Leserunde auf WhatchaReadin
McEwan beschäftigt sich in seinem neuen Roman mit der Künstlichen Intelligenz und entwirft ein Szenario, in dem Roboter - Androiden - käuflich zu erwerben sind. Charlie, ein Lebenskünstler und Anfang 30, entscheidet sich das Geld, das er von seiner Mutter geerbt hat, in solch einen "Adam" zu investieren - die Eves waren schon ausverkauft ;)
Die Geschichte spielt im Jahr 1982, allerdings in einer Welt, die sich anders entwickelt hat, als wir sie aus der Vergangenheit kennen.
"Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragiles Konstrukt. Es hätte anders kommen können. Etwas oder alles könnte auch ganz anders sein." (92)
Mit dieser Idee "spielt" McEwan, indem er den genialen Mathematiker und Vorreiter der modernen Informationstechnologie Alan Turing weiterleben lässt. Dank dessen bahnbrechenden Erfindungen gibt es im Jahr 1982 schon soziale Medien, selbstfahrende Autos und auch Androiden.
"Praktischer gedacht wollten wir eine verbesserte, modernere Version unserer selbst schaffen und die Freuden des Erfindens genießen, das Hochgefühl wahrer Meisterschaft." (9)
Nebenbei haben sich die Beatles wiedergefunden und Großbritannien hat den Falkland-Krieg verloren, was zu innenpolitischer Destabilisierung führt.
Im Vordergrund stehen jedoch die Beziehungen zwischen Charlie, aus dessen Ich-Perspektive erzählt wird, Adam und Miranda, Charlies Nachbarin, in die er sich verliebt und die seine Lebenspartnerin wird.
Nachdem Charlie Adam abgeholt hat, muss er zunächst aufgeladen und konfiguriert werden, d.h. Charlie muss "[s]einen Gefährten selbst formen." (17) Er bezieht Miranda mit ein und stellt sich vor, Adam sei ihr gemeinsames Projekt.
"Ich würde ihn mit Miranda teilen - wie ich ein Haus mit ihr hätte teilen können. Er würde uns beide in sich enthalten." (38)
Das Experiment misslingt insofern, da Charlie der Erste ist, "der von einem Androiden gehörnt wurde." (118) Miranda "betrügt" ihn mit einer Maschine, die sich anschließend in sie verliebt.
Ist Adam überhaupt noch eine Maschine? In der Diskussion zwischen Miranda und Charlie - Adam haben beide vorsorglich abgeschaltet - gibt er zu Bedenken:
"wenn er aussieht, sich anhört und benimmt wie ein Mensch, dann ist er für mich auch einer." (132)
Die Grenzen verschwimmen auch für die Leser*innen, da Adam behauptet, er habe sich in Miranda verliebt und spätestens, wenn er beginnt für sie Haikus zu schreiben, drängt sich die Frage auf, ob Adam ein Selbst, ein Bewusstsein hat und ob es möglich ist, dass maschinelles Lernen Androiden dazu befähigt, wie ein Mensch zu fühlen.
Doch der Roman beschränkt sich nicht auf philosophische und moralische Fragen zur Künstlichen Intelligenz, sondern erzählt auch eine Geschichte. Da Adam unbegrenzt (!) Zugang zu Informationen hat, erfährt Charlie, dass Miranda in ein Gerichtsverfahren verwickelt gewesen ist, Adam will ihm jedoch nichts Näheres verraten.
Eine weitere Figur, die im Roman eine Rolle spielt, ist der kleine Mark. Ein vierjähriger Junge aus einer sozial schwachen Familie, den Charlie auf dem Spielplatz vor den Schlägen seiner Mutter beschützt und dessen Vater Charlie auffordert, Mark einfach mitzunehmen. Eines Tages steht der Kleine tatsächlich vor der Tür. Was soll Charlie nun tun?
Die verschiedenen Handlungsfäden weben sich zu einem Ganzen zusammen, so dass ich die Kritik, das Literarische komme zu kurz, nicht nachvollziehen kann. Die Geschichte trägt und aufgrund der vielen existentiellen, moralischen und philosophischen Fragen hallt dieser Roman noch lange nach.
Einige davon schwirren immer noch in meinem Kopf herum:
- Die Androiden basieren auf einer Software, die "das Beste in uns heraufbeschwor" (122), aus dem Durchspielen moralischer Dilemmeta lernen sie und verhalten sich gut - moralisch besser als wir Menschen. Damit sind sie für das Leben unter Menschen schlecht gerüstet.
"Wenn wir unser eigenes Innerstes nicht begreifen, wie sollten wir da ihres gestalten und erwaten, das sie mit uns glücklich werden?" (395)
- Darf Charlie Adam wie einen Sklaven behandeln, weil er ihn gekauft hat? Wenn er so etwas wie ein Selbst entwickelt, ist er dann noch eine Maschine?
"Liebe war ohne ein Selbst nicht möglich, genausowenig Denken. (...) Was Adam und seinesgleichen ans subjektivem Leben besaßen, konnte unsereins nicht verifizieren." (223)
- Im offenen System leben agieren die Androiden nicht mehr nach der Trial-and-Error-Methode, sondern sie können Probleme im Vorhinein lösen (ehrlich gesagt, habe ich das mit dem P - NP-Problems nicht verstanden ;) ), ähneln in ihrer Intelligenz uns Menschen, sind aber dem kindlichen Spiel unterlegen, da Kinder intuitiv und kreativ die Welt erkunden. Könnte man einen Computer so programmieren, dass er die Welt wie ein Kind erfasst?
- Während wir Menschen uns an Leid gewöhnt haben - trotz drohender Klimakatastrophe, Armut, Hunger und Krieg sind wir in der Lage persönliches Glück zu empfinden - können sich die Androiden, die darauf programmiert sind, sich moralisch richtig und gut zu verhalten, nicht damit abfinden. "Aber in all ihren tollen Programmcodes gibt es nichts, was Adam und Eve auf Auschwitz vorbereiten könnte." (243) Sind die Androiden die bessern Menschen und lösen uns irgendwann ab? Adams Meinung wird eindeutig in seinem selbst verfassten Haiku deutlich:
"Die Blätter fallen
Nächsten Mai sprießen wir neu
Doch du fielest schon." (370)
Für mich bisher der beste Roman in diesem Jahr!
Vielen Dank dem Diogenes-Verlag für das Leseexemplar.