Dienstag, 22. Dezember 2020

Janet Lewis: Verhängnis

 - ein historischer Kriminalroman, der zur Zeit des Sonnenkönigs spielt.

Leserunde auf whatchaReadin

Janet Lewis, 1899 in Chicago geboren und eine Mitschülerin Ernest Hemingways, lehrte Literatur in Berkeley und Stanford, nachdem sie 1920 ein halbes Jahr in Paris verbracht hat. Sie veröffentlichte zwischen 1941 und 1959 drei historische Romane, die auf wahren Kriminalfällen beruhen:

"Die Frau, die liebte"; "Der Mann, der seinem Gewissen folgte" sowie "Verhängnis".

Im Gegensatz zu den ersten beiden Romanen ist dieser etwas ausufernder, historischer, enthält dadurch eine Vielzahl von Figuren und mehrere Handlungsstränge.

"Der Buchbinder Jean Larcher saß mit seiner Frau und seinem Sohn beim Abendessen. Es war Ostersonntag, der in diesem Jahr des Herrn, dem Jahr 1694, und dem einundfünfzigsten Jahr der Herrschaft Louis´ XIV., auf den elften April fiel." (9)

Jean Larcher ist dem Sonnenkönig loyal ergeben, ein Geizhals, der sein Geld ebenso verborgen hält wie seine Gefühle gegenüber seiner Frau und seinem Sohn Nicolas, der reisen möchte und dessen politischen Ansichten denen des Vaters entgegenstehen. Marianne Larcher überredet ihren Mann, Nicolas ziehen zu lassen, sollte sich ein Geselle für die Buchbinderei finden.

Dieser taucht in der Gestalt von Paul Damas auf, der aus Auxerre stammt und von der Frau seines Meisters verführt wurde. Sie hat die Affäre anschließend ihrem Mann gebeichtet und ihn als Schuldigen dargestellt, so dass er Hals über Kopf fliehen muss. Es zieht ihn nach Paris, wo er zunächst den Laternenmann antrifft, der jeden Abend beim Denkmal für Louis XIV. die vier Laternen anzündet. Leider spielt er nur eine untergeordnete Rolle.
Das prachtvolle Kunstwerk steht im Gegensatz zum Lied eines Balladensängers, dem Paul in einer Gaststätte zuhört:

Die Maintenon, die fromme Hure,
Schickt unseren Louis in den Krieg.
Sie hält ihn an der kurzen Leine 
und lässt uns in Armut darben. (47)

Der König wird für seinen verschwenderischen und ausschweifenden Lebensstil kritisiert, im Jahr 1694 lebt er in einer morganatischen Ehe mit seiner ehemaligen Geliebten Madame Maintenon zusammen; eine Ehe zwischen einem Adeligen und einer Frau, die gesellschaftlich von niederem Stand ist.

Zu Beginn des Romans schildert Lewis ausführlich den im Schlafzimmer stattfindenden Morgenempfang des Königs, das sogenannte Lever.
Während dieses Rituals findet er in einer Serviette ein Pamphlet: 
onsieur Scarron Apparu à Madame de Maintenon et le Reproches qu´il lui fait sur ses amours avec Lous le Grand. (77)

In dem Pamphlet wird Madame de Maintenon verunglimpft, ein Umstand, den der König streng bestraft sehen möchte. Deshalb setzt er seinen Polizeichef La Reynie darauf an, die Buchdrucker und -händler, die die Schrift verbreiten, ausfindig zu machen.
Paul Damas, der eine Anstellung bei Jean Larcher erhält, gerät durch Zufall an einen Packen dieser Pamphlete und bewahrt sie sorgfältig auf. Während Nicolas nach Rouen zieht, bahnt sich eine Affäre zwischen Marianne Larcher und Paul an, letzterem scheint es darum zu gehen, die Frau seines Meisters zu erobern, sie in der Hand zu haben. Sie fühlt sich von ihrem Mann emotional vernachlässigt, Jean wartet nicht einmal auf sie, nachdem sie beide Nicolas verabschiedet haben. Sie lässt sich auf Paul ein und das "Verhängnis" nimmt seinen Lauf.

Lewis gelingt es gut, das frühneuzeitliche Paris auferstehen zu lassen. Man hört die Geräusche in den Gassen, kann den Geruch wahrnehmen und sich das Treiben vorstellen. Auch das Elend, der Hunger und die verzweifelte Lage derer, die kein Brot haben, wird angedeutet. Die Zeitgeschichte also gut eingefangen, teilweise aber auch zu langatmig beschrieben. Eine Unzahl von Figuren tauchen auf, deren Namen man sich notieren müsste, um alle zu überblicken. Die Liebesgeschichte selbst ist zu Beginn recht trivial, entwickelt dann jedoch zunehmend eine Dynamik, obwohl man die Verhaltensweisen der Protagonistin, die sich von ihrem Liebhaber instrumentalisieren lässt und ihm nichts entgegensetzt, nicht immer nachvollziehen kann und will. Die Figuren bleiben seltsam hölzern und oberflächlich.
Im Mittelteil hat der Roman deutliche Längen, die es zu überbrücken gilt, während das letzte Drittel an Fahrt aufnimmt und spannender wird, da die einzelnen Figuren wieder stärker in den Fokus rücken. 

Vergleicht man "Verhängnis" mit den ersten ersten beiden Romanen, so sind diese deutlich kurzweiliger, was damit zusammenhängen mag, dass die persönliche Geschichte im Mittelpunkt steht und weniger die politische. Der Spagat zwischen beiden misslingt, man leidet weder mit den Figuren noch fesselt die Historie. Schade!

Vielen Dank dem dtv-Verlag für das Lese-Exemplar.