Samstag, 30. März 2019

Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind

- eine Gesellschaftsstudie.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman spielt auf der griechischen Insel Hydra, im Mittelpunkt stehen die beiden jungen Frauen Naomi und Sam.

Naomi ist Britin, Sam Amerikanerin und beide vereint ihr Reichtum, ihre Dekadenz und die Gewissheit, dass sie immer weich fallen werden. Jimmie Codrington, Naomis Vater, ist Kunstsammler und Millionär, seine erste Frau ist früh gestorben.

"Solange es Naomi gab, war Helen nicht tot. Ein Teil der Mutter lebte in der Tochter fort. Doch ein kaputtes Zuhause zerstört alle Gewissheiten, mehr, als er geahnt hatte, mehr, als je irgendjemand ahnt. Naomi, dachte er, die beim Krebstod ihrer Mutter ein Teenager gewesen war, hatte sich nie davon erholt." (27)

Jimmi hat eine Griechin, Phaine, geheiratet - beide verkörpern eine unsympathische Arroganz, so dass man als Leser*in von Beginn an eine Antipathie ihnen gegenüber aufbaut, was auch an der Perspektive Naomis liegen mag, die man zunächst einnimmt. Die personale Erzählperspektive wechselt jedoch kontinuierlich, so dass alle Figuren aus unterschiedlichen Sichtweisen wahrgenommen werden.

Die Codringtons haben seit den 80er Jahren ein Haus auf der Insel, so dass Naomi dort jeden Sommer verbracht hat und Hydra in- und auswendig kennt. Sie hasst ihre Stiefmutter Phaine und fühlt sich nur allein wohl. Auf einem ihrer morgendlichen Schwimmausflüge lernt sie die weibliche Hälfte der Haldanes kennen, die ihren ersten Sommer auf der Insel verbringen. Sam ist fasziniert von der kühlen, abweisenden 24-jährigen Naomi und schließt sich ihr an.

"Sie schwamm nahezu geräuschlos, und während ihre Hände unter der Wasseroberfläche nach vorn glitten, erschien es Naomi, als hätten sie sich, ohne es zu merken, vom ersten Augenblick an freundschaftlich aneinander gerieben." (18)

Beide wirken merkwürdig unnahbar, nicht greifbar - das ändert sich kaum im Verlauf des Romans, so dass ich keine "Verbindung" zu den Figuren herstellen konnte.

"Ihre Haut erschien Sam wie eine englische Maske, die einem menschlichen Gesicht perfekt nachempfunden war und deren polierte Oberfläche das Lächeln nicht durchbrach. Dennoch spürte sie die Spannungen, die sich darunter hin und her Bewegten, als würden Gedanken und Stimmungen von einem leeren Raum zum anderen ziehen." (42)

Naomi, die in einer Anwaltskanzlei in London gearbeitet hat, hat aufgrund eines Fehlers ihre Stellung verloren und scheint auf der Suche zu sein, während Sam noch studiert. Ihre dekadente Langeweile wird jäh unterbrochen, als sie während eines Ausflugs einen syrischen Flüchtling entdecken und Naomi beschließt ihm zu helfen - aus "Wiedergutmachung für das ganze Geld, über das ich verfüge, ohne dafür gearbeitet zu haben." (64)

Ist das ihr Motiv? Man mag es nicht glauben und es stellt sich heraus, dass sie den aus gutem Haus stammenden Faoud für ihre Zwecke instrumentalisieren möchte. Er soll das Haus ihres Vaters ausrauben, eine Art Rache?
Das Hausmädchen Carissa, das seine Arbeitgeber hasst, da sie es nicht anständig bezahlen, soll als Komplizin fungieren - eine Rolle, die es bereitwillig annimmt, da es sich schlecht behandelt fühlt.

"In dieser Nacht dröhnte das Schnarchen, als wären sie riesige, fette Tropenfrösche. (...) Manchmal schockierte sie Naomis mangelnder Respekt vor ihrem Vater. Doch zugleich solidarisierte sie sich mit dem schikanierten Mädchen gegen dessen herrische und arrogante Stiefmutter." (85)

"Beide waren sie üble Geizhälse, es sei denn, es ging um gesellschaftlich Gleichgestellte, bei denen ihre Großzügigkeit natürlich prompt aufblühte. Sie bekam nur die Heuchelei und Knauserigkeit hinter den Kulissen zu sehen, eine Knauserigkeit, deren Ausführende sie ebenso sehr war, wie sie ihr zum Opfer fiel." (136)

Doch der sorgfältig ausgedachte Plan geht fürchterlich schief...


Bewertung

"Welch schöne Tiere wir sind, dachte Sam, schön wie Panther." (60)

Osborne seziert die dekadente Gesellschaft der Insel und zeigt auf, wie die "machtbesessene" Naomi Faoud für ihre Zwecke instrumentalisiert. Ihre Kaltblütigkeit, die nur wenige Risse aufweist, macht sie für mich zu einer unsympathischen Figur. Prinzipiell stört es mich nicht, wenn ein Roman keine Identifikationsfiguren bietet, wie es in "Welch schöne Tiere wir sind" der Fall ist.
Was mich jedoch stört, ist, dass die Figuren oberflächlich bleiben - allen voran Faoud, über dessen Hintergründe und Motive man kaum etwas erfährt - oder es ist so gut unter dieser Oberfläche versteckt, dass es sich mir nicht erschließt. Auch Naomis Motive lassen sich meines Erachtens psychologisch nur teilweise nachvollziehen - ebenso wie Sams Verhalten nach dem Raub, der aus dem Ruder gelaufen ist. Für mich sind diese Figuren nicht greifbar, das mag anderen Leser*innen anders ergehen, aber für mich blieb am Ende eine Leere zurück - ich habe den Roman zugeklappt mit dem Gefühl - und jetzt? Sind wir alle Tiere, die nach ihren Instinkten handeln und nur von Tag zu Tag leben - mit dem Unterschied, dass die Protagonisten "schön", reich, wohlhabend und satt sind?

Wenn Osborne die fehlende Moral dieser Gesellschaftsschicht darstellen will, hat er sein Ziel erreicht - die schönen Tiere gewinnen (?) Aber welche Rolle spielt Faoud in diesem Szenario, er wird instrumentalisiert und zum Tier? Die vielen Fragen, die sich mir am Ende des Romans stellen, zeigen die Ratlosigkeit, die er hinterlässt - zumindest hat die Diskussion in der Leserunde einige davon beantwortet ;)

Dem Piper-Verlag ein herzliches Dankeschön für das Rezensionsexemplar.