Dienstag, 4. Juli 2023

Volker Weidermann: Mann vom Meer

 - noch eine Biografie über Thomas Mann?

Leserunde auf whatchaReadin

In seinem Sachbuch erzählt der Journalist Volker Weidermann das Leben Thomas Manns, jedoch mit dem Fokus auf dessen Liebe zum Meer. Dabei muss er zwangsläufig vieles auslassen, auch seine Kinder tauchen nur am Rande auf, bis auf seine Lieblingstochter Elisabeth, die seine Liebe zum Meer "geerbt" und sie zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat.

In der Einleitung schildert Weidermann die erste Begegnung Elisabeths mit dem Meer - an der Hand des berühmten Vaters.

"Ein bisschen Angst hatte sie schon. Sie wusste ja, dass es ein großer Moment war. Vor allem für ihn, für Herrpapale, wie sie ihren Vater nennt. Sie wusste ja so gut, wie sehr er das Meer liebte. (...) Sie zittert aber vor allem vor  Freude, Erregung und ein wenig auch aus Angst, dass sie sich nicht begeistert genug zeigen könnte." (7)

Doch ihre Sorge ist unbegründet, das Meer übt auf sie eine große Faszination aus. Das greift Weidermann im Nachwort wieder auf, indem er seinen Besuch auf dem Forschungsschiff "Elisabeth Mann Borgese" schildert.

"Das Meer ist der stille Held all seiner Bücher." (12) - unter dieser Prämisse erläutert Weidermann sowohl Thomas Mann Beziehung zum Meer und legt eindrucksvoll dar, welche Rolle dieses in seinen bekanntesten Werken spielt - "Buddenbrooks", "Der Zauberberg", "Tonio Kröger" und auch "Der Tod in Venedig", um nur einige zu nennen.

Dabei zitiert der Autor, teilweise etwas zu ausführlich, aus den genannten Werken und interpretiert sie hinsichtlich der Bedeutung des Meeres. Er zeigt auf, inwiefern die Protagonisten Manns eigenes Verhältnis zum Meer widerspiegeln und belegt auch, dass Mann sein eigenes Leben "schamlos" ausgeschlachtet hat, persönliche Ereignisse verarbeitet, unerfüllte Wünsche zu Papier gebracht hat.

Thomas Mann Kenner werden das wissen, aber durch den Fokus auf das Meer ergeben sich neue Einsichten und Erkenntnisse. So liefern vor allem die ersten Kapitel Informationen über Julia Mann, Thomas Manns Mutter, die ihre Kindheit am Strand von Paraty - 250 km südlich von Rio de Janeiro -verbracht hat, "ein Kindheitsparadies" (19). Nach dem Tod ihrer Mutter verlässt ihr Vater dieses Paradies, um in seine Heimat Lübeck zurückzukehren, wo Julia mit ihren Geschwistern bei einer Pflegemutter untergebracht wird, während der Vater auf seine Plantage zurückkehrt.

Unter dem Leitspruch "Verleugne dich selbst" (33) wird sie ihren Weg in Lübeck gehen, den Konsul Mann heiraten - der Rest ist bekannt.

Thomas Mann selbst erblickt mit sieben Jahren zum ersten Mal das Meer, "sein Meer, die Lübecker Bucht, wo die Familie ab 1882 jedes Jahr vier Wochen Sommerferien verbrachte." (51) Eine Erfahrung, die ihn sein Leben lang begleitet und die sich vor allem in seiner Romanfigur Hanno Buddenbrook widerspiegelt.

Volker Weidermann klammert auch Thomas Manns Liebe zum eigenen Geschlecht nicht aus und stellt dar, wie Mann zur der Überzeugung gelangt, man brauche "eine Rüstung aus Bürgerlichkeit und Wohlanständigkeit, um in dieser Welt den inneren Kern aus Abenteurertum, Frivolität, unangemessener sexueller Neigung und Verworfenheit zu bewahren." (121)

Auch der Umschwung seiner politischen Einstellung wird dargelegt und in Bezug zum Meer gesetzt. In seiner Rede "Von deutscher Republik" habe er sich auch vom Meer verabschiedet, bzw. vom "Sog des Meeres. Von all dem, wofür das Meer für ihn immer auch stand: Verantwortungslosigkeit, Sympathie mit dem Tod, Sog ins Verderben, verbotene Liebe, Unpolitik, Antidemokratie, Rausch, Romantik, seliges Vergessen, Glück ohne Pflicht, Schönheit, Ferien für immer." (14)

Fazit: Ein Sachbuch, das für alle, die Thomas Mann und sein Werk kennen, neue Aspekte beleuchtet, und zudem "papierene Fährten" legt, wie jemand aus der Leserunde so treffend bemerkt. Dank der Bibliografie am Ende kann man gleich weiterlesen oder die Werke Thomas Mann mit neuem Blickwinkel genießen :).