Freitag, 21. September 2018

Monika Maron: Ach Glück


Lesen mit Mira

Der erste Roman, den ich auf meinem E-Book-Reader gelesen habe. Ungewohnt...und ein Roman, bei dem Mira und ich uns intensiv ausgetauscht haben.

Worum geht es?
Johanna und Achim sind seit fast dreißig Jahren verheiratet. Sie schreibt über Bücher, er ist Germanist, Kleist-Experte, beide haben sich in der ehemaligen DDR dem System innerlich verweigert und der Triumph über deren Untergang

"sei das letzte große Gefühl gewesen, das sie beide miteinander geteilt hätten, behauptete Johanna."

Die Geschichte spielt einige Jahre nach dem Mauerfall, als sich Johanna entschließt die fast 90-jährige Natalia Timofejewna in Mexico City zu besuchen.
Sie kennt diese nur aus Briefen, seit sie in der Galerie des Russen Igor aushilft. Er erwartet von Natalia, einer russische Adlige, die auf Spurensuche nach einer früheren Künstlerin und Freundin in Mexico weilt, einen Geldbetrag für eine Künstler-Stiftung. Als sich diese Hoffnung zerschlägt, bleibt Johanna mit ihr in Kontakt.

"Sie war eine ungeübte Alleinreisende. Sie war noch nie allein geflogen, immer hatte Achim neben ihr gesessen (...)"

"Ich muss einer alten Dame helfen, sagte sie, was gelogen war. Natalia hatte mit keinem Wort zu verstehen gegeben, dass sie ihre Hilfe brauchte."

Wie kommt es, dass Johanna zum ersten Mal allein fliegt, ihr Leben auf den Kopf stellt und vertraute Wege verlässt?

"(...)eigentlich hat alles mit dem Hund angefangen."

Johanna findet einen Riesenschnauzer-Mischling an der Autobahnausfahrt Bredow, so nennt sie den Hund, den sie gegen den Willen ihres Mannes aufnimmt und jetzt -

"Johanna saß im Flugzeug nach Mexiko und er in einem Café bei Mohnkuchen und Milchkaffee. Für einen Monat, hat sie gesagt, vielleicht auch ein oder zwei Wochen länger Bis gestern Abend hatte er sich nicht vorstellen können, dass sie wirklich abfliegen würde, verschwinden auf unbestimmte Zeit."

Im Roman wechselt die personale Perspektive kapitelweise zwischen
Johanna, die im Flugzeug rückblickend reflektiert, warum sie auf dem Weg nach Mexico ist und

Achim, der während sie fliegt, in Berlin herumstreift und ebenfalls darüber nachdenkt, wie es dazu kommen konnte, dass sie ihn tatsächlich verlässt,

und - integriert in die "Johanna-Kapiteln" - den Briefe und Mails von Natalia, die Johanna zeigen, "dass es zu jeder Zeit Anfänge gibt".

"Es geht um Liebe." Eine Liebe, die der Hund ihr bedingungslos gibt. Jede*r, der selbst einen Hund hat, kennt dieses Gefühl, das der treue Blick unserer Vierbeiner auslösen kann - ach, Glück!

Ein Glück, die ihr Achim, "ein moderner Kentaur, halb Schreibtisch, halb Mann" nicht mehr geben kann?

Bewertung
Monika Maron beschreibt sehr einfühlsam, was landläufig als "Midlife-Crisis" bezeichnet wird.
Johanna hat sich mit ihrem Leben zufrieden gegeben,
"wenn die anhaltende Freudlosigkeit, die sich über ihren ehelichen Alltag seit einigen Jahre wie Mehltau gelegt hatte, sie auch bedrückte".
Hat es als Begleiterscheinung des Alters gesehen, bis sie nicht mehr wegsehen kann, bis das Auftauchen Igors, der sie wieder als Frau ansieht, und das des Hundes, der ihr bedingungslose Liebe schenkt, ihr die Augen öffnen.

Im Flugzeug sitzend spürt Johanna diesen subtilen Veränderungen nach, sucht nach Erklärungen, ebenso wie Achim, der jedoch weniger zu verstehen scheint, worum es geht.
Er hat einen klassischen Ausweg aus seiner Midlife-Crisis gewählt - eine Affäre mit einer Jüngeren. Letztlich eine alltägliche Geschichte, Mann betrügt Frau nach vielen gemeinsamen Jahren, in denen sich die Leidenschaft abnutzt, mit einer Jüngeren.
Dadurch verliert Achim erheblich an Sympathie, auch deshalb, weil er sein Verhalten im Gegensatz zu Johanna weniger hinterfragt. Meines Erachtens wäre der Betrug Achims nicht notwendig gewesen, um aufzuzeigen, wie schwierig die Liebe und das sexuelle Begehren mit zunehmenden Ehejahren werden kann.

"Sie wisse nur nicht, wie sie, nachdem er sie den ganzen Tag behandelt hätte wie irgendein Möbelstück, sich in der Nacht aus einem Möbelstück wieder in eine Frau verwandeln sollte." 

Ein sprachlich ansprechender Roman, der die Leser*innen einlädt, ihren eigenen Lebensweg zu reflektieren - klare Lese-Empfehlung!

Hier geht es zu Miras Rezension.