Freitag, 29. Juli 2016

Urlaubslektüre

Südtirol, 19.7.-31.7.2016

Drei ganz unterschiedliche Romane habe ich mir mit in Urlaub genommen.

1. "Die Prinzessin von Arborio" erzählt die Geschichte einer dreifachen Mörderin so, dass man tatsächlich zwischenzeitlich Verständnis für sie aufbringt und der Argumentation des Kriminalpsychologen, der sich in sie verliebt, folgen möchte. Ein sehr humorvoller Roman, der die Täterin auch als Opfer ihrer Anpassungsbereitschaft zeigt. Ihre Methode die ihr unliebsam gewordenen Männer wieder loszuwerden, ist dagegen gewöhnungsbedürftig ;).

2. "Ein Mädchen nicht von dieser Welt" erzählt von zwei neunjährigen jüdischen  Jungen, die von ihren Müttern im Wald versteckt werden, da ihnen im Ghetto die Deportation droht. Ein kleines Mädchen hilft ihnen beim Überleben. Eine sehr berührende Geschichte über Freundschaft, Hilfsbereitschaft und den Glauben daran, dass sich alles mit Gottes Hilfe fügen wird.

3. "89/90" ist ein Wenderoman, der aus der Perspektive eines 16-Jährigen die Ereignisse in Dresden in jener Zeit schildert. Ungeschminkt und unmittelbar. Die große Politik rückt in den Hintergrund, im Vordergrund stehen die konkreten Veränderungen für den Protagonisten, die in kurzen, assoziativen Episoden teilweise sehr komisch geschildert werden. Bin gerade im Jahr 1990 angekommen.


Montag, 18. Juli 2016

Annika Scheffel: Bevor alles verschwindet

- ein märchenhafter Roman über den Untergang eines Dorfes.

Buchdaten:

Taschenbuch: 411 Seiten

Verlag: Suhrkamp Verlag

Erschienen am: 8.Mai 2016

ISBN-13: 978-3518466773

Vielen herzlichen Dank an den Suhrkamp Verlag, der mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.


Inhalt
Der Roman beginnt "später", ungefähr 10 Jahre nach der Flutung eines kleinen Dorfes. Das Kreuz der ehemaligen Kirche ragt gespenstig aus dem entstandenen See heraus und Jula verabschiedet sich von Jules, der als "Geist" erscheint und zurück in den See geht. Ein unheimlicher Start, der die Frage aufwirft, wie es zu der Überflutung und zum Tod Jules gekommen ist.

Danach springt die Handlung zurück, bis zur Verkündung der Flutung. Dort, wo sich das Dorf befindet, soll ein See entstehen. Der kleine Fluss "Traufe" mithilfe einer riesigen Mauer gestaut werden, so dass Strom gewonnen und ein Erholungs- und Freizeitzentrum in der strukturschwachen Region entstehen kann. Doch die Bewohner sind nicht willens das kleine Dorf zu verlassen, obwohl sich das Unausweichliche schon vor langer  Zeit angekündigt hatte und nur wenige geblieben sind.

Im Mittelpunkt dieser märchenhaften Geschichte stehen die Figuren des Ortes, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, in denen sie und ihre Geschichte besonders im Mittelpunkt stehen. Innerhalb der einzelnen Kapitel, die von sechs Monaten vor bis zur Flutung selbst erzählen, wechselt die personale Erzählperspektive häufig, so dass immer alle Protagonisten im Blickfeld bleiben.

Sonntag, 10. Juli 2016

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

- eine Familiengeschichte und ein wunderbarer Liebesroman.

Meine Rezension zur Leserunde auf dem Blog Meine Welt der Bücher. Vielen Dank an Janine, aufgrund unseres Austauschs habe ich den Roman noch intensiver lesen und genießen können.

Buchdaten

Gebundene Ausgabe:

Verlag: Diogenes

Erschienen am: 24.Februar 2016

ISBN-13: 978-3-257-06958-7


Inhalt:

"Ich kenne den Tod schon lange, doch jetzt kennt der Tod auch mich." (S.9)

So beginnt der Roman, der aus der Ich-Perspektive des Protagonisten Jules erzählt wird, der gerade aus dem Koma aufwacht, nachdem er einen Motorradunfall gehabt hat. Seine Familie ist informiert, er scheint Frau und 2 Kinder zu haben. In der Nacht reflektiert er über sein bisheriges Leben:

"Was sorgt dafür, dass ein Leben wird, wie es wird?" (S.11)

Dann springt der Roman ins Jahr 1980, Jules erinnert sich und erzählt im Präteritum seinen Familienurlaub als 7-Jähriger. Gemeinsam mit seinen älteren Geschwistern Marty, den er nicht leiden kann, und Liz, die er sehr liebt, besucht er mit seinen Eltern seine Großmutter in Frankreich, im Languedoc. Sein Vater stammt aus dieser Gegend und die Beziehung des Vaters zu seiner Mutter scheint überschattet. Es ist kein fröhlicher Urlaub. Während einer Wanderung, auf der Jules zunächst unerschrocken über einen Ast balanciert, beobachten die Kinder, wie der kleine Hund einer Familie in einen reißenden Fluss fällt und ertrinkt.
Jules fragt sich nachts:

"Denn es schien Familien zu geben, die vom Schicksal verschont blieben, und andere, die das Unglück auf sich zogen, und in dieser Nacht fragte ich mich, ob meine Familie auch so eine war."(S.27-28)

Die Vorausdeutung weist auf das kommende Unglück hin, denn ein halbes Jahr nach dem Urlaub verunglücken die Eltern von Jules, Marty und Liz. Die Kinder kommen in ein Heim, ein Internat mit Schule, nur die Ferien verbringen sie bei ihrer Tante in München. Jede der drei geht unterschiedlich mit der furchtbaren Situation um. Marty wird zu einer Art Nerd, der sich verschließt und sich dem Computer verschreibt, Liz dagegen überspielt ihre Ängste und erscheint als Draufgängerin, die Drogen nimmt und im Internat als "Schlampe" bezeichnet wird. Jules zieht sich ebenfalls zurück, aus dem aufgeweckten, mutigen Jungen ist ein trauriger, ängstlicher geworden, der kaum Vertrauen zu den anderen Kindern fassen kann. Außer zu Alva, mit der er sich anfreundet, denn ein unsichtbares Band führt die beiden zusammen.

Montag, 4. Juli 2016

Leserunde zu Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit



Ab heute lese ich gemeinsam mit der netten Bloggerin Janine von Meine Welt der Bücher den Roman von Benedict Wells, über den ich schon so viel Gutes gehört habe, unter anderem von meinen Lieblingsbloggerinen Renie und Mirella, deren Rezensionen mich restlos davon überzeugt haben, den Roman endlich anzugehen.

Der Anfang ist schon mal vielversprechend, auf Janines Blog könnt ihr unsere Eindrücke verfolgen und natürlich gerne in die Leserunde einsteigen.

Freitag, 1. Juli 2016

Elizabeth Joy Arnold: Einundachtzig Worte

ein Liebesroman, eine Familiengeschichte, ein ungelöstes Rätsel und ein Buch über Bücher...

Buchdaten
Broschiert: 544 Seiten
Verlag: Diana Verlag
Erschienen am: 12.10.2015
ISBN-13: 978-3453358003
Originaltitel: The Book of Secrets

Mein Dank geht an das Bloggerportal, das mir dieses Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Inhalt
Chloe lebt zusammen mit Nate Sinclair über ihrer Buchhandlung, einem Antiquariat, das sogar Erstauflagen bedeutender Klassiker führt - wie die Chroniken von Narnia. Chloe beschreibt ihr bisheriges Leben gleich zu Beginn in knappen Worten:

"Es war einmal ein Mädchen, das hieß Chloe und lebte mehr oder weniger allein in einem kleinen Haus am Waldrand. An seinem achten Geburtstag wurde es wach und musste feststellen, dass seine Mutter bereits zur Arbeit gegangen war, ohne Guten Morgen zu sagen, ohne Kuss, ohne Glückwunsch. Sie hatte Chloe vergessen. Aber da Chloe ein eigensinniges Mädchen  war, machte sie sich selbst ein Geburtstagsgeschenk und schwänzte zum ersten - aber keineswegs letzten - Mal die Schule. (...) Und am Ende der Bayard Lane erblickte sie im Garten des größten Hauses im ganzen Staat, vielleicht sogar der ganzen Welt, zwei Mädchen in pastellfarbenen Kleidchen und einen Jungen in einem gebügelten weißen Hemd. Sie spielten miteinander, eine perfekte Familie, fast zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich war das, was Chloe sah, auch überhaupt nicht wahr. Aber sie das herausfand, liebte sie die drei schon seit vielen Jahren (...) Später heiratete sie den Jungen, bekam und verlor einen Sohn, eröffnete einen Laden und gründete ein eigenes Reich." (S.12)

Dann ist Nate eines Tages aus ihrem gemeinsamen Reich verschwunden und hinterlässt ihr nur "81 Worte", die jedoch seinen Weggang nicht wirklich erklären. Er muss zu seiner Familie zurück. Seine Mutter ist bereits vor langer Zeit gestorben und sein Vater Joel, der an Alzheimer erkrankt ist, ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Zum Entsetzen von Chloe, denn Joel Sinclair scheint mit dem Verlust ihres Kindes Gabriel in Verbindung zu stehen. Ein nicht gelöstes Rätsel hat Nate offensichtlich dazu veranlasst, Chloe überstürzt zu verlassen.
Im weiteren Verlauf erfahren die Leser/innen im Rückblick, wie Chloe die Sinclairs, die Kinder Grace, Nate und Cecile kennengelernt hat. Eine Freundschaft, die in der gemeinsamen Aufführung der Chroniken von Narnia gipfelt und dort ihr vorläufiges Ende findet.

Der Roman springt zwischen der Vergangenheit und Gegenwart, so dass sich sukzessive die gemeinsame Geschichte Chloes und Nates entfaltet.

Auslöser für die Erinnerungen an die Vergangenheit ist das Notizbuch Nates, das Chloe in der kostbaren Erstauflage "Der Chroniken von Narnia" findet und in dem er verschlüsselte Briefe an seinen Sohn hinterlassen hat, der mit zwei Jahren verschwunden ist. Die Nachrichten lassen sich mit einem Code lesen, den Chloe und Nate gemeinsam als Kinder entwickelt haben. Der Schlüssel ist jeweils ein literarisches Werk, in dem die Buchstaben, die sich im Notizbuch befinden herausgestrichen werden müssen, die übrig gebliebenen Buchstaben ergeben die Nachricht. Chloe gelingt es, das Notizbuch zu entschlüsseln, da Nate die Romane genommen hat, die für die beiden eine besondere Bedeutung haben. So taucht Chloe in die gemeinsame Vergangenheit ein und muss erkennen, dass Nate vieles vor ihr geheim gehalten hat.

Die Kindheit der Sinclairs ist vom fanatisch religiösen Vater Joel geprägt, der Prediger gewesen ist und sehr radikale Ansichten vertritt. So weckt er seine Kinder nachts, damit sie beten und sperrt sie ein, wenn sie in seinen Augen eine Sünde begangen haben. Chloe ist für ihn vom Satan geschickt, um seine Kinder in Versuchung zu führen. Die Kinder verlassen ihr Zuhause nur, um in die Kirche zu gehen und werden von ihrer kränklichen Mutter Sophia zuhause erzogen, die einen Gegenpol zum gestrengen Vater bildet und der Chloe ihre Begeisterung für Büchern verdankt. Sophia bietet Chloe die Bildung und die Herzenswärme, die ihr ihre eigene allein erziehende Mutter nicht geben kann und das Haus der Sinclairs ist für ein märchenhafter Ort, überschattet vom "bösen" Vater.
Mit den Kinder verbindet sie ein tiefe Freundschaft und so ist es nicht verwunderlich, dass Nate und Chloe sich als Jugendliche verlieben und sie auch mit den beiden Schwestern Nates Cecilia und der älteren Grace eine innige Freundschaft verbindet. Doch ihre Beziehungen werden immer wieder auf die Probe gestellt und zerbrechen fast...Am Ende kommt es zu einigen Überraschungen und Chloe erkennt, dass sie ihre Erinnerungen teilweise "umschreiben" muss.

"Denn alle Erinnerungen erzählen Geschichten, die aus der Distanz, mit der Weisheit späteren Lebens, umgeschrieben wurden, oder manchmal auch nach dem, wie wir uns die Ereignisse gewünscht hätten. Wir sind alle Schriftsteller, die ständig überarbeiten, um in unserem Leben einen Sinn zu entdecken." (S.540)


Bewertung
Den positiven Rezensionen, die ich bisher zu diesem Roman gelesen habe, kann ich nur zustimmen, da er alle Erwartungen erfüllt hat. Er ist unglaublich spannend, da das Rätsel von Nates überstürztem Aufbruch gelöst werden will. Wobei ich zugeben muss, dass das Ende mich nicht wirklich überrascht, da ich bereits geahnt habe, wer für Gabriels Verschwinden verantwortlich gewesen ist.
Der Roman zeichnet auch die Entwicklung der Sinclairs und Chloes zu Erwachsenen nach, zeigt auf, wie aus Freundschaft Liebe wird und wie sich Freundinnen aufgrund der widrigen Umstände auseinander entwickeln.
Er verdeutlicht die Qualen der Kinder, die unter dem christlichen Fundamentalismus ihres Vaters leiden. Die religiöse Ausrichtung wird nur angedeutet, der Begriff Evangelikalismus fällt, entscheidend ist jedoch, welches Verhalten der Vater den Kindern gegenüber an den Tag legt. Jedes Fehlverhalten wird bestraft, aus Angst davor, dass das Höllenfeuer ruft. Eine inhumane Einstellung, in der auch unehelich gezeugte Kinder keinen Platz finden und als "Ausgeburt des Satans" angesehen werden. Es fällt schwer, sich auf diese Denkweise einzulassen und man leidet mit Nate, Cecile und Grace und verurteilt den grausamen Vater.
Die Großartigkeit des Romans erweist sich jedoch am Ende, da jegliche Handlungen und Verhaltensweisen neu beleuchtet werden und Chloe erkennen muss, wie selektiv ihre Erinnerungen sind und dass sie überwiegend ihre Perspektive die Geschichte betrachtet hat. Für mich erstaunlich ist, dass diese Kehrtwende glaubwürdig ist - aus Gut wird nicht Böse oder umgekehrt, sondern der Fokus verschiebt sich und einer ehemals durchweg grausam beurteilten Handlung kann man ein wenig Verständnis entgegenbringen, das Verhalten der Figuren erscheint in einem anderen Licht.
Der Roman führt uns vor Augen, wie schnell wir unser Urteil fällen und unsere Erinnerungen diesen anpassen.
Der Roman ist jedoch auch eine Liebesgeschichte, die zeigt, dass eine gemeinsame Vergangenheit eine Beziehung zwar trägt, dass die Liebenden jedoch immer wieder aufeinander zugehen müssen und dass wir den anderen niemals ganz kennen werden.

Und er erzählt von einem tragischen Verlust, dem Verlust eines Kindes - Szenen von solcher Intensität, dass man den Roman am liebsten aus der Hand legen möchte - dann aber doch gezwungen ist weiterzulesen.

Ein vielfältiger, glaubwürdiger und berührender Roman, den es sich auf jeden Fall zu lesen lohnt.