Donnerstag, 6. Januar 2022

F.Scott Fitzgerald: Die Schönen und Verdammten

 - eine Gesellschaftssatire.

Leserunde auf whatchaReadin

Der redselige auktoriale Erzähler stellt uns gleich zu Beginn den männlichen Protagonisten des Romans vor:

"1913 war Anthony Patch fünfundzwanzig, und bereits zwei Jahre zuvor hatte ihn - zumindest theoretisch - die Ironie, der Heilige Geist unserer Tage, berührt. (...) In dem Moment, da wir er ihn kennenlernen" (7).

Anthony ist ein klassischer Dandy. Während sein Großvater zu Reichtum gekommen ist, lebt sein Enkel von seinem Vermögen, ist also nicht gezwungen zu arbeiten, auch wenn er nicht wirklich über die Runden zu kommen scheint. Aber er kann auf ein beträchtliches Erbe vertrauen, das sein Großvater, der das "alte Amerika" verkörpert, ihm hinterlassen wird. Seine Eltern sind früh verstorben, so dass Anthony im Alter von 11 bereits Waise ist.
Der Erzähler schildert uns im Überblick seine Jugend, seine Zurückgezogenzeit, sein Studium, seine Reise nach Europa und seinen Aufenthalt in Rom.
1912 kehrt er nach Amerika zurück, da sein Großvater schwer erkrankt ist, und bleibt.

"Im Jahre 1913 war Anthony Patch Anpassung an die Welt nahezu vollzogen. "(16)

Wir erfahren, wie er seine Wohnung eingerichtet hat, mit besonderem Augenmerk auf seinem Badezimmer.
Im ersten Dialog zwischen Anthony und seinem Großvater beschreibt der auktoriale Erzähler dessen Alterungsprozess genial. Das Leben wird als Blasebalg geschrieben, das zunächst pralles Leben gewährt und dann "Wangen und Brust, Arme und Beine leergesogen (hat). Er hatte gebieterisch seine Zähne gefordert, einen nach dem anderen, seine kleinen Augen in dunkel-bläuliche Säcke gebettet, ihm die Haare geraubt, an manchen Stellen Grau zu Weiß, an deren Rosa zu Gelb verfärbt, rücksichtslos Farben tauschend wie ein Kind, das einen Malkasten ausprobiert." (23)

Während sein Großvater ihn auffordert etwas zu tun, gaukelt Anthony ihm vor, er schreibe ein Buch über das Mittelalter, obwohl er tatsächlich kaum ernsthaft daran arbeitet. Statt dessen verbringt er seine Tage und Abende mit seinen Freunden Dick Caramel, der tatsächlich einen Roman schreibt, und Maury Noble, der sich ebenfalls im Müßiggang übt.
Ihr erster Dialog ist wie ein Theaterstück gesetzt - ungewöhnlich, sogar mit Regieanweisungen.
Ungewöhnlich ist auch das Kapitel "Rückblende ins Paradies", in dem die Schönheit auf die Erde geschickt wird (nebenbei eine Satire auf die USA) und wahrscheinlich in der Gestalt von Gloria auftaucht,  Gloria Gilbert, Dicks Cousine, deren Bekanntschaft Anthony macht und die ihn bezaubert. Sie ist die weibliche Protagonistin des Romans und künftige Ehefrau Anthonys.

Gloria ist eine Narzisstin, die um sich selbst kreist, und von Männern Bewunderung verlangt. Nichtsdestotrotz verliebt sie sich in Anthony und beide erliegen der Illusion der perfekten Liebe.

"Sie waren die Stars auf dieser Bühne, von denen jeder nur für zwei Zuschauer spielte: Die Leidenschaft ihrer Gleisnerei schuf Tatsachen. Dies war die Quintessenz der Selbstverwirklichung doch war es wohl eher Gloria, die sich in dieser Liebe verwirklichte, während Anthony sich häufig vorkam wie ein gerade noch geduldeter Gast auf einem von ihr gegebenen Fest." (180)

Das 2.Buch beschreibt die Ehe der beiden, während im 3.Buch Anthony als Gefreiter eingezogen wird. Die Handlung ist insgesamt dürftig. Im Mittelpunkt stehen die beiden Protagonisten und deren ausschweifendes Leben. Zudem hat der Roman starke autobiographische Züge, im Nachwort von Tilman Höss stellt dieser fest, Fitzgerald "behandelte in (seinem) zweite(n) Roman, "The Beautiful and Damen" (1922), die ersten Jahre seiner Ehe.

Tragischerweise scheint der Roman eine Art selbst erfüllende Prophezeiung zu sein, wie es im Nachwort heißt. Die Probleme, mit denen das junge Paar konfrontiert wird, ereilen auch Fitzgerald und seine Frau Zelda - Alkoholismus, psychische Erkrankungen, Geldnot. Er zeigt "wie zwei Menschen im Überfluss ihr Leben vergeuden" (Nachwort, 614). Sie verkörpern einerseits das "neue" Amerika und andererseits gelingt es ihnen nicht, einen alternative Gegenentwurf zum "alten"Amerika zu leben. Ihr Lebensentwurf, der auf Konsum, Egoismus und Narzissmus basiert, ist nicht tragfähig.

Einen überraschenden Twist am Ende des Romans erwartet die Leser*innen, die sich durch eine beträchtliche Anzahl von Seiten gelesen haben. Kürzungen hätten diesem Klassiker gut getan. Insgesamt hat der Roman mich nur teilweise überzeugt, da er schlicht und ergreifend viel zu viele langatmige Passagen hat, zu wenig geschieht und die Figuren keine Entwicklung durchlaufen - das wiegt auch die Sprache nicht auf.

Vielen Dank dem Penguin Verlag für das Lese-Exemplar.