Samstag, 7. April 2018

Kazuo Ishiguro: Was vom Tage übrig blieb

- Lebensgeschichte eines Butlers.

Quelle: pixabay
Kazuo Ishiguro hat letztes Jahr den Literaturnobelpreis erhalten, Grund genug, einen Roman von ihm zu lesen bzw. zu hören. "Was vom Tage übrig blieb" stammt aus dem Jahr 1989 und wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet.

Worum geht es?
Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Butlers Stevens rückblickend aus seiner Perspektive. Im Jahr 1956 setzt die Handlung ein.
Lange stand Stevens im Dienst von Lord Darlington auf seinem Landsitz Darlington Hall. Inzwischen ist es an den amerikanischen Millionär Farraday verkauft, das Personal stark reduziert und viele Räume eingemottet. Aus der Sicht von Stevens schleichen sich unverzeihliche Fehler ein, so dass er beschließt Farradays Angebot, dessen fünfwöchigen Aufenthalt in den USA für einen Erholungsurlaub zu nutzen, anzunehmen.
Farraday stellt Stevens dafür den alten herrschaftlichen Ford zur Verfügung. Stevens Ziel ist Miss Kenton, die ehemalige Hauswirtschafterin von Darlington Hall, die in ihrem letzten Brief an ihn angedeutet hat, um ihre Ehe stehe es nicht zum Besten, zu besuchen. Stevens möchte sie fragen, ob sie bereit sei, wieder in Darlington Hall zu arbeiten, um den Personalnotstand zu beseitigen.

Auf seiner Reise reflektiert der alte Butler
über seine Arbeit,
darüber, was einen perfekten Butler ausmacht,
was Würde in seinem Beruf bedeutet,
wie er mit dem Wunsch seines neuen Dienstherren, mit ihm zu scherzen, umgehen soll.

Er erinnert sich aber auch an bedeutende geschichtliche Ereignisse,
wie eine geheime Konferenz im Jahr 1923, an dem ein Amerikaner, Franzose, Engländer und Deutsche teilgenommen haben, um über die Folgen des Versailler Vertrags zu diskutieren,
oder die  Fürsprache der Appeasement-Politik durch Lord Darlington.

Er klammert auch weniger rühmliche Meinungsäußerungen und Einstellungen seines Dienstherren nicht aus, der zeitweise mit dem Faschismus sympathisiert hat, verhält sich jedoch - selbst in seinen Gedanken - loyal und findet entsprechende Ausreden, die zeigen, dass seine Wahrnehmung verzerrt ist.

Den Großteil seiner Reflexionen betreffen Miss Kenton selbst. Es ist offenkundig, dass sie in ihn verliebt ist und auch er entsprechende Gefühle für sie hegt - auch wenn er das niemals äußern würde - nicht einmal in seinen Gedanken.

Mit Spannung erwartet man das Treffen der beiden. Ob sich an ihrer Beziehung noch etwas ändern wird?

Bewertung
Das Augenscheinlichste an dem Roman ist die Art und Weise, wie Stevens erzählt, denn er verbirgt seine wahren Gefühle hinter einer Fassade aus Distanz und distinguierter Sprache. Kann man dem, was er erzählt, vertrauen? Oder ist es geprägt von seiner perfekten Rolle als Butler? Man muss schon sehr genau zwischen den Zeilen hören, um seine eigene Meinung, seine Trauer um den Tod des Vaters, seine Emotionen im Angesicht von Miss Kentons Heirat zu erahnen. Er tritt völlig hinter seiner Rolle zurück - der Mensch Stevens scheint nur ganz selten hindurch.
Stets haben eigene Bedürfnisse und auch Meinungen hinter den Aufgaben, die ein Butler mit Zurückhaltung erfüllen muss, zurückzustehen.
Am Ende des Romans deutet sich ein Wendepunkt an, das, "was vom Tage übrig blieb", zu genießen und vielleicht aus der perfekten Rolle herauszufallen.

Das Hörbuch, wunderbar gelesen von Gert Heidenreich, ist wirklich ein Genuss. Die würdevolle, reserviert-distanzierte Sprache Stevens ist einerseits faszinierend, andererseits steht sie Stevens persönlichem Glück im Weg, da sie seine Gefühle verbirgt.

Hörbuch von Audible
8 Stunden 51 Minuten