Sonntag, 28. Oktober 2018

Jorge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte

- Lebensweisheiten.

Lesen mit Mira

Das Buch ist kein Roman im eigentlichen Sinne, d.h. es wird keine Geschichte erzählt, sondern viele kleine Geschichten. Rahmenhandlung ist eine Therapiesituation: Demian, ein Student, sucht Hilfe bei Jorge, einem Gestalttherapeuten, den er wie folgt beschreibt:
"informell, unordentlich, chaotisch, warm, kunterbunt, unberechenbar, und warum es leugnen, ein bißchen schmuddelig."

Jorge ist speziell, wird von Demian "der Dicke" genannt und liebt

"Fabeln [...], Parabeln, Märchen, kluge Sätze und gelungene Metaphern. Seiner Meinung nach war der einzige Weg, etwas zu begreifen, ohne die Erfahrung am eigenen Leib machen zu müssen, der, ein konkretes symbolisches Abbild für das Ereignis zu haben."

Jedes Kapitel beinhaltet solch eine Geschichte, eine Art Gleichnis, das auf Demians Probleme Antworten geben soll. Gleich die erste Geschichte thematisiert, warum es sinnvoll sein kann, sich in der Therapie mit sich und seinen gelernten Verhaltensweisen auseinander zu setzen.

Ein Zirkuselefant, der seit ewiger Zeit an einen Pflock gebunden ist, wird nicht weglaufen, weil er von Anfang an gelernt hat, dass er sich nicht losreißen kann. Irgendwann hat er seine Gefangenschaft akzeptiert und glaubt, selbst wenn kein Pflock mehr da ist, dass er sich nicht mehr befreien kann.

"Wir bewegen uns in der Welt, als wären wir an Hunderte von Pflöcken gekettet."

"Ich kann nicht, und werde es niemals können", lautet die Prämisse, unter der wir unser Leben daraufhin gestalten.

Sowohl Mira und mir hat die Geschichte "Der wahre Wert des Rings" besonders gut gefallen:

"Du bist wie dieser Ring: ein Schmuckstück, kostbar und einzigartig. und genau wie diesem Ring kann deinen wahren Wert nur ein Fachmann erkennen."

Die einzelnen Geschichten bieten viele Denkanstöße und laden dazu ein, nachdem man sie gelesen, darüber nachzudenken. Allerdings geht es Jorge in der Therapie nicht darum, dass Demian seine Geschichten "richtig" interpretiert.

"Wenn sie überhaupt eine Aussage hat, dann nur die, die sie für dich hat."

Es ist ein Buch, das man immer wieder in die Hand nehmen kann, um die ein oder andere Geschichte, in der man sich wiedererkannt hat, erneut zu lesen.
Interessant fand ich die Erklärung zu den unterschiedlichen Therapierichtungen - klassische Psychoanalyse, psychoanalytische, Verhaltenstherapie und die Gestalttherapie, die sich mit der Gegenwart des Patienten beschäftigt und herausfinden soll,

"was in der Person, die sich an den Therapeuten gewandt hat, vor sich geht, und wozu sie in eine solche Situation hineingeraten ist."

Auch philosophische Fragen werden aufgeworfen, wie die nach der Zufriedenheit und der Vorstellung, dass uns immer irgendetwas zu unserem Glück fehlt.

"Wir haben gelernt, daß sich das Glück einstellt, sobald wir das fehlende Stück haben. Und da uns immer etwas fehlt, kehrt der Gedanke an seinen Ausgangspunkt zurück, und man kann niemals sein Leben genießen."

Die Geschichten sind kleine Kostbarkeiten, die man mit Muße lesen sollte, "in der Tiefe jeder Geschichte" kann man, wenn sie einen anspricht und zur eigenen Lebenssituation passt, einen "Diamanten" findet.

Hier geht es zu Miras Rezension.