Freitag, 13. September 2019

Simone Lappert: Der Sprung

...vom Dach.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman "springt" in die Handlung, denn gleich zu Beginn wird im zeitdehnenden Erzählen der Sprung der Protagonistin Manu beschrieben. Dass Manu springt, wird bereits im Klappentext verraten. (Schade eigentlich)

Nach diesem furiosen Einstieg "springt" die Handlung auf den Tag davor zurück und wir erfahren, wie verschiedene Figuren diesen erlebt haben. Aus wessen personaler Perspektive erzählt wird, erfährt man jeweils anhand der Kapitelüberschrift.

Dreh- und Angelpunkt ist zunächst Roswithas Gastwirtschaft am Markt der kleinen süddeutschen Stadt Thalheim. Die Wirtschaft bietet mit der empathischen Wirtin eine Anlaufstelle für einsame, traurige, aber auch glückliche Menschen.
Da sitzt zunächst der Polizist Felix, der gerade eine Fortbildung absolviert hat, wie man mit suizidgefährdeten Personen umgeht und dessen Frau Monique schwanger ist. Irgendein Problem belastet ihn und trübt die Beziehung zu Monique. Er zieht sich zurück und ist nicht in der Lage mit ihr darüber zu reden.

Auch in Marens Ehe gibt es Probleme, seit ihr Mann Hannes zu einem Fitness- und Gesundheitsfanatiker mutiert ist und er sie nicht mehr „sein Pralinchen“ (26) nennt.

Egon ist wie Felix Stammgast in der Gastwirtschaft. Der gelernte Hutmacher musste seinen Laden schließen, in dem befindet sich jetzt eine Handyklinik. Als Vegetarier verabscheut er seine neue Arbeit in der Schlachterei. Immer dienstags ist Schweineaugentag, dann erscheint der Fahrradkurier Finn und die beiden rauchen zusammen eine Zigarre. Finn, der eigentlich mit seinem Fahrrad eine Weltreise machen will, aber wegen Manu zurzeit in Thalheim gestrandet ist.

Manu, die Biologie studiert hat, arbeitet als Gärtnerin und rettet eingetopfte Pflanzen, um sie in ihr „Topfpflanzenasyl“ im Wald zu setzen. Eine schräge Figur, über deren Vergangenheit Finn kaum etwas weiß, aber er weiß,
„(w)enn er mit ihr unterwegs war, kam es ihm vor, als hätte jede noch so banale Situation einen aufregenden Backstagebereich, zu dem nur sie ihm Zutritt verschaffen konnte. An ihrer Seite war er sich sicher, nichts zu verpassen. Er genoss das trügerische Gefühl, dass alles sich zum Guten veränderte, dass er selbst sich veränderte durch Manu, zu einem Menschen, mit dem er es besser aushielt allein, in eine bessere Version seiner selbst.“(35)

Warum ausgerechnet Manu auf dem Dach steht und springen will, kann man zu dem Zeitpunkt noch gar nicht verstehen.
Auch Henry hat einen besonderen Zugang zur Natur, allerdings liegt seine beste Zeit hinter ihm, denn im Moment lebt er als Obdachloser auf der Straße. Henry gehört zu den Figuren, über die ich gerne mehr erfahren hätte.

Der erste Tag
Auf dem Marktplatz in Thalheim befindet sich auch das Geschäft von Theres und Walter, mit dem es, seit sich außerhalb Discounter angesiedelt haben, bergab geht, was Walter in eine Depression stürzt. Theres lebt für ihre Überraschungseier-Sammlung, das tägliche Öffnen von sorgfältig ausgewählten Eiern scheint ihr Highlight zu sein.
Doch als Edna, eine ältere Dame, ehemals Lokführerin, Manu auf dem Dach des Hauses oberhalb von Marens Wohnung entdeckt und die Polizei informiert, ist auf dem Marktplatz – und plötzlich auch im Laden - die Hölle los. Felix wird zu dem Einsatz gerufen, er soll mit der jungen Frau verhandeln. Die Polizei reagiert über, anstatt den Platz zu räumen, taucht sogar das Fernsehen auf, Schaulustige versammeln sich, drehen Filme.
Unter ihnen die Jugendliche Winnie, die aufgrund der Tatsache, dass sie nicht dem gängigen Schlankheitsideal entspricht, in ihrer Klasse ausgegrenzt wird. Der Handlungsfaden um Winnie und ihrer Widersacherin Salome gehört zu den wenigen, die ich nicht so überzeugend fand. Auch das Verhalten von Manus Schwester Astrid, die gerade als Bürgermeisterin von Freiburg kandidiert, ist wenig glaubwürdig. Da bedient sich die Autorin einiger Klischees, ebenso bei der Darstellung des italienischen Designers, ein Handlungsstrang, auf den ich hätte verzichten können.
Allerdings haben diese Szenen auch komische, fast schon satirische Elemente, die jedoch in meinen Augen nicht ganz stimmig zu den sehr ernsten sind.
Doch auf den „schwächeren“ Mittelteil des Romans folgt der „zweite Tag“ und es kommt zu einigen überraschenden Wendungen sowie Einblicken in die Vergangenheit der Figuren, die erklären, warum sie in dieser Situation so reagiert haben.
Die Ausnahmesituation um Manu zeigt, wie ein einzelnes Ereignis, viele Personen beeinflusst, manche sogar so sehr, dass ihr Leben eine neue Wendung erfährt. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt und seine Kreise zieht.
Beeindruckt hat mich auch die Sprache des Romans, so dass ich ihn trotz einiger Szenen, die mir weniger gut gefallen haben, gerne weiter empfehlen werde.