Samstag, 29. Oktober 2016

Kristin Hannah: Die Nachtigall

- eine beeindruckende Geschichte vom Widerstand zweier Schwestern im besetzten Frankreich.

Hörbuch
18 Stunden
Gesprochen von Luise Helm
Erschienen im Aufbau-Verlag

Inhalt
Der Roman spielt zunächst in den USA, eine alte Dame, die Ich-Erzählerin, von Krankheit gezeichnet, hat ihr Haus verkauft. Sie steigt mühsam auf den Dachboden und sucht ihren alten Überseekoffer mit Erinnerungsstücken, wobei ihr Sohn Julien sie findet.

Im Rückblick wird im Folgenden die Geschichte zweier Schwestern - Vianne Moriac und Isabelle Rossignol - jeweils aus deren personalen Perspektive erzählt. Die Mutter der Mädchen ist gestorben, als Vianne 14 Jahre alt gewesen ist. Der Vater, ein Veteran des 1.Weltkrieges, sieht sich außer Stande die Mädchen groß zu ziehen und schickt sie in das Elternhaus seiner verstorbenen Frau "Le Jardin" in einer kleinen Stadt in Frankreich, in dem Madame "Unheil", wie Isabelle sie nennt, die Kinder versorgt, ohne ihnen eine Mutter zu ersetzen.
Vianne ist so in ihrem Kummer gefangen, dass sie sich nicht um ihre kleine Schwester kümmern kann. Sie verliebt sich Antoine, den schönsten Jungen des Ortes, und wird bereits mit 16 Jahren schwanger. Als sie das Kind verliert, ist so in ihrer Trauer gefangen, dass sie Isabelle sträflich vernachlässigt und diese in ein Internat abschiebt. Es ist eines von vielen, aus denen Isabelle flüchtet. Die eigentliche Handlung setzt unmittelbar vor der Invasion der Deutschen in Frankreich im Jahre 1940 ein. Während Isabelle erneut aus einem Internat herausfliegt und zu ihrem Vater nach Paris fährt, wird Antoine einberufen und muss Vianne und ihre gemeinsame 10jährige Tochter Sophie zurücklassen. Isabelle wird von ihrem Vater zu ihrer Schwester geschickt, gerät auf der Fahrt dorthin in einen Angriff der Deutschen und wird verletzt. Dabei lernt sie einen Widerstandskämpfer kennen, in den sie sich verliebt und der sie zu ihrer Schwester bringt, sie dort aber zurücklässt. Es fällt Isabelle schwer, sich im besetzten Frankreich einzufügen. Nach einer Rede Charles de Gaulles steht ihr Plan, sich der Résistance anzuschließen, fest. Zeitgleich wird ein deutscher Hauptmann in "Le Jardin" einquartiert, der sich nur allzu menschlich zeigt und nicht dem Bild des Feindes entspricht. Kollaborieren, sich widersetzen, offen Widerstand zeigen? Diese Fragen treiben die beiden Schwestern um. Isabelle findet schließlich ihren Weg zur Résistance und unter Einsatz ihres Leben bringt sie britische und amerikanische Piloten über eine Route durch die Pyrenäen in Sicherheit - die Route der Nachtigall.

Rossignol bedeutet übersetzt Nachtigall. Dieser Teil der Geschichte basiert auf der wahren Lebensgeschichte der Belgierin Andrée de Jongh, der es gelungen ist, 118 Piloten das Leben zu retten.
Währenddessen versucht Vianne zu überleben, sehr realistisch schildert die Autorin den täglichen Kampf um Lebensmittel, die permanente Angst in den Fokus der Besatzer zu geraten und die unbarmherzige Kälte des Winters. Dann werden die ersten Juden deportiert, auch Viannes beste Freundin Rachel steht auf der Liste und Hauptmann Beck versucht ihr zu helfen - vergeblich. Doch es gelingt Vianne Ari, den kleinen Sohn Rachels zu retten, indem sie ihn als den Sohn einer verstorbenen Cousine ausgibt und ihm gemeinsam mit Beck falsche Papiere besorgt.
Auch Vianne beweist Mut und geht ein hohes Risiko ein, um weitere jüdische Kinder zu retten und erträgt Unmenschliches, um das Leben Aris und Sophie zu bewahren.

Immer wieder springt die Handlung ins Jahr 1995: Die Ich-Erzählerin erhält eine Einladung zu einem Passeur-Treffen. Passeur werden diejenigen genannt, die anderen zur Flucht aus dem besetzten Frankreich verholfen haben. Spontan entschließt sie sich, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und die Einladung anzunehmen. Es bleibt verborgen, ob sich hinter der älteren Dame Vianne oder Isabelle verbirgt - das wird erst ganz am Ende auf dem Passeur-Treffen in Paris aufgelöst.
So viel sei verraten, dass beide Schwestern den Krieg überleben, wenn auch nicht unversehrt....

Bewertung
Der Roman ist 2015 in den USA unter dem Titel "The Nightingale" erschienen und hat sich sehr gut verkauft. In einer Rezension des Kirkus Reviews ist die Rede davon, dass die Tendenz der Autorin, die Geschichte sentimental zu gestalten ihre Ernsthaftigkeit untergrabe, der Roman jedoch respektabel und fesselnd sei.
Das trifft ziemlich genau meinen Eindruck. Mit 18 Stunden ist das Hörbuch recht umfangreich, die Geschichte zieht die Hörenden jedoch sofort in ihren Bann und lässt einen nicht mehr los. Beide Schwestern bieten auf ihre unterschiedliche Art und Weise Identifikationsfiguren.
Isabelle mit ihrem Mut, ihrer Leichtsinnigkeit und ihrem kindlichen Wunsch geliebt zu werden: Von ihrem Vater, der sie abweist, nicht in der Lage ist, aus dem eigenen Gefängnis, in das der 1.Weltkrieg ihn gezwungen hat, herauszukommen. Von dem jungen Widerstandskämpfer, der sie abweist, um sie zu schützen. Und schließlich von ihrer Schwester. Diese junge Frau ist, obwohl sie die Tragweite ihres Handelns nicht abschätzen kann, ein leuchtendes Vorbild - selbstlos rettet sie die Piloten vor dem sicheren Tod und beweist im weiteren Verlauf der Handlung großen Mut und Durchhaltewillen.

Vianne ist zarter, verletzlicher und bemüht sich zunächst, der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Sich bedeckt zu halten, nicht aufzufallen und keinen offenen Widerstand zu zeigen. Ihr geht es darum, ihre Tochter zu beschützen und Kontakt zu ihrem Mann aufnehmen zu können, die sie beide über alles liebt. Doch als ihre Freundin deportiert wird, verändert sich ihr Verhalten - und auch sie leistet auf ihre Art und Weise Widerstand und beweist großen Mut - viel mehr will ich hier nicht verraten.

Der Vorwurf der Sentimentalität ist durchaus gerechtfertigt - vor allem das Ende ist definitiv zu "kitschig". Andererseits berührt die Geschichte auch dadurch, dass sie die emotionale Ebene anspricht und die ein oder andere Szene wirklich ans "Herz" geht. Etwas weniger davon, hätte mir persönlich besser gefallen - nichtsdestotrotz ist der Roman lesenswert oder hörenswert, wozu auch die angenehme Stimme Luise Helms, die auch die Jojo Moyes Roman liest, maßgeblich beiträgt.