Sonntag, 23. Mai 2021

Grazia Deledda: Schilf im Wind

 "Warum bricht uns das Schicksal, wie der Wind das Schilf bricht?" (353)

Leserunde auf whatchaReadin

1926 erhielt die sardische Schriftstellerin Grazia Deledda den Literaturnobelpreis, ihr Roman "Schilf im Wind" ist jetzt im Manesse Verlag in einer wunderschönen Neuedition aufgelegt worden. Das italienische Original erschien im Jahr 1913, etwa zu jener Zeit spielt auch das Geschehen in der Heimat der Schriftstellerin.

Im Mittelpunkt steht "Efix, der Knecht der Damen Pintor" (5), der das Landgut der verarmten Adligen seit 30 Jahren bewirtschaftet. Einst verfügte die Herrschaft über mehrere Ländereien, doch wie ein Junge aus dem Dorf erzählt, liegt "nach dem Tod von Donna Maria Christina, Eurer seligen alten Herrin [...] ein böser Bann auf Eurem Hause" (15). Die jüngste der Pintor-Schwestern, Lia, sei davon gelaufen, um ein selbst bestimmtes Leben zu führen und einen Bürgerlichen zu heiraten, ihr Vater Don Zame habe sie gesucht und sei an der Brücke getötet worden.

Und nun ist ein Brief Don Giacontos angekommen, der Sohn Lias, die inzwischen ebenfalls verstorben ist. Seine Ankunft bringt das Leben der drei verbleibenden Schwestern Pintor - Donna Ruth, Donna Esther und Donna Noemi - aus dem Gleichgewicht. Auch der Knecht Efix muss sich einer alten Schuld stellen und ist gezwungen seine geliebtes Landgut zu verlassen, um für diese Schuld zu sühnen.

Folglich sind Schuld und Sühne die bestimmenden Themen des Romans, der jedoch auch aufzeigt, dass unter den bestehenden Normen der Gesellschaft ein selbst bestimmtes Leben kaum möglich ist, da eine Heirat an Standeszugehörigkeit gebunden ist und die Liebe sich dem unterwerfen muss. Vor allem am Beispiel Donna Noemi wird deutlich, dass sie sich nach einer anderen Lebensweise sehnt, jedoch in den Mauern der Konventionen gefangen ist.

Während die Landschaftsbeschreibungen Bilder beim Lesen entstehen lassen und die Art und Weise, wie die Sarden kurz vor dem ersten Weltkrieg gelebt haben, deutlich wird - v.a. ihr tief verwurzelter Aberglaube, bleiben die Figuren bis auf Efix seltsam blass. Ihre Handlungen und Entscheidungen lassen sich nur teilweise nachvollziehen und das liegt nicht daran, dass uns die Normen und Konventionen der Gesellschaft heutzutage überholt erscheinen, sondern daran, dass die Geschichte hauptsächlich aus Efix personaler Sicht erzählt wird, so dass uns Donna Noemi oder auch Giaconto fremd bleiben. Man fiebert weder mit noch wird von der Geschichte gefangen genommen. Hinzu kommen viele Traumsequenzen, in denen Wünsche und Realität verschwimmen, was den Lesefluss zusätzlich erschwert.

Ein Roman, der sicherlich viele Leser*innen begeistern kann, zu dem ich aber leider keinen Zugang gefunden habe.