Freitag, 4. Februar 2022

Sofi Oksanen: Hundepark

Leserunde auf whatchaReadin

Die Handlung des Romans setzt im Jahr 2016 in Helsinki ein. Im Prolog lernen wir die Ich-Erzählerin und Protagonistin Olenka kennen, die im "Hundepark" sitzt und eine Familie mit zwei Kindern beobachtet. Dabei gesellt sich eine weitere Frau zu ihr, die zunächst anonym bleibt.

"Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich sie gleich erkannt hätte und so klug gewesen wäre, das Weite zu suchen." (5)

Im Rückblick erfahren wir zunächst, dass Olenka im Jahr 2006 in das Dorf Oblast Mykolajiw (im Süden der Ukraine) zurückkehrt, in dem ihre Mutter, inzwischen Witwe, zusammen mit ihrer Schwägerin wohnt und dort vom Verkauf von Rohopium lebt. Olenkas Traum im Westen Model zu werden, ist gescheitert, so dass sie nun mittellos festsitzt und verzweifelt Arbeit sucht. Schließlich nimmt sie einen Job in einer Agentur an, die Frauen als Leihmütter und Eizellenspenderin an reiche, kinderlose Ehepaare vermittelt.  Ihre Herkunft aus einer Stadt, in der Kohle abgebaut wird, also einem "verschmutzten" Gebiet verhindert fast ihre "Benutzung" als Eizellenspenderin. Doch ihre Biographie wird, wie üblich in solchen Fällen, geschönt. Es gelingt ihr zur Koordinatorin aufzusteigen, so dass sie selbst Mädchen als Spenderinnen aussucht und dadurch die Wünsche kinderloser reicher Ehepaare zu erfüllen.

Die Handlung wechselt zwischen den Zeitebenen 2016 und den Rückblenden in Olenkas altes Leben. Nebenbei erfährt man im Roman einiges über die Geschichte der Ukraine und auch den Konflikt mit Russland.

In der Zeitebene 2016 stellt sich heraus, dass die Frau, die sich neben Olenka im Hundepark gesetzt hat, eines der Mädchen ist, die Olenka als Eizellenspenderin "aufgebaut" hat. Ihre enge Verbindung besteht darin, dass Darias und Olenkas Vater Freunde waren.

Inzwischen ist sie für Olenka, die ihr altes Leben hinter sich gelassen hat und als Putzfrau arbeitet, eine Bedrohung.

"Sie könnte mich, die Agentur, ihre alten Kunden, euch, überhaupt alle erpressen. Wollte sie mich an meine alte Chefin verkaufen? Würde das ihre letzte Rache sein?" (43)

"Ich wusste nicht, wer sich als Erster auf mich stürzen würde: meine ehemalige Chefin, du oder dein Laufbursche oder ihre alle zusammen als eine gemeinsame Front." (50)

Olenka richtet sich oft an ein "Du" - wer ist gemeint? Was hat sie getan, dass sie sich ein neues Leben in Finnland aufbauen musste? Warum ist sie geflohen, womit kann Daria sie erpressen? Was hat die Familie, die sie im Hundepark beobachtet, damit zu tun? Warum steht der "Hundepark" auf ihrer Liste der guten Dinge, für die es sich noch lohnt zu leben, an erster Stelle? Zahllose Fragen, die schrittweise beantwortet werden, wobei die Spannung bis zum Schluss hin aufrecht erhalten bleibt - ein echter Pageturner, der jedoch aufgrund der unterschiedlichen Zeitebenen und wechselnden Orte sehr komplex aufgebaut ist. Nicht immer leicht den Überblick zu behalten.

Den Roman jedoch nur als Thriller zu lesen, würde ihm nicht gerecht. Schonungslos schildert die Ich-Erzählerin, wie Frauen als Ware behandelt, regelrecht verkauft und ausgebeutet werden. Ein Thema, das mir in diesem Ausmaß überhaupt nicht bewusst war und das Oksanen eindrucksvoll in all seinen Facetten darstellt.

"Einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde mir den Finger in den Mund stecken, um den Zustand meiner Zähne zu prüfen." (43)

Genau diese Untersuchung führen die zukünftigen Eltern durch, um die Tauglichkeit einer potentiellen Eizellenspenderin zu prüfen. Welche Folgen das für die Frauen hat, spielt keine Rolle. Sie werden benutzt, solange sie funktionieren. Am Beispiel Darias wird das besonders deutlich, während Olenka auch als Mittäterin auftritt. Trotzdem hat sie aufgrund ihrer Biographie und den Umständen, unter denen sie aufgewachsen ist und dem, was sie erlitten hat, meine Sympathie gewonnen. 

Ein brisanter Thriller, brillant geschrieben und absolut lesenswert!