Samstag, 7. September 2024

Daniela Krien: Mein drittes Leben

Leserunde whatchaReadin

Der Roman hat mich sofort eingesogen, liest sich gut und wechselt zwischen der Gegenwart, in der Linda, die Ich-Erzählerin ihr Leben auf einem abgelegenen Hof in einem kleinen Dorf schildert - an diesen Ort hat sie sich ein ihrer Trauer zurückgezogen, nachdem ihre 17jährige Tochter Sonja bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und sie selbst eine Krebserkrankung durchgestanden hat - und Lindas Erinnerungen.

Erinnerungen, daran, wie sie und ihr Mann Richard sich kennenlernten, daran, dass er bereits aus erster Ehe zwei Kinder hat, Ylvie und Arvid, mit denen Linda nicht warm geworden ist. Umso größer ihr Wunsch ein eigenes Kind mit Richard zu haben: Sonja.
Und da ist auch noch der Wunsch nach einem zweiten Kind.

"Warum bist du nicht auf die Welt gekommen?", flüsterte ich, und es antwortete: "Du weißt, warum." (S.44) Richard wollte nicht noch ein weiteres Kind, als er es dann doch in Erwägung zieht, ist Sonja bereits 6 Jahre alt und Linda nicht mehr bereit dafür und fühlt sich verraten.
"Er hatte uns aus dem Takt gebracht, unseren harmonischen Tanz jäh unterbrochen." (S.57)

Aber auch zuvor stellt Linda fest, dass sie nicht vollständig mit Sonja glücklich ist, da sie das Leben mit Baby zwar zum ersten Mal erlebt, Richard aber bereits zwei Kinder hat - sie wird immer die Zweite sein.
Auch als Sonja älter wird, ist sie "enttäuscht" von der harmoniebedürftigen Tochter, die kaum Ehrgeiz entwickelt und weniger Ecken und Kanten aufweist als ihre Halbgeschwister und zudem noch eine aus der Sicht der anderen problematische Esserin.
Heute macht sich Linda deswegen Vorwürfe, dass sie von Sonja enttäuscht war - kann sich selbst nicht verzeihen.
Richard hat zwei Jahre auf Linda gewartet - so lange lebt sie schon in dem abgelegenen Dorf, bevor er wieder am Leben teilnehmen will.
Natascha, die Linda mit ihrer autistischen Tochter Nine besucht, bringt es auf den Punkt:
"Sie wollen, dass er sich ebenso aufgibt, wie Sie es tun. Aber er lebt weiter. Und das nehmen Sie ihm übel." (S.70)
"Er hat sich gerettet. Auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod hat er sich für das Leben entschieden, während sie versucht haben, ihn zu den Toten rüberzuziehen." (S.71)

Der Roman wirft die schwierige Frage auf, wie weiterleben, wenn man das Kostbarste im Leben verloren hat. Kann und darf man jemals wieder glücklich werden, wenn das geliebte Kind gestorben ist? Wie lange darf Trauer dauern, wie viel Zeit in Anspruch nehmen? Dürfen wir uns anmaßen, darüber zu urteilen?
Linda kämpft sich in winzigen Schritten ins Leben zurück und das schildert Krien authentisch und sehr emphatisch. 
Ein lesenswerter Roman!