutschnationale, das Militär, das Establishment in allen seinen bürgerlichen Spielarten." (25)

Eingeschoben in beide Handlungsstränge sind Recherchenotizen des Autors Poschenrieder, der akribisch alle Quellen herangezogen hat, um das Leben Meyrinks zu rekonstruieren. Diese echten "Fakten" ermöglichen eine weitere Sicht auf die Ereignisse - sind sozusagen authentische Stimmen aus der Vergangenheit.
"Der Gustl war ja ein Finanztrottel. Und wenn er Geld gehabt hätte, hätte er nicht geschrieben." (112)
[Nachlass von Carlo Mor von Weber: Mena Meyrink zum 90.Geburtstag]

Der Aufbau des Romans, die unterschiedlichen Perspektiven, die eingefügten Fakten machen ihn außergewöhnlich und besonders, behindern aber auch den Lesefluss. Gerade im Mittelteil habe ich oft den Faden verloren, hat der Roman Längen.
"Das Aufhäufen ist die Tugend der Ameisen, Genie trägt ab." (75)
- wäre ein guter Leitspruch für die "Mitte" gewesen.

Allerdings entlohnt der ebenfalls überraschende Schluss für das Durchhalten. Begeistert hat mich die Ironie und die lakonische Sprache Poschenrieders, die immer wieder zum Lachen einlädt und über den etwas langatmigen Mittelteil hinweg trägt.

Insgesamt ein innovativer Roman, der aufgrund seiner Sprache und des außergewöhnlichen Aufbaus lesenswert ist, und der zeigt, dass es immer schon das Bestreben der Mächtigen gegeben hat, uns das glauben machen zu lassen, was sie für die Wahrheit verkaufen wollen.

Vielen Dank dem Diogenes Verlag für das Leseexemplar.

Sonntag, 3. November 2019

Anna Quindlen: Der Platz im Leben

- amerikanische Schein-Idylle.

Leserunde auf whatchaReadin

Im Mittelpunkt des Romans steht Nora Nolan, aus deren personaler Perspektive der Roman erzählt wird. Nora ist seit 25 Jahren mit ihrem Mann Charlie zusammen und sie leben in Manhattan, West Side, in einer Sackgasse, die wie ein abgeschlossener Lebensraum wirkt:

"Wer hier ein Haus besaß, hatte nicht nur die eigenen, sondern auch die Kinder der anderen aufwachsen sehen, hatte die Hunde auf ihrem Weg vom Welpen bis zur Gebrechlichkeit und schließlich ins Krematorium auf dem Haustierfriedhof in Hartsdale begleitet. Jeder wusste, wer wann renovierte und wer es sich nicht leisten konnte. Sie hatten alle denselben Handwerker." (9)

Man kennt sich also gegenseitig. Noras Kinder, die Zwillinge Rachel und Oliver gehen inzwischen aufs College, das Paar hat sich in der Ehe eingerichtet - "Das Eheversprechen, so empfand Nora es seit Langem, kam einem Loyalitätseid gleich." (24) -
und auch in ihrem Leben: "Nora erinnerte sich noch gut, was sie selbst alles in den Sand ihrer Zukunft gemalt hatte. Weniger gut erinnerte sie allerdings, wann aus dem Sand Zement geworden war, aus "Der, die ich sein will" ein für alle Mal "die, die ich bin." (35)

Ein freudiges Ereignis steht zu Beginn der Handlung. Charlie hat endlich einen Parkplatz innerhalb der Sackgasse erhalten - ein Triumph, der ihm zeigt, dass er jetzt wirklich dazugehört. Während er als Investmentbanker mehr oder weniger erfolgreich ist, arbeitet Nora in einem gut gehenden Schmuckmuseum. Alles scheint gut zu sein, doch Konflikte deuten sich an. Warum ruft Charlies Chef Nora an? Will er sie abwerben?
Auch zwischen George, der sich selbst zum Aufseher über die Straße ernannt hat und den Nora nicht ausstehen kann, und dem Handwerker "Ricky", der lateinamerikanischer Herkunft ist, kommt es zu Unstimmigkeiten, da Ricky mit seinem Lieferwagen angeblich die Einfahrt zum Parkplatz versperrt.

Auch in der Ehe der Nolans gibt es Konfliktpotential. Charlie straft Nora ab, nachdem er erfahren hat, dass sie ein Gespräch mit seinem Chef geführt hat: "strafendes Schweigen, Vorwürfe, Fragen, weitere Vorwürfe, strafendes Schweigen." (85) Während Nora beruflich gut dasteht, hat Charlie in letzter Zeit eine Flut von Enttäuschungen erlebt, das scheint er nicht zu verkraften.

In den Mittelpunkt rückt neben diesen Konflikten auch die Stadt New York selbst, deren Veränderungen Nora beobachtet und die sie trotzdem über alles liebt - im Gegensatz zu Charlie, der sie lieber verlassen möchte. Sie erinnert sich zurück an ihre erste Zeit in New York, an ihr Zusammenleben mit ihrer besten Freundin Jenny und wie sie Charlie kennen gelernt hat und stellt fest, dass sie sich genau wie NY selbst verändert hätten - die "Ecken und Kanten, ihre Eigenheiten abgeschliffen" (106) - ihr jüngeres Ich würde sie nicht wiedererkennen.

Und dann ereignet sich etwas, das die Idylle der Straße zu zerreißen droht. An einem Morgen im Dezember hört Nora auf der Straße ein Geräusch:
"Am Anfang war nur ein durchdringendes Hämmern zu hören, hinter dem sie zunächst einen Pressluftbohrer vermutete (...). Erst als sie näher kam und die Schreie einsetzten, Schreie, die immer weiter und weiter und weiter gingen, bis sie sich am liebsten wie ein Kind die Ohren zugehalten hätte, wurde ihr klar, was dieses letzte Geräusch gewesen war: Jack Fisk [ein cholerischer Anwohner der Straße], der Ricky mit einem Golfschläger seitlich ans Bein hieb" (130),
während Charlie versucht, ihn davon abzuhalten.
Dieses Ereignis spaltet die Straße, unterschiedliche Geschichten des Ereignisses zwingen die Anwohner sich auf eine Seite zu stellen. Offen treten die sozialen Unterschiede zwischen der privilegierten Mittelschicht und denen, die für sie arbeiten, zutage. Auf welche Seite sich Nora stellen wird, ist aufgrund ihres empathischen Verhaltens offensichtlich, doch wie positionieren sich die anderen? Nicht zufällig sucht eine Rattenplage die Straße heim und trübt das bisher friedliche Zusammenleben.
Der Vorfall hat Auswirkungen auf alle, auch auf die Ehe der Nolans und deren Familie.

"Die Menschen gehen im dem Glauben durchs Leben, wie würden Entscheidungen treffen, dabei machen sie im Grunde nur Pläne, was keineswegs das Gleiche ist. Unterwegs nehmen sie ein wenig Schaden, es entstehen lauter kleine Risse, auch wenn sie ganz bleiben, sind sie doch ein wenig lädiert." (358)

Ein kluger Roman über die unsichtbare Linie, die die sozialen Schichten in New York trotz aller Veränderungen immer noch trennt. Über die Frage, wie lange man eine Ehe aufrecht halten kann, darüber, wann man die Loyalität aufkündigen muss, um sich selbst treu zu bleiben.

Klare Leseempfehlung!

Vielen Dank dem Penguin-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Dienstag, 1. Oktober 2019

Andrew Ridker: Die Altruisten

- ein Gesellschaftsroman.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman wird als "Sensationsdebüt aus den USA" angepriesen, eine Bewertung, mit der einige von uns in der Leserunde ihre Schwierigkeiten hatten. Am Anfang habe ich mir schwer getan hineinzukommen, doch im Verlauf der Handlungen hat es mir zunehmend Spaß gemacht zu lesen, wie es mit dieser "verkorksten" Familie und den schrägen, teils skurrilen Figuren weitergeht und wie sie sich weiterentwickeln.

Arthur Alter (lat. der Mitmensch) hat seit dem Tod seiner Frau Francine vor zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern Ethan und Maggie. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass er genau einen Tag, bevor bei Francine im Herbst 2012 Brustkrebs diagnostiziert wurde, eine Affäre mit der deutschen Historikerin Ulrike begonnen hat, die über 20 Jahre jünger als er ist. Dass er trotz der Erkrankung Francines diese Beziehung intensiviert hat, verzeihen ihm die Kinder nicht.
Jetzt ist Arthur, der seit Jahren an der Universität Danforth in St.Louis vergeblich auf eine Festanstellung gewartet hat, pleite, während Ethan und Maggie von ihrer Mutter eine erhebliche Summe Geld geerbt haben. Arthur lädt die Kinder ein, ihnen finanzielle Unterstützung für das Haus, in das die Familie einst aus Boston gezogen ist, zu erbitten, da er es allein ihr Haus nicht halten kann. Die Einladung an Ethan ist kurz und knapp formuliert:

E.- wäre gut, dich zu Hause zu haben. Du (&Maggie) kannst Mitte April kommen. (Semesterferien.) Wichtig, die Familie zu sehen, sich an die Wurzeln zu erinnern usw.
- A. (S.38)

Bei Ethan "waren  Zuhause und Demütigung untrennbar miteinander verknüpft." (38) Er erinnert sich voller Scham an sein Outing, daran, dass sein Vater ihn nie wahrzunehmen schien. Heute ist Ethan ein in sich zurückgezogener junger Mann, der seinen Job als Unternehmensberater gekündigt hat, weil er nicht mehr bereit war, die Verantwortung für Kündigungen mitzutragen. Er lebt von dem Geld seiner Mutter, wobei seine horrenden Ausgaben für Luxusartikel sein Erbe aufgezehrt haben - und das bisher folgenlos.
"Schulden waren immatriell, ein bildlicher Abgrund - und spielte die Tiefe des Abgrunds eine Rolle, wenn der Abrund nur bildlich war?" (44)

Er ist ein Einsiedler, der einer unglücklichen Liebe hinterher trauert, was man in Rückblicken erfährt.
"Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes aufgehört, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein." (42)
Auch den Beginn von Arthurs und Francines Beziehung, ihre Ehe und auch der Familienalltag wird im Rückblick aufgerollt - eine der interessantesten Episoden ist Arthurs Reise nach Simbabwe, wo er seine Erfindung - einen Zementersatz - zum Einsatz bringen will. Sehr skurrile, aber auch tragische Geschichte, die den Leser*innen hilft, den Protagonisten Arthur, der mit einem Altruisten nichts gemein zu haben scheint, besser zu verstehen. Gleichzeitig ist diese Episode eine kritische Auseinandersetzung mit westlicher Entwicklungshilfe und sie zeigt, dass durch die Übertreibungen vieles sichtbarer, deutlicher wird.

Auch Maggie ist nur vordergründig eine Altruistin.
"Es ging ihr doch gut. Sie brachte die Miete zusammen, indem sie für anständige Leute in Queens arbeitete. Ihr einziger Chef war ihr Gewissen. An den meisten Tagen hieß das: Besorgungen machen, babysitten oder im Namen ihre spanisch, russisch oder chinesisch sprechenden Nachbarn Verbindung mit der Stadtverwaltung aufnehmen. Gelegenheitsarbeiten. (...) Es war eine zufriedenstellende Arbeit, wenn auch nicht sonderlich gut bezahlt." (20)

Allerdings gewinnt man den Eindruck, dass sie sich selbst bestraft, so hungert sie ständig und isst kaum, lässt sich von einem ihrer Schützlinge schlagen, um sich dadurch "wertig" zu fühlen. Aus ihrem Helfersyndrom bezieht sie ihre Wertigkeit.

"Auch wenn diese Arbeit sich nicht auszahlte, ertrug Maggie Brunos Misshandlungen, ja, begrüßte sie sogar. Seine tätlichen Angriffe waren der Beweis, dass sie mit einer Arbeit beschäftigt war, die Opfer erforderte. (...) Ein Beweis für Charakter." (24)

Francine erscheint als die Gefestigte der Familie, die alles zusammengehalten hat.
"Scharfsichtig, aber nie mäkelig, intelligent, ohne es zeigen zu müssen, hatte Francine selbstlos ihr berufliches Weiterkommen für die Erhaltung der Familie geopfert - für die sie als Vermittlerin, Schlichterin und Friedenswahrerin fungiert hatte. Sie war Maggie zugleich Vorbild und abschreckendes Beispiel." (72)

Während des Ethans und Maggies Besuch bei Arthur brechen die alten Konflikte wieder auf und es kommt Bewegung in das Leben aller Beteiligten. Wird Arthur seine Kinder tatsächlich um das Geld bitten? Wird er sie wahrnehmen, jetzt da Francine die Vermittlerrolle nicht mehr übernehmen kann?
Wie wird sich die Familienkonstellation verändern?

Es ist vielleicht nicht DAS Sensationsdebüt, aber dennoch ein Roman, der einen kritischen Blick auf die zeitgenössische amerikanische Gesellschaft wirft, indem er die Figuren überzeichnet, ihr Verhalten ins Lächerliche zieht, ihnen aber auch die Möglichkeit gibt, sich weiterzuentwickeln. Auf jeden Fall lesenswert!

Vielen Dank an den Penguin Verlag für das Lese-Exemplar!

Dienstag, 24. September 2019

Wilson Collison: Das Haus am Kongo

- eine Novelle.

Dies ist bereits der dritte Roman, nach "Tod in Connecticut" und "Die Nacht mit Nancy", den ich von Wilson Collison lese, einem Broadway-Autor, den der Louisoder-Verlag glücklicherweise wieder aufgelegt hat.

Im Mittelpunkt seiner Romane stehen unkonventionelle junge Frauen, die für die Zeit, in der die Geschichten spielen- Anfang der 30er Jahre - emanzipiert und selbstbewusst auftreten und die vermeintlich bessere Gesellschaft mit ihren erfrischenden Ansichten schockieren.

Dieses Mal ist es die bildhübsche Blondine Dolly Bretton, eine Wahrsagerin, die aus den USA stammt und ihren Lebensunterhalt u.a. in Nachtclubs, als Stripteasetänzerin und Kellnerin verdient hat. Über ihren Hintergrund erfährt man wenig, nur dass sie in London auf Bill Shane gestoßen ist, der in den USA wegen Mord aus Eifersucht gesucht wird. Dieser nimmt sie mit der Wahrsagernummer mit nach Afrika, wobei sie ihm klare Grenzen vorgibt.

"Ich brauche keinen Mann in meinem Leben. Geschäft ist Geschäft, und ich habe keine Lust, mich so weit weg von zu Hause von Typen wie dir mit der Schlafkrankheit anstecken zu lassen." (16)

Ihr Ziel ist es, so viel Geld zu verdienen, dass die wieder in die USA zurückkehren kann, um dort ein Häuschen zu kaufen und ihre Tage "als Mädchen mit rätselhafter Vergangenheit" (20) zu verbringen.

Die Handlung setzt auf dem trägen Fluss Kongo ein, neben Dolly und Bill befindet sich Lady Essex auf einem alten Dampfer, von der Dolly denkt,
"dass sich die Engländerin schlicht und ergreifend zu ernst nahm. Und solchen Menschen stand Dolly schon per se skeptisch gegenüber. In ihren Augen waren sie bloß Wichtigtuer. Irgendwann musste schließlich jeder sterben. Was hatte es also für einen Sinn, auf andere herabzuschauen?" (25)

- sowie der Captain Finch und der Maschinist Bixby. Aufgrund eines Schadens am Kessel stranden sie im Haus des jungen Arztes Warwick - mitten in der Einsamkeit, dessen schöne Frau sich in der Einsamkeit am Kongo langweilt und die Bills Interesse weckt.

"Da fiel ihr ein, dass sie Bill warnen musste, der die Angewohnheit hatte jede hübsche Frau zu vernaschen, die seinen Weg kreuzte. Er und die Doktorsgattin hatten während des Abendessens schon Blicke gewechselt, und sie wusste, dass Bill die erstbeste Gelegenheit ergreifen würde. Erst hypnotisierte er sein Beute und dann fiel er über sie her." (49)

Dolly hingegen findet Gefallen an Dr. Warwick, der sich zum Ziel gesetzt hat, etwas gegen die Schlafkrankheit zu finden.

Wie auch in "Die Nacht mit Nancy" sind Handlungsschauplatz und -zeit klar umgrenzt und sehr "dicht", so dass die Gefühle und Gedanken der einzelnen Figuren im Mittelpunkt stehen. Aus wechselnder personaler Perspektive erfahren wir vor allem, wie Dolly und der Arzt die Ausnahmesituation erleben. Welche Auswirkungen wird der Besuch für die einzelnen Personen und ihre Beziehungen zueinander haben?

Eine stringent erzählte Geschichte, die unaufhaltsam auf den Höhepunkt zusteuert - spannend zu lesen, was vor allem an der erfrischenden Protagonistin liegt und an dem lakonisch-ironischen Stil Collisons, der die Dekadenz und Langeweile der weißen Ladies und auch Bills unter die Lupe nimmt. Ein Lesegenuss!

Vielen Dank dem Louisoder-Verlag für das Lese-Exemplar!

Freitag, 13. September 2019

Simone Lappert: Der Sprung

...vom Dach.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman "springt" in die Handlung, denn gleich zu Beginn wird im zeitdehnenden Erzählen der Sprung der Protagonistin Manu beschrieben. Dass Manu springt, wird bereits im Klappentext verraten. (Schade eigentlich)

Nach diesem furiosen Einstieg "springt" die Handlung auf den Tag davor zurück und wir erfahren, wie verschiedene Figuren diesen erlebt haben. Aus wessen personaler Perspektive erzählt wird, erfährt man jeweils anhand der Kapitelüberschrift.

Dreh- und Angelpunkt ist zunächst Roswithas Gastwirtschaft am Markt der kleinen süddeutschen Stadt Thalheim. Die Wirtschaft bietet mit der empathischen Wirtin eine Anlaufstelle für einsame, traurige, aber auch glückliche Menschen.
Da sitzt zunächst der Polizist Felix, der gerade eine Fortbildung absolviert hat, wie man mit suizidgefährdeten Personen umgeht und dessen Frau Monique schwanger ist. Irgendein Problem belastet ihn und trübt die Beziehung zu Monique. Er zieht sich zurück und ist nicht in der Lage mit ihr darüber zu reden.

Auch in Marens Ehe gibt es Probleme, seit ihr Mann Hannes zu einem Fitness- und Gesundheitsfanatiker mutiert ist und er sie nicht mehr „sein Pralinchen“ (26) nennt.

Egon ist wie Felix Stammgast in der Gastwirtschaft. Der gelernte Hutmacher musste seinen Laden schließen, in dem befindet sich jetzt eine Handyklinik. Als Vegetarier verabscheut er seine neue Arbeit in der Schlachterei. Immer dienstags ist Schweineaugentag, dann erscheint der Fahrradkurier Finn und die beiden rauchen zusammen eine Zigarre. Finn, der eigentlich mit seinem Fahrrad eine Weltreise machen will, aber wegen Manu zurzeit in Thalheim gestrandet ist.

Manu, die Biologie studiert hat, arbeitet als Gärtnerin und rettet eingetopfte Pflanzen, um sie in ihr „Topfpflanzenasyl“ im Wald zu setzen. Eine schräge Figur, über deren Vergangenheit Finn kaum etwas weiß, aber er weiß,
„(w)enn er mit ihr unterwegs war, kam es ihm vor, als hätte jede noch so banale Situation einen aufregenden Backstagebereich, zu dem nur sie ihm Zutritt verschaffen konnte. An ihrer Seite war er sich sicher, nichts zu verpassen. Er genoss das trügerische Gefühl, dass alles sich zum Guten veränderte, dass er selbst sich veränderte durch Manu, zu einem Menschen, mit dem er es besser aushielt allein, in eine bessere Version seiner selbst.“(35)

Warum ausgerechnet Manu auf dem Dach steht und springen will, kann man zu dem Zeitpunkt noch gar nicht verstehen.
Auch Henry hat einen besonderen Zugang zur Natur, allerdings liegt seine beste Zeit hinter ihm, denn im Moment lebt er als Obdachloser auf der Straße. Henry gehört zu den Figuren, über die ich gerne mehr erfahren hätte.

Der erste Tag
Auf dem Marktplatz in Thalheim befindet sich auch das Geschäft von Theres und Walter, mit dem es, seit sich außerhalb Discounter angesiedelt haben, bergab geht, was Walter in eine Depression stürzt. Theres lebt für ihre Überraschungseier-Sammlung, das tägliche Öffnen von sorgfältig ausgewählten Eiern scheint ihr Highlight zu sein.
Doch als Edna, eine ältere Dame, ehemals Lokführerin, Manu auf dem Dach des Hauses oberhalb von Marens Wohnung entdeckt und die Polizei informiert, ist auf dem Marktplatz – und plötzlich auch im Laden - die Hölle los. Felix wird zu dem Einsatz gerufen, er soll mit der jungen Frau verhandeln. Die Polizei reagiert über, anstatt den Platz zu räumen, taucht sogar das Fernsehen auf, Schaulustige versammeln sich, drehen Filme.
Unter ihnen die Jugendliche Winnie, die aufgrund der Tatsache, dass sie nicht dem gängigen Schlankheitsideal entspricht, in ihrer Klasse ausgegrenzt wird. Der Handlungsfaden um Winnie und ihrer Widersacherin Salome gehört zu den wenigen, die ich nicht so überzeugend fand. Auch das Verhalten von Manus Schwester Astrid, die gerade als Bürgermeisterin von Freiburg kandidiert, ist wenig glaubwürdig. Da bedient sich die Autorin einiger Klischees, ebenso bei der Darstellung des italienischen Designers, ein Handlungsstrang, auf den ich hätte verzichten können.
Allerdings haben diese Szenen auch komische, fast schon satirische Elemente, die jedoch in meinen Augen nicht ganz stimmig zu den sehr ernsten sind.
Doch auf den „schwächeren“ Mittelteil des Romans folgt der „zweite Tag“ und es kommt zu einigen überraschenden Wendungen sowie Einblicken in die Vergangenheit der Figuren, die erklären, warum sie in dieser Situation so reagiert haben.
Die Ausnahmesituation um Manu zeigt, wie ein einzelnes Ereignis, viele Personen beeinflusst, manche sogar so sehr, dass ihr Leben eine neue Wendung erfährt. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt und seine Kreise zieht.
Beeindruckt hat mich auch die Sprache des Romans, so dass ich ihn trotz einiger Szenen, die mir weniger gut gefallen haben, gerne weiter empfehlen werde.

Samstag, 7. September 2019

Mick Herron: Dead Lions

- der 2.Fall für Jackson Lamb und seine Slow Horses.

Leserunde auf whatchaReadin

Der vorliegende Agententhriller ist die Fortsetzung von "Slow Horses", das sind ausgemusterte Agent*innen des MI5, die aufgrund eines kapitalen Fehlers oder Fehlverhaltens ihre Tage in Slough House, einem heruntergekommen Bürogebäude fristen. Da sie nicht gekündigt werden können, sollen sie vor Langeweile "umkommen", so dass sie von selbst den Dienst quittieren. Sie erstellen Statistiken, werten Fotos aus, kurz: es sind Arbeiten, vor denen man weglaufen möchte.

An der Spitze steht der unsympathisch wirkende Jackson Lamb, der seine Mitarbeiter*innen wie Fußabtreter behandelt, ungehemmt furzt, wenn sie in seinem Büro sind, doch wenn es hart auf hart kommt, setzt er sich für sie ein - so ist es zumindest im ersten Teil. Ist er immer noch loyal?

Zu den altbekannten Gesichtern, die im ersten Kapitel erzähltechnisch clever von einer fiktiven Katze vorgestellt werden, die durch die Räume des Slough House streift, gehören:

- Catherine Standish, die ehemalige "Moneypenny" des Secret Service Chefs, trockene Alkoholikerin,
- Min Harper, der einen wichtigen Datenträger in der U-Bahn hat liegen lassen,
- Louisa Guy, die eine Zielperson aus den Augen verloren hat,
- Roderick Ho, Computer-Genie, der nicht weiß, warum er abgeschoben wurde,
- River Cartwright, der aufgrund einer Intrige dorthin geraten ist - dank James Webb, der Spinne - und  dessen Großvater einst eine wichtige Rolle beim MI5 gespielt hat - auch in diesem Fall versorgt er ihn mit relevanten Informationen.

Die Neuen sind Shirly Dander und Marcus Longridge, die sich ein Büro teilen und einander argwöhnisch betrachten, da es heißt, Diana Taverner, die Vizechefin des MI5, habe einen Maulwurf bei den Slow Horses untergebracht.

Der Fall
Der einstige Agent Dickie Bow stößt zufällig in London auf einen ehemaligen russischen Agenten, der ihn während des Kalten Krieges in Berlin entführt hat. Während der Verfolgung wird er getötet, hinterlässt jedoch im Sitz eines Busses ein Handy, dessen Botschaft "Cicadas" (66) lautet. Jene Nachricht findet Jackson Lamb, der mit Bow gemeinsam in Berlin gewesen ist und nicht daran glaubt, dass er an einem Herzanfall bzw. an den Folgen seiner Alkoholsucht gestorben ist.
Zikaden können sehr lange unter der Erde bleiben, bis sie plötzlich erwachen und dann zu singen beginnen. Ist der Code eine Hinweis auf sogenannten Schläfer - auf Agenten, die immer noch im Dienst des russischen Geheimdienstes stehen und auf ihr Aufwachen warten? Zumindest gab es eine Legende, die genau das besagt, allerdings ging man beim MI5 davon aus, dass es genau das ist - eine Legende, dass dieses Netzwerk aus Zikaden nicht existiert und deren Kopf ebenso wenig.

Zeitgleich werden Louisa und Min, die inzwischen ein Liebespaar sind, von James Webb aquiriert - sie sollen Babysitter für einen russischen Oligarchen spielen, der nach London kommt und mit dem wichtige Geschäfte anstehen. Oder verfolgt Webb andere Ziele und die Slow Horses sind sein Notnagel, falls es schief geht?

Wie hängen die beiden Handlungsstränge miteinander zusammen? Und welche Rolle spielt das kleine englische Dorf Upshott, in das Jackson Lamb River Cartwright schickt, da dort der russische Agent zuletzt gesehen wurde?

Ein spannender Fall mit außergewöhnlichen Anti-Helden, die - sieht man von Lamb ab - durchaus sympathisch sind! Permanent muss man beim Lesen die eigenen Vermutungen revidieren, Erwartungen werden nicht erfüllt, unerwartete Wendungen überraschen. Das Ende ist furios und ich konnte den Roman nicht mehr aus der Hand legen, bis alle Puzzleteile an ihren Platz gefallen sind. Beste Unterhaltung, ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

Vielen Dank dem Diogenes-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Sonntag, 25. August 2019

Gregor Sander: Alles richtig gemacht

- Freundschaft im wiedervereinigten Deutschland.

Leserunde auf whatchaReadin

Thomas Piepenburg, inzwischen 50 Jahre alt, wächst in Rostock Anfang der 70er Jahre auf. Sein Vater besitzt eine Drogerie und seine "Eltern taten eigentlich so, als würde es die DDR und ihren Sozialismus gar nicht geben." (25)

In ihrer alten Stadtvilla geht es ihnen gut und der Weg des Junior scheint vorgezeichnet - irgendwann soll Thomas das Geschäft seines Vaters übernehmen.
In der Schule lernt er Daniel Rehmer kennen  - der ein völlig anderes Leben führt. Mit seiner sehr jungen, alleinerziehenden Mutter Christine haust Daniel in einer herunter gekommenen Wohnung in Rostock. Während den FDJ-Veranstaltungen ist er oft krank, "seine Schlampenmutter schreibe ihm die Entschuldigungsbriefe" (27) heißt es.

Doch die beiden Jungen aus so unterschiedlichen Familien werden Freunde, Thomas ist von dem unangepassten Jungen fasziniert, auch von dessen hübscher Mutter, die Gegenstand seiner ersten sexuellen Fantasien wird. Als sie älter sind, zieht Christine mit ihnen um die Häuser, trinkt, raucht und bietet Thomas einen krassen Kontrast zum konservativen Elternhaus.

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive Thomas erzählt, beginnend in der Gegenwart - in der heutigen Zeit, in der er gerade von seiner Frau Stephanie verlassen worden ist, die die beiden Zwillinge Nina und Miriam (13) mitgenommen hat. Er sitzt in seinem Haus in Berlin - der alten "Ostberliner Botschaft von Libyen" an der Grenze zwischen Pankow und Prenzlauer Berg und fragt sich verzweifelt, warum seine Frau weggegangen ist. Er arbeitet als Partner in einer Kanzlei - der fleißigste scheint er nicht zu sein - und soll für seine Partnerin einen ihrer Klienten übernehmen, da diese keine Zeit hat. Es geht um Iwan.
"Das ganze Programm. Körperverletzung, schwerer Raub, Drogenhandel, Nötigung, Hehlerei, Zuhälterei. Aber jetzt, so beteuert Agneszka, sei er schon seit ein paar Jahren sauber und ein erfolgreicher Geschäftsmann." (16)
Thomas trifft ihn einem Wellnesshotel und dort erwartet ihn eine Überraschung. Sein alter Freund Daniel, den er seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat, steht plötzlich vor ihm.

Sukzessive wird zwischen Episoden aus der Vergangenheit Thomas und Daniels sowie aus der Gegenwart erzählt. Wir erfahren, wie Thomas eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann beginnt und Daniel Koch werden will, wie die beiden in Rostock gemeinsam in Daniels Wohnung ziehen, nachdem seine Mutter sich in Richtung Hamburg verabschiedet hat. Daniel und Thomas sind fast immer zusammen, dabei wird deutlich, dass Daniel der Unangepasste bleibt - seine politische Meinung kund tun und in der Wendezeit von Rechten zusammengeschlagen wird, während Thomas unbeteiligt daneben steht.
In dem Zusammenhang fand ich unsere Leserunde sehr erhellend, da einige der Mitdiskutierenden in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind und uns ihre Eindrücke und Erfahrungen aus jener Zeit geschildert haben - wenn man rechtsextreme Schläger gesehen hat, hieß es laufen...
Als "Wessi" kenne ich nur das, was uns aus den Medien vermittelt wurde und was die Romane der Wendezeit erzählen. Insofern bietet der Roman Einblicke in jene Zeit und zeigt auch auf, wie viel sich verändert hat, v.a. in Berlin, in dem der größte Teil des Romans spielt.

Warum haben sich Daniel und Thomas so lange nicht gesehen, obwohl sie doch beste Freunde sind und bis zu Thomas Heirat fast immer zusammen gewohnt haben? Warum hatte Daniel Thomas Pass und musste plötzlich aus Deutschland verschwinden? Kann Thomas Daniel einfach in dem Haus Iwans unterbringen, aus dem Thomas die Mieter vertreiben soll, damit Iwan es sanieren kann, um dort Eigentumswohnungen zu bauen und zu verkaufen?
Nachdem Thomas Daniel dort eine Bleibe organisiert hat, weil er ihn nicht in sein eigenes Haus mitnehmen will - schließlich darf Daniel nicht erfahren, dass Stephanie ihn verlassen hat - sieht er beim Besuch einer Mieterin, die er "vertreiben" soll, plötzlich seine Frau in der Wohnung, in der er Daniel untergebracht hat. Was tut sie dort?

Schritt für Schritt - am Ende werden es Laufschritte ;) - erfahren wir die Hintergründe zu dem Pass, zu Daniels plötzlichen Auftauchen, zu Stephanies Verschwinden und gleichzeitig in den Rückblicken die Geschichte dieser Freundschaft zwischen einem coolen Draufgänger und einem angepassten, vorsichtigen jungen Mann, der aber auch seine anarchischen Phasen in der Umbruchzeit in Berlin erlebt hat.

Die Geschichte einer Freundschaft, die die Entwicklung zweier Jungen aus unterschiedlichen Familien nachzeichnet. Gleichzeitig ein zeitgeschichtlicher Roman, der die Jugend in der DDR, die frühen Jahre des wiedervereinten Deutschlands bis hin zur Gegenwart beleuchtet. Und in dem immer wieder auf zeitgenössische politische oder andere Ereignisse hingewiesen wird - ein Stück deutsche Alltagsgeschichte. Nebenbei liest Stephanie unglaublich viele Romane - so ist es eigentlich auch ein Buch über Bücher ;)
Erzählt wird in einem gelassenen, fast heiteren Tonfall, fast eine Art Plauderton, der dazu führt, dass man den Roman nicht mehr aus der Hand legen will.

Vielen Dank dem Penguin-Verlag für das Lese-Exemplar!

Dienstag, 6. August 2019

Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen


-        Preis der Leipziger Buchmesse (2019)



Der Roman „Schäfchen im Trockenen“ ist als Brief an die älteste, 14-jährige Tochter der Ich-Erzählerin konzipiert:
„Hör zu, Bea, was das Wichtigste ist und das Schlimmste (…), dass es keine Eindeutigkeit gibt. Das muss ich hier, ganz zu Anfang, schon mal loswerden – weil ich es immer wieder vergesse. (…) weil meine Sehnsucht nach Eindeutigkeit so groß ist und die Einsicht, dass es keine gibt, mich so schmerzt. (5)“
Die Ich-Erzählerin Resi hat mit ihrem letzten Buch ihre Freunde kritisiert und deren Verlogenheit aufgedeckt, alle hätten die gleichen Chancen und tuen so, als gäbe es keine Unterschiede zwischen ihnen. Ausgangspunkt ist der Umzug in ein gemeinsam entworfenes Haus in der Innenstadt, in das Resi aus Kostengründen nicht miteinziehen kann – sie lehnt sowohl die Erdgeschosswohnung als auch Geld eines ihrer Freunde ab, weil sie nicht mit Almosen abgespeist werden will.
Resi wäscht mit ihrem Buch schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit.
Ein Umstand, der dazu führt, dass die Freunde ihr die Freundschaft gekündigt haben und, was für eine 6-köpfige Familie in Berlin Mitte besonders drastisch ist, auch die Wohnung.
Mit „Schäfchen im Trockenen“ reagiert Resi auf die Reaktion ihrer einstigen Schulfreund*innen und deren Partner*innen und schreibt sich ihren Frust, ihre Entrüstung, ihre Wut von der Seele. Dabei beleuchtet sie die zurückliegenden Ereignisse nicht chronologisch, sondern springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie führt fiktive Gespräche mit ihren Freund*innen, entwirft alternative Handlungen, was beim Lesen ab und an für Verwirrung sorgt.
Auch flicht sie Episoden aus dem Leben ihrer Mutter ein, der sie vorwirft,
„ihre Träume von Freiheit ihren Töchtern aufgehalst zu haben – ohne Idee davon oder Hinweis drauf, wie sie vielleicht zu verwirklichen wären.“ (8)
Aus diesem Grund will sie ihrer Tochter Bea schonungslos die Wahrheit schreiben, will sie „aufklären“, vorbereiten auf ein Leben, in dem es Gerechtigkeit nicht gibt und das „Haus“, aus dem man stammt, immer noch maßgeblich über das Leben entscheidet, das man führt.
„Bea ist jetzt vierzehn und gehört initiiert. Aufgeklärt und eingeführt in die Welt der Küchenböden, Arbeitsteilung, Arbeitsverteilung, Putzjobs, Lohnkosten, (…). Anders als meine Mutter werde ich nicht davon ausgehen, dass sie mit der Zeit schon erfährt, was sie wissen muss (…)“ (12)
Sie soll die Wahrheit erfahren, dass die Freund*innen Resis „ihre Schäfchen im Trockenen“ (15) haben, in die Fußstapfen ihrer wohlhabenden, reichen Eltern getreten sind, während sie selbst, als Künstlerin, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt, mit Künstlerehemann und vier Kindern Schuld daran hat, in einer weniger privilegierten Situation zu sein, denn Kinder kosten bekanntlich Geld und man sollte sie nur bekommen, wenn man sie sich leisten kann  - so die Meinung ihrer Freund*innen.
Am Beispiel eines Skiurlaubs, an dem alle damals 17-jährigen Freund*innen teilnehmen - weil es selbstverständlich bisher Teil ihrer Familienurlaube gewesen ist – beschreibt Resi, wie ihr der Unterschied zum ersten Mal wirklich deutlich ins Bewusstsein getreten ist. Hätte sie einfach mitfahren sollen, sich Geld leihen, sich mehr anstrengen müssen, „weil wir ja auch alle unseres Glückes Schmied waren.“ (69) Oder sind die „Klassengrenzen“ oder Standesunterschiede nicht zu überwinden? Um diese Frage dreht es sich letztlich, darin waren wir uns im Lesekreis einig.
Der Roman ist, so sagt die Ich-Erzählerin selbst, „das Gegenteil eines gut gebauten, elegant komponierten Romans.“ (42), was natürlich gnadenlos untertrieben ist. Er ist durch und durch komponiert, mit zahlreichen intertextuellen Anspielungen versehen. Die Handlung führt letztlich immer wieder in ihre Kammer – ihr eigenes, kleines, fensterloses Zimmer zurück, das sie zur Verfügung hat – eine Anspielung auf den Essay von Virginia Woolf „A room of one´s own“ (Schön, wenn Belesene im Lesekreis diskutieren 😉). Trotz dieser Komposition habe ich persönlich beim Lesen aufgrund einiger Wiederholungen Längen empfunden, die jedoch, wie meine Mitleserinnen argumentierten, die unterschwellige Bitterkeit der Protagonistin zum Ausdruck bringen sollen. Insgesamt, und da waren wir und einig, werden viele gut beobachtete Szenen erzählt, in der Resi das scheinheilige Verhalten ihrer Freund*innen, die die „unterschiedlichen Voraussetzungen (…) ignorieren“ und „mit neoliberalem Geschwätz von Aufstiegschancen“ (220) bemänteln, messerscharf und bitterböse seziert. Auch an Witz und Ironie sowie Selbstkritik mangelt es nicht.
Am Ende wird Resi dann ganz deutlich, sie prangert an, dass alle Probleme zugedeckt würden - statt offen zu sagen, dass zum Beispiel eine Familie zu sein, nicht immer schön ist. Dass Fotos gepostet werden, „um zu blenden, anzugeben, zu behaupten“ (238). Doch wie sieht die Wahrheit dahinter aus? Warum traut sich niemand auszusprechen, was nicht schön ist, was falsch läuft?
Resi hat sich getraut und ist dafür von ihren Freund*innen bestraft worden, weil man das nicht tut, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Etwas problematisch fanden auch wir, dass die Autorin ihr eigenes Leben im Roman verarbeitet hat, dass hinter den Freund*innen echte Menschen stehen, die sich in den Figuren wiedererkannt haben – was ist Fiktion, was Realität? – oder sollte man sich diese Frage nicht stellen? Schließlich steht auf dem Buchdeckel „Roman“ und Ich-Erzählerin ist nicht gleich Autorin…
Mich persönlich hat diese Frage beim Lesen weniger beschäftigt, sondern mir hat die offene Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie unsere Kommunikation und unser Verhalten die wahren Gefühle, Sorgen und Ängste beschönigen, übertünchen und verdecken, gefallen. Die teilweise drastische Sprache weniger, aber zur Wut, zum Ungeschönten gehört sie wohl dazu – soll schocken und aufrütteln. Das gelingt 😉.



Sonntag, 21. Juli 2019

Ian McEwan: Saturday

- ein Tag im Leben des Henry Perowne


Der Roman beschreibt einen Tag (!) im Leben des Neurochirurgen Henry Perowne, der nachts aufwacht und Himmel ein brennendes Flugzeug sieht. Das erinnert ihn an 9/11 - ein Ereignis, das 1 1/2 Jahre zurückliegt und von dem Perowne glaubt, es wirke sich noch 100 Jahre auf die westliche Zivilisation aus. Die Handlung spielt am 15.2.2003 in London, an dem Tag demonstrierten 700.000 Menschen gegen die Irak-Politik der USA und Großbritanniens. Auch Perowne selbst diskutiert mehrfach im Verlauf dieses Tages mit mehreren Personen über den bevorstehenden Krieg. Er selbst möchte ein Ende der Diktatur Saddams, da er einen irakischen Intellektuellen operiert hat, der im Gefängnis gewesen ist und ihm vom terroristischen Regime erzählt hat. Perownes Sohn ist eher indifferent eingestellt, er ist ein begnadeter Bluesmusiker, der sich ganz der Musik widmet.
Henrys Frau Rosalind arbeitet als Anwältin bei einer Zeitung, seine Tochter Daisy, die an diesem Tag zu Besuch kommen wird, hat gerade ihren ersten Lyrikband herausgebracht. Erwartet wird auch Rosalinds Vater - John Grammaticus, ebenfalls ein bedeutender Lyriker - und Henry besucht seine demente Mutter im Altenheim. All diese Ereignisse bieten Anlässe zu Erinnerungen und Rückblicken Henrys, aus dessen personaler Perspektive der Roman oft zeitdehnend geschildert wird.
Als er auf dem Weg zum samstäglichen Squash-Spiel mit einem befreundeten Anästhesisten ist, fährt er jemandem, der nicht mit einem Auto in der gesperrten Straße gerechnet hat, den Spiegel ab. Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Verbrecher (?) Baxter, die weitere Auswirkungen auf Henrys Tag haben wird.


Ein meisterhafter Roman, der zeigt, wie winzige Ereignisse unser Leben entscheidend prägen können, und der die familiären Strukturen der Familie ebenso messerscharf seziert wie die politische Lage - auch medizinisch bietet der Roman tiefe Einblicke (an einigen Stellen zu detailliert ;) ) in die Arbeit des Neurochirurgen Perownes, der sich auf Hirnchirurgie spezialisiert hat.

Freitag, 21. Juni 2019

Gabriele Kunkel: Mord im Piemont

- ein kulinarischer Krimi.


Der Prolog beginnt, wie ein klassischer Krimi beginnen muss - mit einem Mord ;)
Alexey Schukow, offenkundig ein Schurke, bedroht einen anderen Mann mit der Pistole und will ihn dazu zwingen, ihm etwas zu liefern. Was das sein soll, bleibt zunächst offen. Er entscheidet sich schließlich, den Mann doch nicht zu erschießen, sondern verlässt das "alte Casa" im Wald und wird selbst zum Opfer.

In der folgenden Handlung erscheint die Protagonistin des Romans - Sina Cassotto, die als Foodscout für die
"M.F.A., ein Münchner Feinkostladen mit Slow-Food-Image" (15) arbeitet und auf dem Weg zum "Mercato Mondiale del Tartufo Bianco D´ Alba" (10), der weltweiten bekannten Trüffelmesse im Piemont ist. Sie will weißen Trüffel kaufen - "das teuerste Lebensmittel der Welt." (14)

Sinas Mutter ist Deutsche, ihr Vater Italiener, der politisch ultralinks eingestellt ist, was ihr den Namen Sinistra (=links) Brunhilde (Name der dt. Großmutter) Cassotto eingebracht hat. Ihre Eltern leben inzwischen getrennt, die Mutter in ihrer Heimat in Stallwang, Niederbayern, der Vater an der Amalfiküste - zu beiden hat sie ein gutes Verhältnis, fühlt sich trotzdem zerrissen:
"Sie gehörte nie ganz dazu. In Deutschland war sie die Italienerin. In Italien die Deutsche. Lief was falsch, war immer diese "andere" Seite verantwortlich, dann war sie die sture Deutsch oder die chaotische Italienerin." (47)

Weil in Alba alles ausgebucht ist, hat ihr ein Freund aus Deutschland - Michael Schröder - sein Ferienhaus im Wald in Mondovì überlassen. Als sie nachts mit ihrem alten roten Lancia Spider, einem Erbstück ihres italienischen Großvaters, ankommt, begegnet ihr ein "Monster", der sich im weiteren Verlauf als Trifolao (=Trüffelsucher) Tino Grillo herausstellt und Sina die begehrten weißen Trüffel verkaufen kann - und zwar eine für den trockenen Sommer große Menge.

Doch zuvor entdeckt Sina an der Stelle, an der sie das Wasserleitung für Michaels Ferienhaus öffnen will, eine Leiche und wird kurz darauf von Bruno Di Neri, einem Psychotherapeut, der ebenfalls zurückgezogen im Wald lebt, in einen alten Wohnwagen eingesperrt, weil er glaubt, sie habe etwas mit dem Mord zu tun. Später werden die beiden gute Freunde.

Bruno informiert den gut aussehenden Commissario Falcone, der Sinas Reisepass einzieht und ihr verbietet, Mondovì zu verlassen. Als auch ein zweiter Mord in Sinas Umfeld geschieht, gerät sie noch stärker unter Verdacht, der jedoch völlig unbegründet ist. Denn als Leser*innen erleben wir den rasanten Krimi aus ihrer Perspektive, lesen ihre Gedanken, die durchaus sehr amüsant sind.
Es stellt sich heraus, dass das Trüffelgeschäft nicht nur wortwörtlich ein schmutziges ist, sondern dass einige sehr gut daran verdienen und unlautere Mittel anwenden.

Ein gelungener Krimi, der neben einer einzigartigen Kulisse auch viel Informatives über die piemontesische Küche sowie rund um den Trüffel bietet. Im Anhang finden sich eine kleine Trüffelkunde sowie einige Rezepte rund um das weiße Gold. Auch die Lösung des Falls stellt die kriminalistische Seele zufrieden, so dass der Roman seinem Untertitel alle Ehre macht.

Eine unterhaltsame Urlaubslektüre, zu der ein Prosecco aus Valdobiadene oder ein Glas Dolcetto perfekt passen ;)

Vielen Dank dem Louisoder-Verlag, einer "Buchmanufaktur mit viel Leidenschaft und Liebe zum Detail" (410), für das Lese-Exemplar.

Donnerstag, 20. Juni 2019

Daniel Mendelsohn: Eine Odyssee

Mein Vater, ein Epos und ich

Leserunde auf whatchaReadin

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um erzählendes, nicht fiktionales Sachbuch, ein Genre, das ich in der Art und Weise noch nicht gelesen habe.
Der Autor verknüpft die inhaltliche Darstellung der Odyssee von Homer nebst Interpretationen und Informationen zu diesem klassischen, antiken Versepos mit seiner persönlichen Beziehung zu seinem Vater, wobei sowohl dessen Leben als auch viele Episoden aus Daniel Mendelsohns Biographie erzählt werden.
Im Mittelpunkt steht bezogen auf den Vater die Frage:

"Aber welches ist das wahre Selbst?" (19)

Mendelsohn stellt fest, "wie ich in dem Jahr lernte, in dem mein Vater an meinem Odyssee-Seminar teilnahm und wir uns auf die Spuren der Reisen ihres Helden machten, gibt es auf diese Frage sehr überraschende Antworten." (19)


Ausgangspunkt des erzählenden Sachbuches ist also ein Seminar über die Odyssee, das der Professor für Altphilologie Daniel Mendelsohn am Bard College hält. Sein Vater, Anfang 81, bedauert bis heute, dass er in High School Latein abgewählt hat, und bittet seinen Sohn am Seminar teilnehmen zu dürfen,

"ich lese die Odyssee auf meinem iPad, aber vieles verstehe ich einfach nicht. Hast du nicht gesagt, dass du im nächsten Semester ein Seminar dazu hältst?" (82)

Der Aufbau des Romans entspricht dem Aufbau der Odyssee. Am Anfang steht das Proömium, in dem Mendelsohn die "Handlung" seiner Geschichte umreißt:
Wir erfahren, dass sich sein Vater wöchentlich freitagmorgens im Frühjahrssemester 2011 an den Sitzungen zur Odyssee beteiligte, dass die beiden daraufhin eine Mittelmeer-Kreuzfahrt "Auf den Spuren der Odyssee" unternahmen und dass Jay Mendelssohn im kommenden Jahr sein Haus, in dem er seit Daniels Geburt gelebt hat, verlassen musste, ausgelöst von einem Sturz auf einem Parkplatz, und den Mendelsohn als arche kakon - "der Anfang allen Übels" - bezeichnet, weil dieser letztlich zum Tod des Vaters führt.

An dieser Stelle des Sachbuchs führt der Autor zunächst die Bedeutung des Begriffs arche kakon in aller Ausführlichkeit aus, weist darauf hin, dass kakos (schlecht) sich in Kakophonie erhalten habe. Da dachte ich, das Buch sei zu dozierend, es werde zu wenig erzählt und statt dessen eine wissenschaftliche Abhandlung der Odyssee nebst etymologischen Erklärungen geliefert.

Doch in den folgenden Kapiteln stellte sich diese Angst als unbegründet heraus. Die im Proömium vorgestellte Ringkomposition, eine Erzähltechnik, in der der Erzähler

"mit seiner Geschichte [beginnt], nur um sogleich innezuhalten und auf eine ältere Situation zurückzukommen, die einen bestimmten Aspekt der Geschichte verständlich machen soll - sagen wir, ein Ereignis aus der Geschichte des Protagonisten oder seiner Familie -, und anschließend auf eine noch ältere Situation oder ein noch älteres Ereignis, das diesen etwas jüngeren Moment erklärt, und sich anschließend wieder in die Gegenwart zurückzuschrauben, bis zu dem Moment in der Erzählung, in dem er innehielt, um all diese Hintergründe zu liefern" (44),

beherrscht Mendelsohn selbst perfekt.

Im 2.Kapitel - Telemachie (Erziehung) - erfahren wir etwas über die ersten vier Gesänge der Odyssee, in denen nicht Odysseus, sondern sein Sohn Telemachos im Mittelpunkt steht und der im Verlauf der Handlung "erzogen" wird. Gleichzeitig erzählt Mendelsohn vom Seminar, in dem diese Gesänge besprochen werden und in dem sich sein Vater rege zu Wort meldet.
Zudem beleuchtet er die Vergangenheit seines Vaters sowie seine Lebenseinstellung als "Schmerzensmann" - eine wortwörtliche Übersetzung von Odysseus.

"Wenn man sich nicht anstrengen muss, lohnt es sich nicht." (73)

Das scheint Jay Mendelsohns Lebensmotto zu sein, das ihn zu der Einstellung führt, Odysseus sei kein Held, da er immer wieder von den Göttern Hilfe erhalte und annehme.
In den weiteren Gesängen geht es um Odysseus selbst und den göttlichen Plan, wie es ihm gelingen kann, nach Hause zurückzukehren und von seiner Frau wirklich erkannt zu werden.
In diesem Teil erläutert Mendelsohn, was im griechischen Epos unter einer wahren Partnerschaft verstanden wird, "vollkommener Einklang im Denken" (158) - ein schöner Gedanke, denn so kann Penelope Odysseus seelisch erkennen, aufgrund ihrer Erinnerungen und gemeinsamen Geheimnisse, denn der Körper verändert sich.

Im 3.Kapitel - Aplogoi (Abenteuer) - erzählt Mendelsohn einerseits von den Seminarsitzungen, in denen die bekannten Abenteuer des Odysseus im Mittelpunkt stehen, und der Kreuzfahrt, die er gemeinsam mit seinem Vater im Juni unternommen hat. Auf den Spuren des Odysseus entdeckt er neue Seiten an Jay Mendelsohn. Auch als Leser*in musste ich mein Bild von diesem interessanten älteren Herren revidieren. Die Beziehung der beiden erreicht eine neue, andere Qualität, die mit dem Seminar, aber auch der gemeinsam verbrachten Zeit sowie mit neu geteilten Geheimnissen zusammenhängen.

"Wie viele Seiten mochte mein Vater haben, und welche war die >wahre< Seite?" (178)

Anagnorisis (Wiedererkennung) - Odysseus und Penelope müssen sich wiedererkennen, darin geht es in den Gesänge der Odyssee, nachdem der Held nach Ithaka zurückgekehrt ist.
In Bezug auf Jay Mendelsohn erfahren wir etwas über das Verhältnis zu seiner Frau, Daniel lässt Weggefährten zu Wort kommen, über die er mit seinen Vater nach dessen Tod spricht. Wieder zeigen sich neue Seiten an Jay und einiges, was Daniel geglaubt hat, über diesen zu wissen, muss er revidieren.

"Doch der Sohn, auch wenn er von seinem Vater ist, kann nicht alles über seinen Vater wissen, weil der Vater vor ihm da ist." (336)

Der letzte Teil - Sema (Zeichen) - erzählt vom Tod Jay Mendelsohns und dem Ende des Epos.

Der Roman bietet fundierte Einblicke in das klassische Versepos Odyssee und erzählt gleichzeitig, wie diese die Vater-Sohn-Beziehung der Mendelsohns bereichert und auch verändert hat. Daniel erlebt neue Seiten an seinem Vater, macht sich auch nach dessen Tod auf die Suche nach der "wahren", wenn es sie denn gibt - oder haben wir nicht alle viele verschiedene Seiten.
Letztlich setzt er sich dadurch auch mit dem Verhältnis zu seinem Vater auseinander und geht der Frage nach, die auch in der Odyssee gestellt wird.

"Denn nur wenige Söhne sind wahrlich gleich ihrem Vater, meistens sind sie schlechter und nur wenige besser." (109)

Insgesamt fand ich die Kombination aus Informationen und Interpretationen zu Homers Odyssee und den erzählenden Passagen zur Vater-Sohn-Beziehung sehr reizvoll. Eine gelungene Ringkomposition!

Donnerstag, 6. Juni 2019

Kazuo Ishiguro: Als wir Waisen waren

- eine Kriminalgeschichte?

Lesekreis Bücherhütte


"Als wir Waisen waren" ist der 3.Roman, den ich von Ishiguro, der 2017 den Literaturnobelpreis gewonnen hat, lese.
Seinen berühmtesten Roman "Was vom Tage übrig blieb" fand ich herausragend, auch "Alles, was wir geben mussten" gefiel mir - die Idee Menschen als Organspender zu klonen, sie wie "normale Kinder" aufwachsen zu lassen, um sie dann "auszuschlachten", macht betroffen und am liebsten würde man eine solche Möglichkeit gerne ausblenden.

Auch im Roman "Als wir Waisen waren" führt uns Ishiguro unsere eigene Ignoranz vor Augen, zeigt uns den Krieg in all seiner Grausamkeit und einen Protagonisten, der unverdrossen seine eigenen Ziele verfolgt und - so haben wir es in unserem Lesekreis interpretiert - exemplarisch für die Kolonialmacht England steht.

Worum geht es?
Zunächst glaubt man, man habe einen Kriminalroman vor sich liegen. Der Ich-Erzähler, Christopher Banks erzählt im ersten Teil (Juli, 1930, London) davon, wie er sich nach seinem Abschluss in Cambridge dank seines Freundes Osbourne in der besseren Londoner Gesellschaft etabliert und seinen Traum, ein Detektiv zu werden, verwirklicht. Zu den Fällen, die ihn berühmt machen, werden jedoch keine näheren Umstände dargelegt und es wird auch nicht erläutert, wie er diese Fälle löst - eher untypisch für einen Kriminalroman.
Es stellt sich heraus, dass sein Berufswunsch aus dem Bestreben resultiert, das Verschwinden seiner Eltern in Shanghai Anfang 1911 oder 1912 aufzuklären.
Seine Kindheit hat er dort, im International Settlement, verbracht. Während sein Vater für eine Firma arbeitete, die den Opiumhandel unterstützte, wandte sich seine Mutter mit mutigen Kampagnen gegen diese subtile Unterdrückung der chinesischen Bevölkerung - mit Hilfe eines Freundes der Familie, Onkel Philip, der im weiteren Verlauf immer wieder auftaucht.
Eines Tages verschwindet sein Vater und der junge Christopher ist davon überzeugt, dass fähige Detektive ihn wieder finden werden. Mit seinem japanischen Freund Akira spielt er unermüdlich Szenen nach, in denen sein Vater aufgespürt wird.

Auch als seine Mutter kurz darauf ebenfalls entführt wird, will er Shanghai nicht verlassen,

"die Detektive bemühen sich sehr, meine Mutter und meinen Vater zu finden. Und es sind die allerbesten Detektive von Shanghai. Ich glaube, sie werden meine Eltern bestimmt sehr bald finden." (40)

Man mag dies als kindlichen Glauben abtun, doch beim Lesen entsteht nach und nach der Eindruck, das, was der Ich-Erzähler berichtet, sei nicht immer zuverlässig. Erste Diskrepanzen zwischen seiner Selbstwahrnehmung und der Realität werden deutlich. Als Osbourne sich erinnert:

"Mein Gott, zu Schulzeiten warst du wirklich ein merkwürdiger Vogel" (12),

gibt Banks vor, darüber nicht verstimmt gewesen zu sein. Obwohl er seinen Wunsch, Detektiv werden zu wollen, geheimhält, schenken ihm seine Freunde eine Lupe. Das sind erste Hinweise darauf, dass seine Erinnerung nicht mit dem übereinstimmt, was tatsächlich geschehen ist.

"Sicherlich trägt dieselbe aufgewühlte Gemütsverfassung dazu bei, dass mir, denke ich heute an jenen Abend zurück, viele Aspekte irgendwie übertrüben oder unnatürlich erscheint. Versuche ich zum Beispiel heute, mir den Raum vorzustellen, so ist er ungewöhnlich dunkel; und dies trotz der Wandlampen, der Kerzen auf den Tischen und der Lüster über uns - nichts scheint die vorherrschende Dunkelheit beeindrucken zu können." (22)

Verwirrung herrscht auch bei den Leser*innen, was teilweise mit der assoziativen Erzählweise zusammenhängt. Ankerpunkte sind die 7 Teile, die jeweils datiert sind. Der Ich-Erzähler berichtet, was jeweils bis zu diesem Zeitpunkt geschehen ist. Während er seine Erlebnisse wiedergibt, deutet er voraus, blickt zurück, relativiert seine Erinnerungen - da fällt es manchmal schwer den Überblick zu wahren.

Die ersten beiden Teile spielen im Jahr 1930 und 1931, im Mittelpunkt stehen Kindheitserinnerungen und seine Bekanntschaft mit Sarah Hemmings, eine Dame der Gesellschaft, die auf der Suche nach einem Mann ist, "der wirklich seinen Beitrag leistet. Ich meine für die Menschheit, für eine bessere Welt." (69)

Bezeichnenderweise nutzt sie Banks aus, um auf einem gesellschaftlich hochrangigen Empfang eingelassen zu werden. Eine sehr komische Szene...

Im 3.Teil, der 1937 spielt, taucht plötzlich eine Jennifer auf, die bisher keine Rolle gespielt hat - das ist so ein Moment, in dem man zurückblättert und denkt: "Habe ich etwas verpasst?" - Nein, die Verwirrung ist gewollt und führt uns auf die Spur, das wir diesem Erzähler nicht trauen dürfen.

Die Teile 4-6 (1937) führen Banks nach langer Ermittlungsarbeit von London aus zurück nach Shanghai, wo er endlich seine Eltern zu finden gedenkt - wie kann er sich sicher sein, dass sie nach all der Zeit noch leben? - und wieder auf Sarah Hemmings trifft, die in einer unglücklichen Ehe gefangen scheint. Ein Umstand, den unser Protagonist ebenfalls verkennt, genau wie die politische Situation. Es herrscht Krieg zwischen Japanern und Chinesen, während die alte Kolonialmacht ignorant an den bestehenden Verhältnissen festzuhalten scheint und sich für unverletzbar hält.
Und unser Protagonist? Er gerät zwischen die Fronten, ohne sich davon beeindrucken zu lassen. 
Die kafkaesk anmutenden Szenen - ein Häuserkampf in einem chinesischen Ghetto - haben zu kontroversen Diskussionen in unserem Lesekreis geführt. Können wir dem Protagonisten glauben? Ist das alles eine Wahnvorstellung? Fantasie? Warum konfrontiert uns der Ich-Erzähler mit diesem unglaublichen Leid, das detailliert geschildert wird? Und was hat Banks diesem Leid entgegenzusetzen, außer seinem kindlichen Glauben, wenn er seine Eltern fände, würde sich alles zum Guten wenden? Ishiguro konfrontiert uns mit unserer eigenen Ignoranz, das, was wir nicht sehen wollen, mit dem Elend, das der Krieg verursacht - kein Zufall, das Banks sich die Verletzungen einer Frau mit der Lupe ansieht...

Man ahnt, dass Banks diesen Fall nicht alleine wird lösen können und an seiner zerstörten Kindheit scheitert.

Ishiguro hat nach seinen Romanfiguren befragt - folgende Antwort gegeben:

"Viele von uns sind gezwungen, ihr Leben auf etwas zu gründen, was in seinem Wesen brüchig oder schon zerstört ist, etwas, das eigentlich repariert werden müßte, aber dazu ist es bereits zu spät. Und in gewissem Sinn ist alles, was man dann in seinem Leben auch tut, nur der Versuch, sich über diese Zerstörung irgendwie hinwegzutrösten.“

Ein Roman, der zu vielfältigen Interpretationen und Diskussionen einlädt, und - da waren wir geteilter Meinung - mit einer wunderbaren Sprache aus verschachtelten Sätzen -garniert mit Gedankenstrichen - , die ineinander fließen und uns umgarnen.


Donnerstag, 30. Mai 2019

Ian McEwan: Maschinen wie ich

Kann Bewusstsein aus dem Wesen der Materie entspringen?

Leserunde auf WhatchaReadin


McEwan beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit der Künstlichen Intelligenz und entwirft ein Szenario, in dem Roboter - Androiden - käuflich zu erwerben sind. Charlie, ein Lebenskünstler und Anfang 30, entscheidet sich das Geld, das er von seiner Mutter geerbt hat, in solch einen "Adam" zu investieren - die Eves waren schon ausverkauft ;)

Die Geschichte spielt im Jahr 1982, allerdings in einer Welt, die sich anders entwickelt hat, als wir sie aus der Vergangenheit kennen.

"Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein." (92)

Mit dieser Idee "spielt" McEwan, indem er den genialen Mathematiker und Vorreiter der modernen Informationstechnologie Alan Turing weiterleben lässt. Dank dessen bahnbrechenden Erfindungen gibt es im Jahr 1982 schon soziale Medien, selbstfahrende Autos und auch Androiden.

"Praktischer gedacht wollten wir eine verbesserte, modernere Version unserer selbst schaffen und die Freuden des Erfindens genießen, das Hochgefühl wahrer Meisterschaft." (9)

Nebenbei haben sich die Beatles wiedergefunden und Großbritannien hat den Falkland-Krieg verloren, was zu innenpolitischer Destabilisierung führt.

Im Vordergrund stehen jedoch die Beziehungen zwischen Charlie, aus dessen Ich-Perspektive erzählt wird, Adam und Miranda, Charlies Nachbarin, in die er sich verliebt und die seine Lebenspartnerin wird.
Nachdem Charlie Adam abgeholt hat, muss er zunächst aufgeladen und konfiguriert werden, d.h. Charlie muss "[s]einen Gefährten selbst formen." (17) Er bezieht Miranda mit ein und stellt sich vor, Adam sei ihr gemeinsames Projekt.

"Ich würde ihn mit Miranda teilen - wie ich ein Haus mit ihr hätte teilen können. Er würde uns beide in sich enthalten." (38)

Das Experiment misslingt insofern, da Charlie der Erste ist, "der von einem Androiden gehörnt wurde." (118) Miranda "betrügt" ihn mit einer Maschine, die sich anschließend in sie verliebt.

Ist Adam überhaupt noch eine Maschine? In der Diskussion zwischen Miranda und Charlie - Adam haben beide vorsorglich abgeschaltet - gibt er zu Bedenken:

"wenn er aussieht, sich anhört und benimmt wie ein Mensch, dann ist er für mich auch einer." (132)

Die Grenzen verschwimmen auch für die Leser*innen, da Adam behauptet, er habe sich in Miranda verliebt und spätestens, wenn er beginnt für sie Haikus zu schreiben, drängt sich die Frage auf, ob Adam ein Selbst, ein Bewusstsein hat und ob es möglich ist, dass maschinelles Lernen Androiden dazu befähigt, wie ein Mensch zu fühlen.

Doch der Roman beschränkt sich nicht auf philosophische und moralische Fragen zur Künstlichen Intelligenz, sondern erzählt auch eine Geschichte. Da Adam unbegrenzt (!) Zugang zu Informationen hat, erfährt Charlie, dass Miranda in ein Gerichtsverfahren verwickelt gewesen ist, Adam will ihm jedoch nichts Näheres verraten.

Eine weitere Figur, die im Roman eine Rolle spielt, ist der kleine Mark. Ein vierjähriger Junge aus einer sozial schwachen Familie, den Charlie auf dem Spielplatz vor den Schlägen seiner Mutter beschützt und dessen Vater Charlie auffordert, Mark einfach mitzunehmen. Eines Tages steht der Kleine tatsächlich vor der Tür. Was soll Charlie nun tun?

Die verschiedenen Handlungsfäden weben sich zu einem Ganzen zusammen, so dass ich die Kritik,  das Literarische komme zu kurz, nicht nachvollziehen kann. Die Geschichte trägt und aufgrund der vielen existentiellen, moralischen und philosophischen Fragen hallt dieser Roman noch lange nach.

Einige davon schwirren immer noch in meinem Kopf herum:

  • Die Androiden basieren auf einer Software, die "das Beste in uns heraufbeschwor" (122), aus dem Durchspielen moralischer Dilemmeta lernen sie und verhalten sich gut - moralisch besser als wir Menschen. Damit sind sie für das Leben unter Menschen schlecht gerüstet.

"Wenn wir unser eigenes Innerstes nicht begreifen, wie sollten wir da ihres gestalten und erwaten, das sie mit uns glücklich werden?" (395)
  • Darf Charlie Adam wie einen Sklaven behandeln, weil er ihn gekauft hat? Wenn er so etwas wie ein Selbst entwickelt, ist er dann noch eine Maschine?

"Liebe war ohne ein Selbst nicht möglich, genausowenig Denken. (...) Was Adam und seinesgleichen ans subjektivem Leben besaßen, konnte unsereins nicht verifizieren." (223)
  • Im offenen System leben agieren die Androiden nicht mehr nach der Trial-and-Error-Methode, sondern sie können Probleme im Vorhinein lösen (ehrlich gesagt, habe ich das mit dem P - NP-Problems nicht verstanden ;) ), ähneln in ihrer Intelligenz uns Menschen, sind aber dem kindlichen Spiel unterlegen, da Kinder intuitiv und kreativ die Welt erkunden. Könnte man einen Computer so programmieren, dass er die Welt wie ein Kind erfasst?


  • Während wir Menschen uns an Leid gewöhnt haben - trotz drohender Klimakatastrophe, Armut, Hunger und Krieg sind wir in der Lage persönliches Glück zu empfinden - können sich die Androiden, die darauf programmiert sind, sich moralisch richtig und gut zu verhalten, nicht damit abfinden. "Aber in all ihren tollen Programmcodes gibt es nichts, was Adam und Eve auf Auschwitz vorbereiten könnte." (243) Sind die Androiden die bessern Menschen und lösen uns irgendwann ab? Adams Meinung wird eindeutig in seinem selbst verfassten Haiku deutlich:
"Die Blätter fallen
Nächsten Mai sprießen wir neu
Doch du fielest schon." (370)

Für mich bisher der beste Roman in diesem Jahr!

Vielen Dank dem Diogenes-Verlag für das Leseexemplar.

Dienstag, 30. April 2019

Lukas Hartmann: Der Sänger

"Ein Lied geht um die Welt"

Leserunde auf whatchaReadin

Im September 1942 befindet sich der berühmte jüdische Tenor Joseph Schmidt aus Bukowina, Czernowitz, auf der Flucht. Zu Beginn der Handlung versteckt er sich im Haus von Freunden, im Süden Frankreichs.
Während er am letzten Abend dort die Elegie von Massenet singt, denkt er über seine Situation nach.

"Geliebte hatte er, der Sänger, viele gehabt und sie immer wieder verlassen, wie er nun auch diesen Ort verlassen würde. Nicht um der Einen die Treue zu halten, der Mutter, die starrsinnig in Czernowitz bleiben wollte, sondern dieses Mal, um der Deportation zu entgehen und sein Leben zu retten. Die Deutschen warne unterwegs in Pétains Rumpf-Frankreich und durchsuchten es nach versteckten Juden, sie würden auch nach La Bourboule kommen." (7)

Er hadert damit, dass er, den "man als den deutschen Caruso bejubelt hatte, [...] aus den Blättern und Radiosendern verschwunden, aus Filmen herausgeschnitten [war], die Schallplatten gab es nicht mehr in den Läden. [...] Er wusste, worum es ging: um die Ausrottung des Judentums in Europa." (8-9)

Um den Nationalsozialisten zu entgehen, ist eine Fluchtroute bereits festgelegt, ein Passeur soll ihm gemeinsam mit seiner Geliebten Selma, deren Bruder in der Schweiz lebt, sowie weiteren Flüchtlingen helfen, über die Schweizer Grenze zu gelangen. Schmidts rumänischer Pass ist ungültig, als staatenloser Jude hat er kaum eine Chance legal über die Grenze zu kommen.

"Die Schweiz hatte in den letzten Monaten ihre Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge rigoros verstärkt, Juden, erkennbar meist am J im Pass, wurden seit August konsequent zurückgewiesen." (12)

Trotzdem gelingt ihm die Einreise, wenn auch nicht ohne Hindernisse und Umwege. Sein Berühmtheit erleichtert ihm jedoch die Situation nicht - im Gegenteil, es entsteht der Eindruck, dass an ihm eine Art Exempel statuiert werden soll.

"[E]s sei beschlossene Sache, den Deutschen zu zeigen, dass der berühmte Joseph Schmidt gleich behandelt werde wie ein x-beliebiger jüdischer Viehhändler." (231)

Neben der personalen Perspektive aus der Sicht des Sängers Joseph Schmidt sind in die Handlung Aussagen eines Schweizer Doktor der Jurisprudenz in der Eidgenössischen Polizeiabteilung eingefügt, in denen dieser den Versuch unternimmt, die strengen Gesetze des Bundesrates zur Begrenzung des Flüchtlingsstroms mit ökonomischen Argumenten sowie der Bemerkung, man dürfe der Bevölkerung keine Überfremdung zumuten, zu rechtfertigen.

"Die Stimmung gegen Juden hat sich auch bei uns verstärkt. Das war noch anders vor dem Krieg. Nun ducken sich ja alle vor einem möglichen Überraschungsangriff der Wehrmacht." (88)

So erhält der Einzelfall Joseph Schmidt eine politische, allgemeinere Dimension.
Einschübe gibt es auch von einem seiner weiblichen Fans aus der Schweiz. Eine alte Dame, die sich daran erinnert, wie Joseph Schmidt in ihrer Nähe in einem Internierungslager untergebracht wurde und wie sie sich bemüht hat, ihn zu treffen. Diese Schilderungen verleihen dem Roman Authentizität und stellen das, was dem Sänger widerfahren ist, aus einer weiteren Perspektive dar.

Immer wieder werden die Ereignisse der Gegenwart von Erinnerungen des Sängers durchzogen. Ein wiederkehrendes Motiv ist dabei seine große Liebe zur Musik.

"Töne hatten Jossele von klein auf magisch angezogen, auch die Stimmen von Tieren, die er bald nachzuahmen versuchte, so wie er im Bethaus schon mit drei, vier Jahren in die gesungenen Gebete einstimmte, oft zum Verdruss des Vorsängers. Vom Singen ließ er sich nicht abhalten (...) " (19)

Der Musik ordnet er alles unter, auch seine Rolle als Vater. Er hat einen 7-jährigen Sohn, Otto, Lotte, dessen Mutter reist ihm nach, bittet ihn um Geld und um eine legale Verbindung. Doch er weist sie zurück.

"Aber die Vaterrolle im Ernst übernehmen, das konnte er nicht, er reiste zu viel herum." (21)

Zudem liebt er sein unstetes Leben, hat Geliebte, gibt sein Geld freigiebig aus, er ist ein "Bonvivant" (15), dessen Konstante im Leben die Mutter zu sein scheint. An sie, die inzwischen im Ghetto in Czernowitz ist, denkt er besonders oft. Sie, die ihn - im Gegensatz zum Vater - in seiner Liebe zur Musik unterstützt und durchgesetzt hat, dass er Sänger werden konnte.

Der Roman bringt den Leser*innen die etwas eigensinnige Person Joseph Schmidt näher, der unter seiner Größe (1,54 m) gelitten hat und dessen schwieriges Verhältnis zum Vater eine Ursache dafür sein kann, dass er selbst seine Vaterrolle nicht ausfüllen konnte.

Gleichzeitig stellt er die in der Schweiz während des 2.Weltkrieges herrschende Flüchtlingspolitik gegenüber den Juden dar. Die Parallelen zur heutigen Zeit scheinen nicht zufällig zu sein, das ist auch der Tenor in der Leserunde.

Doch Hartmann klagt nicht nur an, sondern erzählt auch von Menschen, die Schmidt geholfen und sich der offiziellen Politik widersetzt haben, und somit als positives Beispiel gelten können.
Ein lesenswerter Roman gegen das Vergessen!

Ein Dankeschön an den Diogenes-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Donnerstag, 11. April 2019

Joel Dicker: Das Verschwinden der Stephanie Mailer

- eine große Enttäuschung.

Leserunde auf whatchaReadin

Dickers Romane "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" und "Die Geschichte der Baltimores" habe ich jeweils als Hörbuch genossen: Geschichte, Schreibstil und Figuren haben mich gleichermaßen begeistert - Spannung auf hohem Niveau.
Umso enttäuschter bin ich, dass der neue Roman diese Erwartungen in keinster Weise erfüllen kann - und das sehen viele aus der Leserunde ebenso.
Der Geschichte ist viel zu konstruiert - es gibt zahlreiche Nebenhandlungen, die sich erst allmählich mit der Haupthandlung verknüpfen, aber nicht nahtlos einfügen. Während in den anderen Romanen die Nebenfiguren jeweils glaubwürdig und authentisch gezeichnet sind, wartet "Das Verschwinden der Stephanie Mailer" mit stereotyp überzeichneten Personen auf, die so unglaubwürdig wirken, dass es beim Lesen "weh" tut. Klischees werden bedient, wenn die Geliebte eines verheirateten Mannes diesen nur ausnutzt, sich teure Geschenke machen lässt und droht, seiner Frau alles zu erzählen.
Die Hauptfiguren, die drei Ermittler Jesse Rosenberg, Derek Scott und Anna Kanner wirken realitätsnaher, aber auch sie weisen in ihrem Verhalten Brüche auf, die man als Leser*in nicht immer nachvollziehen kann. Obwohl ich mich bei der Lektüre über Schreibstil - zu berichtend, teilweise gruselige Dialoge - und Figurenkonzeption geärgert habe, habe ich den Roman doch zu Ende gelesen, weil ich wissen wollte, wer denn jetzt den Vierfach-Mord im Jahr 1994 begangen hat - der im Mittelpunkt des Geschehens steht.

Handlung
Am 30.Juli 1994 wird das beschauliche Orphea in den Hamptons zum Schauplatz eines schrecklichen Mordes und das just am Abend des ersten Theaterfestivals. Der Bürgermeister wird samt Frau und Sohn erschossen, genau wie eine Joggerin, die sich vor dem Haus befunden hat. Da sich fast die gesamte Bevölkerung währenddessen im Theater befindet, wird es für die beiden jungen Ermittler Jesse Rosenberg und Derek Scott schwierig, Zeugen ausfindig zu machen. Dennoch gelingt es ihnen den Fall zu lösen.
Doch 20 Jahre später taucht die Journalistin Stephanie Mailer bei Rosenberg auf, der mit Mitte 40 den Dienst quittieren will, um etwas Neues zu beginnen, und erklärt ihm, sie hätten damals den Falschen überführt und sie habe neue Informationen zu dem Vierfach-Mord. Kurz darauf verschwindet sie.

Obwohl Rosenberg eigentlich verabschiedet werden soll, lässt ihm das Gespräch mit Mailer keine Ruhe, so dass er gemeinsam mit seinem alten Freund Derek, der inzwischen nur noch Innendienst verrichtet, und der jungen Polizistin Anna Kanner, die in Orphea einen Neuanfang starten will, den alten Fall wieder aufrollt. Was befindet sich direkt vor ihrer Nase, dass sie nicht gesehen haben? Genau das hat Stephanie vor ihrem Verschwinden Jesse "vorgehalten".
Die Handlung springt zwischen den Ereignissen im Jahr 1994 und der Gegenwart, die vorwiegend aus der Sicht Jesses erzählt wird, wobei es einen Countdown zum 20.Theaterfestival gibt:

"Jesse Rosenberg
Mittwoch, 9. Juli 2014, Los Angeles
17 Tage vor der Premiere",

so dass diesem Datum eine besondere Relevanz zuzukommen scheint.

Mehrere Figuren erzählen aus ihrer Sicht, während Jesse die Ereignisse der Gegenwart "berichtet", erfahren wir von Derek etwas über die Ermittlungen im Jahre 1994. Auch Anna Kanner kommt zu Wort sowie eine Fülle weitere Figuren, die alle irgendetwas mit dem Mord vor 20 Jahren zu tun haben oder in der Gegenwart eine Verbindung zu Stephanie Mailer aufweisen.

Eine besondere Rolle scheint der derzeitige Bürgermeister Alan Brown zu spielen, der damalige Vize-Bürgermeister, der Orphea in den letzten Jahren wirtschaftlich vorangebracht hat. Die Überschriften und Zeitangaben sorgen dafür, dass man nicht den Überblick verliert, allerdings die Lust am Lesen angesichts der überzeichneten, stereotypen, klischeehaften Figuren, ihrer furchtbaren Dialoge und ihrer willkürlichen Verhaltensweisen. Am Ende gibt es tatsächlich eine Lösung, die diesen Roman aber auch nicht mehr retten kann.

Wer die beiden ersten Roman von Dicker gern gelesen hat, sollte diesen erst gar nicht in die Hand nehmen - schade um die Lesezeit.

Trotzdem ein Dankeschön an den Piper-Verlag für das Leseexemplar.

Samstag, 30. März 2019

Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind

- eine Gesellschaftsstudie.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman spielt auf der griechischen Insel Hydra, im Mittelpunkt stehen die beiden jungen Frauen Naomi und Sam.

Naomi ist Britin, Sam Amerikanerin und beide vereint ihr Reichtum, ihre Dekadenz und die Gewissheit, dass sie immer weich fallen werden. Jimmie Codrington, Naomis Vater, ist Kunstsammler und Millionär, seine erste Frau ist früh gestorben.

"Solange es Naomi gab, war Helen nicht tot. Ein Teil der Mutter lebte in der Tochter fort. Doch ein kaputtes Zuhause zerstört alle Gewissheiten, mehr, als er geahnt hatte, mehr, als je irgendjemand ahnt. Naomi, dachte er, die beim Krebstod ihrer Mutter ein Teenager gewesen war, hatte sich nie davon erholt." (27)

Jimmi hat eine Griechin, Phaine, geheiratet - beide verkörpern eine unsympathische Arroganz, so dass man als Leser*in von Beginn an eine Antipathie ihnen gegenüber aufbaut, was auch an der Perspektive Naomis liegen mag, die man zunächst einnimmt. Die personale Erzählperspektive wechselt jedoch kontinuierlich, so dass alle Figuren aus unterschiedlichen Sichtweisen wahrgenommen werden.

Die Codringtons haben seit den 80er Jahren ein Haus auf der Insel, so dass Naomi dort jeden Sommer verbracht hat und Hydra in- und auswendig kennt. Sie hasst ihre Stiefmutter Phaine und fühlt sich nur allein wohl. Auf einem ihrer morgendlichen Schwimmausflüge lernt sie die weibliche Hälfte der Haldanes kennen, die ihren ersten Sommer auf der Insel verbringen. Sam ist fasziniert von der kühlen, abweisenden 24-jährigen Naomi und schließt sich ihr an.

"Sie schwamm nahezu geräuschlos, und während ihre Hände unter der Wasseroberfläche nach vorn glitten, erschien es Naomi, als hätten sie sich, ohne es zu merken, vom ersten Augenblick an freundschaftlich aneinander gerieben." (18)

Beide wirken merkwürdig unnahbar, nicht greifbar - das ändert sich kaum im Verlauf des Romans, so dass ich keine "Verbindung" zu den Figuren herstellen konnte.

"Ihre Haut erschien Sam wie eine englische Maske, die einem menschlichen Gesicht perfekt nachempfunden war und deren polierte Oberfläche das Lächeln nicht durchbrach. Dennoch spürte sie die Spannungen, die sich darunter hin und her Bewegten, als würden Gedanken und Stimmungen von einem leeren Raum zum anderen ziehen." (42)

Naomi, die in einer Anwaltskanzlei in London gearbeitet hat, hat aufgrund eines Fehlers ihre Stellung verloren und scheint auf der Suche zu sein, während Sam noch studiert. Ihre dekadente Langeweile wird jäh unterbrochen, als sie während eines Ausflugs einen syrischen Flüchtling entdecken und Naomi beschließt ihm zu helfen - aus "Wiedergutmachung für das ganze Geld, über das ich verfüge, ohne dafür gearbeitet zu haben." (64)

Ist das ihr Motiv? Man mag es nicht glauben und es stellt sich heraus, dass sie den aus gutem Haus stammenden Faoud für ihre Zwecke instrumentalisieren möchte. Er soll das Haus ihres Vaters ausrauben, eine Art Rache?
Das Hausmädchen Carissa, das seine Arbeitgeber hasst, da sie es nicht anständig bezahlen, soll als Komplizin fungieren - eine Rolle, die es bereitwillig annimmt, da es sich schlecht behandelt fühlt.

"In dieser Nacht dröhnte das Schnarchen, als wären sie riesige, fette Tropenfrösche. (...) Manchmal schockierte sie Naomis mangelnder Respekt vor ihrem Vater. Doch zugleich solidarisierte sie sich mit dem schikanierten Mädchen gegen dessen herrische und arrogante Stiefmutter." (85)

"Beide waren sie üble Geizhälse, es sei denn, es ging um gesellschaftlich Gleichgestellte, bei denen ihre Großzügigkeit natürlich prompt aufblühte. Sie bekam nur die Heuchelei und Knauserigkeit hinter den Kulissen zu sehen, eine Knauserigkeit, deren Ausführende sie ebenso sehr war, wie sie ihr zum Opfer fiel." (136)

Doch der sorgfältig ausgedachte Plan geht fürchterlich schief...


Bewertung

"Welch schöne Tiere wir sind, dachte Sam, schön wie Panther." (60)

Osborne seziert die dekadente Gesellschaft der Insel und zeigt auf, wie die "machtbesessene" Naomi Faoud für ihre Zwecke instrumentalisiert. Ihre Kaltblütigkeit, die nur wenige Risse aufweist, macht sie für mich zu einer unsympathischen Figur. Prinzipiell stört es mich nicht, wenn ein Roman keine Identifikationsfiguren bietet, wie es in "Welch schöne Tiere wir sind" der Fall ist.
Was mich jedoch stört, ist, dass die Figuren oberflächlich bleiben - allen voran Faoud, über dessen Hintergründe und Motive man kaum etwas erfährt - oder es ist so gut unter dieser Oberfläche versteckt, dass es sich mir nicht erschließt. Auch Naomis Motive lassen sich meines Erachtens psychologisch nur teilweise nachvollziehen - ebenso wie Sams Verhalten nach dem Raub, der aus dem Ruder gelaufen ist. Für mich sind diese Figuren nicht greifbar, das mag anderen Leser*innen anders ergehen, aber für mich blieb am Ende eine Leere zurück - ich habe den Roman zugeklappt mit dem Gefühl - und jetzt? Sind wir alle Tiere, die nach ihren Instinkten handeln und nur von Tag zu Tag leben - mit dem Unterschied, dass die Protagonisten "schön", reich, wohlhabend und satt sind?

Wenn Osborne die fehlende Moral dieser Gesellschaftsschicht darstellen will, hat er sein Ziel erreicht - die schönen Tiere gewinnen (?) Aber welche Rolle spielt Faoud in diesem Szenario, er wird instrumentalisiert und zum Tier? Die vielen Fragen, die sich mir am Ende des Romans stellen, zeigen die Ratlosigkeit, die er hinterlässt - zumindest hat die Diskussion in der Leserunde einige davon beantwortet ;)

Dem Piper-Verlag ein herzliches Dankeschön für das Rezensionsexemplar.