- Inselleben ungeschminkt.
Leserunde auf whatchaReadin
Zu Beginn des Romans werden die Leser:innen von einem, der die Leinen los- und festmacht, mit auf eine Nordseeinsel genommen - "irgendwo in Jütland, Friesland oder Seeland" (7), eine Insel also, die exemplarisch für eine der typischen Ferieninseln steht.Der Seemann dient den Fremden als Paradebeispiel.
"Sie (die Touristen) kaufen ihm die Schweigenummer ab, den wilden Bart, das grimmige Gesicht und diese alte Seemannsjacke. Die Fremden lassen sich gern blenden von den Messingknöpfen mit dem Ankermuster und dem Ring in seinem Ohr. Ein Ryckmer Sander passt in ihren Nordseeurlaub wie der Austernfischer und der Seehund und die Kutterscholle." (13f.)
Wir erfahren, dass er der älteste Sohn der Familie Sander ist, deren Mitglieder, neben dem Pastor der Insel, Matthias Lehmann, die Protagonist:innen des Romans stellen.
Auch das Haus der Familie mit seinen Knochenzäunen wird uns vorgestellt. Ein typisches Haus - so wird es suggeriert. Idyllisch, ohne eine Idylle zu beherbergen - der Knochenzaun gibt uns erste Hinweise, dass es hier hart zugeht.
Hanne Sander, die von ihrem Mann Jens verlassen wurde, der auf einer Vogelinsel, dem "Driftland" lebt. Ryckmer, der Alkoholiker ist und die "weiße Wand" nicht vergessen kann. Eske, die Altenpflegerin, die die Touristen nicht mag und an der alten Sprache hängt, und Henrik, der Jüngste, Künstler und Eigenbrötler.
"Auf einer Inselfähre/Nordseeinsel, irgendwo in Jütland, Friesland oder Seeland" (7/10) klingt wie der Anfang einer Sage, eines Märchens.
Hansen führt die von uns, die die Inseln nur aus dem Urlaub kennen, vor: Wir durchschauen die Idylle nicht, lassen uns gern blenden, wollen uns das Urlaubsfeeling nicht mit der Realität zerstören lassen. Das geschieht dann, wenn die vom Festland ihren Traum verwirklichen und sich ein Haus auf der Insel kaufen.
Dieser Bruch der Illusion, der Idylle taucht immer wieder auf. Ein Beispiel ist, dass die Kinder wegen der Feriengäste aus ihren Zimmern vertrieben werden und gemeinsam auf dem Dachboden schlafen müssen, sie werden "Luftkinder" (48), "Flaschengeister" (48). Hansen versteht es mit ihren Bildern sofort Assoziationen zu wecken, ein Erkennen hervorzurufen.
Doch die Touristen haben sich verändert, werden anspruchsvoller, raumgreifender, so dass Hanne Sander keine "Badegäste" mehr aufnimmt - ihr Haus mit Knochenzaum wird den Touristen nicht mehr gerecht.
Auch der Pastor sucht bewusst die "Tagesränder (...). Die Dämmerzeiten zwischen Tag und Nacht, die frühen Nebelmorgen und die späten Regennachmittage. Man muss am Strand, beim Bäcker und im Supermarkt gewesen sein, bevor die erste Fähre mit den Bustouristen und den Fahrradfahrern kommt. Und man muss warten, bis die Abendfähre weg ist, wenn man klein auf einem Inselfriedhof stehen will." (23)
In der Hauptsaison ist er in Hochform, strahlt von seine Kanzel, bezaubert mit seinem Charisma.
"Er fühlt sich manchmal wie ein Vogel, der die Federkleider wechselt: sommerliches Prachtkleid, winterliches Schlichtkleid, und dazwischen liegt die Zeit der Mauser." Jetzt ist er "Federlos" (=Kapitelüberschrift), denn seine Frau will die Insel verlassen und nur noch am Wochenende kommen, will näher bei den Kindern sein, um diese zu unterstützen. Der Titel der jeweiligen Kapitel ist sozusagen ihr Motto.
Ein Figurentableau mit vielen Problemen, alltäglichen und außergewöhnlichen. In der Familie Sander und auch beim Pastor bündeln sich diese exemplarisch und Hansen erzählt, wie sie sich weiterentwickeln, sich das Beziehungsgeflecht langsam wieder ändert und auch, wie sich das Leben auf der Insel durch die Touristen unwiederbringlich den neuen Zeiten anpassen muss.
Ein Roman, in dem genau hingeschaut wird. Auf die Touristen und die Insulanerer:innen, auf einzelne Figuren, die in ihrer Komplexität dargestellt werden. Und das in einer vordergründig nüchternen Sprache, die jedoch immer wieder poetisch wird. Das ist der besondere Ton ihrer Romane. Die Figuren werden beleuchtet, aber mit Empathie und Nachsicht.
Ein Roman, in dem genau hingeschaut wird. Auf die Touristen und die Insulanerer:innen, auf einzelne Figuren, die in ihrer Komplexität dargestellt werden. Und das in einer vordergründig nüchternen Sprache, die jedoch immer wieder poetisch wird. Das ist der besondere Ton ihrer Romane. Die Figuren werden beleuchtet, aber mit Empathie und Nachsicht.
Klare Leseempfehlung!