- ein fantastischer Roman über das Trauern.
Leserunde auf whatchaReadin
Nachdem ich Anfang des Jahres das Märchen "Junge mit schwarzem Hahn"von Stefanie vor Schulte gelesen hatte, das mir sehr gut gefallen hat, freute ich mich auf ihren neuen Roman, der ungewöhnlich startet."Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe." (5)
Seine Frau ist Johanne Mohn, wahrscheinlich an einer Krebserkrankung gestorben, Näheres erfahren wir zunächst nicht. Sie hinterlässt ihren Mann Adam, der seine Arbeit kündigt, sowie drei Kinder. Steve, der Älteste unterbricht sein Studium, zieht wieder nach Hause und kümmert sich um seine jüngeren Geschwister Micha (11) und Linne (12), da der Vater in seiner Trauer gefangen ist.
Steve sieht in allem Gesichter, genau wie die Mutter, sie lähmen ihn, so dass er in Situationen verharrt und nicht weitergehen kann.
Seine Frau ist Johanne Mohn, wahrscheinlich an einer Krebserkrankung gestorben, Näheres erfahren wir zunächst nicht. Sie hinterlässt ihren Mann Adam, der seine Arbeit kündigt, sowie drei Kinder. Steve, der Älteste unterbricht sein Studium, zieht wieder nach Hause und kümmert sich um seine jüngeren Geschwister Micha (11) und Linne (12), da der Vater in seiner Trauer gefangen ist.
"Was tust du bloß hier, denkt er oft. Wo doch Trauer ein Zimmer ist, das du gut kennst. Es hat ein Fenster, Tisch, Bett und Stuhl. Es ist gefüllt mit Leben, mit Langeweile, mit anderem. Aber eines Morgens ist es anders, und du setzt die Beine aus dem Bett auf den Boden und senkst deine Füße in stumpfes Schwarz, das durch deine Fußsohlen in dir emporwächst, und wenn du aufstehst, dauert jede Bewegung eine Ewigkeit, und willst du aus dem Fenster schauen, gibt es dort nichts mehr zu sehen, weil die Scheiben blind sind und Pech an ihnen herabrinnt." (25 f.)
In sprachgewaltigen Bildern findet vor Schulte Worte für die Gefühle der Mohns, die jeden Abend Seiten der Tagebücher der Mutter essen, ohne sie zu lesen, weil Adam ihr versprochen hat, dass niemand sie lesen werde. Als wollten sie sich ihre Erinnerungen einverleiben, um sie nicht zu vergessen. Nur Linne stiehlt Papierfetzen, um sie heimlich zu lesen.
Auch die Gegenstände vermissen die Mutter:
"Und als wüssten die Gegenstände um den Verlust, löschen sie sich aus. Entgleiten ihren angestammten Plätzen, Perlen aus den Regalen."(6)
Hat man nach dem Lesen des 1.Kapitels zunächst den Eindruck erneut in einer fantastischen Welt zu sein, entspricht in den folgenden Kapiteln das Setting unserer realen Welt: Die Kinder gehen zur Schule, es gibt ein Schwimmbad, eine Straßenbahn, nervige Nachbarn. Und doch schlängelt sich das Fantastische in die Handlung.
Linne, die eine unbändige Wut in sich trägt und sich auf dem Schulhof prügelt, ihre Art mit der Trauer umzugehen, wird zum Direktor bestellt.
"Und als wüssten die Gegenstände um den Verlust, löschen sie sich aus. Entgleiten ihren angestammten Plätzen, Perlen aus den Regalen."(6)
Hat man nach dem Lesen des 1.Kapitels zunächst den Eindruck erneut in einer fantastischen Welt zu sein, entspricht in den folgenden Kapiteln das Setting unserer realen Welt: Die Kinder gehen zur Schule, es gibt ein Schwimmbad, eine Straßenbahn, nervige Nachbarn. Und doch schlängelt sich das Fantastische in die Handlung.
Linne, die eine unbändige Wut in sich trägt und sich auf dem Schulhof prügelt, ihre Art mit der Trauer umzugehen, wird zum Direktor bestellt.
Dort hängt ein alter Stich an der Wand, auf der eine Schlange zu sehen ist - eine Aspis-Viper, ein Lauerjäger - eine "Schlange im Garten". Über die Bedeutung des Schlangen-Motivs haben wir in der Leserunde ausführlich diskutiert.
Steve sieht in allem Gesichter, genau wie die Mutter, sie lähmen ihn, so dass er in Situationen verharrt und nicht weitergehen kann.
Micha empfindet sich selbst als Wasser, "auch tagsüber kann er die Brandung in sich hören. Dann siehst er sich selbst, als sei er nur eine zarte äußere Micha-Linie, die sein wahres Ich umrahmt, ein Wellenspiel, das Glitzern, darüber der Himmel." (8)
Zu Beginn trauert jeder für sich allein, sind sie ohne die Mutter keine Einheit mehr. Ihre Nachbarn denunzieren sie aufgrund ihrer unmäßigen Trauer beim Traueramt, da sie nicht mehr in zum normalen Leben fähig sind.
Herr Ginster, der Beamte vom Traueramt, tritt auf den Plan und beobachtet die Familie fortan wegen „verschleppter Trauerarbeit“. (58), den "wer beim Trauern auffällt, richtet gesellschaftlichen Schaden an. (76)
Das fiktive Trauerarbeit offenbart vor Schultes Kritik an der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Kultur, der Trauer nur wenig Raum zu geben, möglichst schnell wieder zum alltäglichen Leben, zur Leistungsfähigkeit zurückzufinden.
Auch die weiteren Figuren, die aus dieser Gesellschaft herausgefallen sind und mit der Familie in Kontakt treten, verdeutlichen diese Kritik. Da ist die obdachlose Dame mit Hund, der eigentlich ein Ball ist, die Figur des Herrn Brassert auf dem Friedhof, den die Kinder jeden Nachmittag besuchen und der seine eigene Art gefunden hat, mit seiner Trauer umzugeben. Jede der Mohns freundet sich mit einer weiteren Figur an und alle bilden sie im Verlauf des Romans eine skurrile Gemeinschaft, wobei das Fantastische allmählich die Überhand gewinnt.
Am Ende hätte ich mir einen deutlicheren Rückbezug zur Realität gewünscht, doch insgesamt haben mich die originelle Art und Weise, wie vor Schulte vom Trauern erzählt, ihre ungewöhnlichen Bilder und die Motive, die sie verwendet, überzeugt.
Klare Leseempfehlung!
Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Lese-Exemplar!