Der Roman erzählt die Geschichte des tschechischen Kinder- und Jugendpsychiaters Pavel Vodák, der im Jahr 1970 aus der dem sozialistischen Staat fliehen will, nachdem der Prager Frühling im Jahr 1968 - und auch seine Hoffnungen - gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Die Geschichte beginnt am 25.6.1970, am Vorabend seiner Flucht, an dem Pavel, aus dessen personaler Perspektive die Handlung erzählt wird, über sein Leben reflektiert und in Endlosschleifen darüber nachdenkt, ob er die Gefahr einer Flucht wirklich auf sich nehmen will.
Aber es bleibt ihm keine Wahl aus seiner geliebten Heimatstadt Prag zu fliehen:
"Er steht unter Beobachtung, darf nicht mehr ins westliche Ausland reisen. Keine Dozententätigkeit mehr, kein fachlicher Austausch auf Kongressen, keine Begegnungen mit frei denkenden Menschen. Pavel hat aufgehört, die Warnschüsse zu zählen. Äußerlich ließ er sie abprallen, innerlich reiht sich Wunde an Wunde. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, vielleicht auch nur Stunden, bis er endgültig getroffen und niedergestreckt wird." (10)
Er will vor allem für seine 12jährige Tochter Pavlina fliehen, dass "ein politisches System die Potenziale einer nächsten Generation einschränkt, ist ihm unerträglich. Der Traum von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz, für den er einst kämpfte und alles riskierte, wurde am 21.August 1968 unter Panzerketten begraben." (15)
Am Vorabend der Flucht erhält er deutsche Pässe für seine Frau, seine Tochter, seine Schwiegermutter und sich selbst. "Ausgerechnet deutsche Pässe. Deutsche! Jene Menschen, die einst tiefste traumatische Erlebnisse in Pavels Seele säten, wandeln sich heute zu Verbündeten." (17)
Als er im Bett liegt und auf den als Urlaubsreise getarnten Beginn der Flucht wartet, denkt Pavel an sein Leben zurück. Die Handlung springt zurück zum 15.März 1939, als die Nationalsozialisten widerrechtlich das verbliebene Staatsgebiet der Tschechoslowakei besetzt haben. Da ist Pavel 18 Jahre alt. Seine Mutter ist eine Deutsche, "weniger die Kategorie böhmische Hausfrau, eher die Dame von Welt" (32), sein Vater ein tschechischer Offizier.
Die Wehrmachtssoldaten nimmt er als "Krokodil" wahr, eine Metapher, die im Verlauf des Romans für "Vernichtungskraft" (55) steht, die überall lauert.
Während des Krieges wird ihm das Medizinstudium verwehrt, hilflos erlebt er die Demütigung jüdischer Freunde und wie so viele andere, will er die Gräueltaten aus den Konzentrationslagern, von denen erzählt wird, nicht glauben. Bis er selbst unmittelbar nach Kriegsende als Medizinstudent nach Theresienstadt kommt.
"Ursprünglich wollte er Arzt werden, um Menschen zu heilen. Jetzt lernt er, wie sie sterben. Erwachsene bäumen sich auf und klammern sich fest. Kinder verabschieden sich still wie das Licht einer dünnen Kerze im Wind. Das ist, obwohl so leise und beiläufig, schwerer auszuhalten." (83)
Ein Bild, das wirklich zu Herzen geht. Pavel muss gleichzeitig erkennen, dass das Krokodil überall lauert: „Wer oder was ist das Krokodil?“ (85)
Ein Bild, das wirklich zu Herzen geht. Pavel muss gleichzeitig erkennen, dass das Krokodil überall lauert: „Wer oder was ist das Krokodil?“ (85)
Die verschiedenen Ausschnitte aus Pavels Leben geben jeweils einen intensiven Einblick in die Zeitgeschichte und seine persönliche Entwicklung, die damit einhergeht. Der Schrecken der Nazidiktatur, die Erlebnisse in Theresienstadt, der Sozialismus, die neue Diktatur - wieder ein hungriges Krokodil - und die Hoffnung auf eine Öffnung, die gnadenlos zerschlagen wird. Die beiden Tage im August 1968 erhalten dadurch, dass zwei aufeinanderfolgende Kapitel zwei Tage hintereinander schildern, besonderes Gewicht. Das Präsens sorgt dafür, dass das Lesetempo hoch gehalten wird, man ist mittendrin.
Nach dem Rückblick auf Pavels Leben wird seine Flucht und seine Ankunft im vermeintlichen goldenen Westen geschildert. Es spricht für die Autorin, dass sie dies realistisch erzählt, mit all den Zweifeln, die Pavel überkommen. Wie schwierig es ist, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden, wird eindrücklich aufgezeigt, aber auch dass es Jüngeren gelingen kann, wie das Beispiel seiner Tochter zeigt.
Insgesamt ein empathischer Roman, der historisch sehr interessant ist und auch für Jugendliche eine spannende - und lehrreiche - Lektüre bietet, ohne dass der viel zitierte pädagogische Zeigefinger erhoben wird.
Noch interessanter wird es, wenn man die Entstehungsgeschichte des Romans "Pavel und ich" liest. Darin erzählt Sandra Brökel amüsant und auch spannend, wie sie auf die Notizen des tschechischen Arztes gestoßen ist und warum gerade sie dessen Lebensgeschichte aufschreiben musste.
Vielen Dank dem Pendragon-Verlag für die Leseexemplare.