- eine obsessive Liebesbeziehung.
Gebundene Ausgabe, 380 Seiten
Luchterhand, 10.April 2017
Ich danke dem Bloggerportal für dieses Leseexemplar.
Widerrechtliche Inbesitznahme heißt der erste Roman, der sich um die Protagonistin Ester Nilsson und ihre unerwiderte Liebe zu einem Mann dreht. Mich hat er begeistert, auch wegen der außergewöhnlichen Sprache und den philosophischen Reflexionen über die Liebe und die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Aus diesem Grund war ich besonders neugierig auf "Unvollkommene Verbindlichkeiten" und wollte wissen, wie Ester Nilssons nächste Beziehung fünf Jahre später aussehen wird.
Inhalt
Sie verliebt sich in einen älteren, verheirateten Mann, Olof Sten, einen Schauspieler, der in ihrem Stück "Dreisamkeit" eine Hauptrolle innehat. Dieses Mal will sie von Anfang an Klarheit schaffen und konfrontiert ihn mit ihrer Liebe:
"Ich will mein Leben mit dir teilen." (S.18)
Es sagt nicht Nein, doch im Laufe ihrer Beziehung, die sich schließlich über mehr als drei Jahre erstreckt, macht er mehrmals deutlich, dass er seine Frau nicht verlassen will, während Ester immer wieder hofft, dass er es sich anders überlegen wird, obwohl ihre anfänglichen Betrachtungen auf das Gegenteil hinweisen:
"Olof und Ester waren wie zwei Zahnräder. Zahnräder verwachsen nicht miteinander. Sie treiben einander lediglich an. So kam es Ester jedenfalls vor. Allein ist ein Zahnrad einfach ein gezackter, stillstehender Gegenstand ohne Sinn und Zweck, was an sich nicht weiter schlimm ist. Aber um Bewegung zu erzeugen und das dem Zahnrad innewohnende Potential auszuschöpfen, braucht man zwei. Leider funktioniert es auch zu dritt, rein mechanisch geht das sogar ganz hervorragend." (S.13)
Olof ist nicht in der Lage, sich zu entscheiden, immer wieder gibt er Ester zu verstehen, dass er seine Frau nicht verlassen will, macht mit ihr Schluss, um sich dann doch wieder zu melden und erneut eine Beziehung zu beginnen - und das sogar im Jahreszeitenrhythmus.
Und Ester? Nimmt alles hin, verzeiht, liebt und lässt sich wie ein Hund behandeln. Deutet seine Äußerungen und glaubt immer wieder, es gäbe eine Entwicklung und seine Ehe stünde kurz vor dem Aus. Dennoch durchschaut sie sein Handeln, ohne ihres zu verändern:
"In dir gibt es ein Konto mit automatischen Überweisungen. Du kennst deinen Saldo bis auf die Öre genau, und davon ausgehend entscheidest du, wie du dich mir gegenüber verhalten sollst. Jedenfalls musst du einzahlen oder abheben. Oder du kannst es auch lassen, falls du rücksichtsvoll sein musst oder spöttisch, kalt und gleichgültig sein willst. Alle Menschen haben so ein Konto, alle Menschen passen auf, wo die Grenzen dafür verlaufen, wann man sich anstrengen muss und wann man sich zurücklehnen kann, wann man abheben kann und wann man einzahlen muss." (S.221)
Olof ist berechnend, er kommt Ester entgegen, wenn sie Kälte zeigt, unterwirft sie sich ihm, behandelt er sie wie der letzte Dreck.
Das ist sehr ermüdend zu lesen, trotz der interessanten philosophischen Betrachtungen. In der Mitte des Romans hatte ich den Impuls, einfach aufzuhören, doch ich war neugierig, ob der ewige Kreislauf durchbrochen wird. Irgendwann ist es dann auch soweit und Ester wagt einen radikalen Schritt.
"Und zum ersten Mal verlor sie den Respekt vor ihm. Diese ausgleichende Unterwürfigkeit, die er hier vorführte, da er sich dazu gezwungen fühlte, gehörte zu den bedrückendsten Dingen, die sie je erlebt hatte. Die aggressiven Schmeicheleien ekelten sie ebenso an wie seine feindselige Abweisung, aber ganz besonders widerlich fand sie sein pathologisches Pendeln zwischen beiden Extremen. (S.330)
Bewertung
Der intellektuelle Roman bietet tiefe Einsichten in die Natur der unerfüllten und unentschiedenen Liebe. Am Beispiel von Olof und Ester erkennt man den, der an der bewährten Beziehung festhalten will und trotzdem die Affäre mit der Geliebten genießt, und diejenige, die an der Hoffnung, aus ihrer Geliebtenrolle in die der Gattin zu wechseln, zugrunde geht.
Esters Verhalten, immer zu verzeihen, alles für den Geliebten zu tun, sich wirklich wie ein Hund behandeln zu lassen, ist über diese Länge fast nicht zu ertragen. Mehrmals dachte ich, ich kann das nicht weiterlesen, wollte dann aber doch wissen, ob ihre eine Befreiung gelingt. Ihre Unfähigkeit, die Unmenschlichkeit Olofs als solche anzuerkennen, die permanente Deutung seine Äußerung sind meines Erachtens "too much".
Wäre der Roman 150 Seiten kürzer, die "Affäre" dichter geschildert, hätte das der Handlung gut getan. Der Schluss entschädigt etwas für die Länge im Mittelteil.
Empfehlenswert? Wem die Darstellung einer aufopferungsvollen Liebe, eines sich wiederholendes Beziehungsmusters und philosophischen Betrachtungen darüber gefällt, wird vom Roman begeistert sein. Mich hat er nicht überzeugt, obwohl die Reflexionen über solche eine Beziehung interessant sind, behindern sie den Handlungsfluss und führen zu einer völligen Distanzierung - und das bei einer Liebesgeschichte ;)