- gesucht und gefunden.
Leserunde auf whatchaReadin
Kaspar, aus dessen personaler Sicht der Roman vorwiegend erzählt wird, ist Bibliothekar und mit Birgit verheiratet."Es war ein Abend wie viele andere. An manchen Abenden, wenn Birgit schon früh mit dem Trinken angefangen hatte, war mehr als zwei Taschen und ein Weinglas umgefallen und lag mehr als eine Vase in Scherben. An anderen Abenden, wenn sie erst kurz bevor er nach Hause kam, das erste Glas getrunken hatte, war sie fröhlich, gesprächig, zärtlich, und wenn's nicht Wein, sondern Champagner war, von einer Lebendigkeit, die ihn glücklich machte und wehmütig wie alles Gute, von dem man weiß, dass es nicht stimmt." (7)
Doch an diesem Abend findet er seine Frau tot in der Badewanne vor, betrunken eingeschlafen und ertrunken. Kaspar ist erschüttert, denn trotz ihrer Alkoholprobleme, trotz ihres Geheimnisses, das sie um das Schreiben ihres Roman gemacht hat, trotz ihrer Unstetigkeit liebt er sie bedingungslos.
Das Verständnis, das Kaspar für Birgit aufgebracht hat, und seine Liebe bringt sie selbst wunderbar zum Ausdruck:
"Du liebst mich immer noch, ich weiß. Es ist der große Trost in meinem Leben: was immer ich in meinem Leben nicht bin, was immer ich dir nicht bin - ich bin genug, dass ich bis jetzt von dir geliebt werde." (129)
Im Rückblick wird erzählt, wie die beiden sich im Mai 1964 im Osten Berlin kennengelernt haben und wie Birgit sich entscheidet, zu Kaspar in den Westen zu fliehen, was ihr auch gelingt. Sie haben sich ein gemeinsames Leben aufgebaut und doch gibt es ein Geheimnis, das Kaspar in Birgits Schreibzimmer entdeckt. Ein Dokument "Ein strenger Gott", das er nach langem Ringen liest und das Birgits Lebensgeschichte erzählt, davon wie die beiden sich kennengelernt haben, aber auch davon, dass sie eine Tochter zurückgelassen hat (das verrät auch schon der Klappentext!), die sie nie gewagt hat zu suchen.
Um das wieder gutzumachen, was Birgit nicht gelungen ist, begibt sich Kaspar im 2.Teil des Romans auf die Suche nach jener Tochter und findet sie - gemeinsam mit Birgits Enkelin ist sie Teil einer völkischen Siedlungsbewegung, die fest an die Ideale des Nationalsozialismus glauben, den Holocaust leugnen und die deutsche Demokratie unterwandern möchten, dabei aber unauffällig agieren. Eine Welt, die Kaspar völlig fremd ist, und doch möchte er einen Kontakt mit Sigrun, der Enkelin aufbauen.
In der Leserunde gab es viele Diskussionen darüber, wie Kaspar in dieser Situation agiert. Wie hätte man selbst reagiert? Sofort vehement widersprochen, versucht alle Lügen sofort und gleich argumentativ zu widerlegen? Kaspar wählt einen anderen Weg, einen behutsameren und indem wir gemeinsam mit Kaspar diesen Weg beschreiten, ermöglicht uns Schlink einerseits einen Blick auf diese völkische Welt, andererseits entlarvt er ihre falschen Werte und ihren Lügen, so dass der pädagogische Anspruch des Romans nicht verborgen bleibt. Das hat mich jedoch beim Lesen nicht gestört. Im Gegenteil, interessant ist eben die Frage: Wie gehe ich mit einem jungen Mädchen um, das bisher in einer Blase aus nationalsozialistischen Ideen und Bräuchen gelebt hat? Schlink vermeidet auch eine Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren, z.B. kann man Svenjas, Birgits Tochter, Motivation sich den Rechten anzuschließen, verstehen, wenn man es auch definitiv nicht gutheißen kann. Lediglich die Darstellung der 14-jährigen Sigrun gerät teilweise etwas zu naiv und kindlich für ein Mädchen dieses Alters, aber sie entwickelt sich und der 3.Teil des Romans ist auch gleichzeitig der stärkste.
Ein Roman, der zum Diskutieren und Nachdenken einlädt, und den ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann.
Vielen Dank dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.