Samstag, 24. November 2018

James Baldwin: Beale Street Blues

- Kampf gegen die Willkür der weißen Justiz.

Leserunde auf whatchaReadin

Der Roman erzählt von zwei jungen Schwarze in New York Anfang der 1970er Jahre.

Tish, die eigentlich Clementine heißt und aus deren Ich-Perspektive die Geschichte geschildert wird, ist 19 Jahre alt und schwanger. Mit dem Vater des Kindes - Fonny, getauft auf den Namen Alonzo Hunt, ist seit ihrer Kindheit befreundet. Irgendwann ist aus ihrer Freundschaft Liebe geworden.

Zu Beginn des Romans erfahren wir, dass Fonny im Gefängnis sitzt. Er wird beschuldigt eine Puertoricanerin vergewaltigt zu haben - ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, das steht außer Frage - für Tish, aber auch für die Leser*innen.

Während Tishs Familie, ihre Eltern und ihre Schwester Ernestine sie im Kampf gegen die Justiz unterstützen, hat Fonny von seiner bigotten Mutter und seinen Schwestern wenig Hilfe zu erwarten, nur sein Vater Frank bemüht sich Geld für den Anwalt Mr Hayward aufzubringen.

"Wir waren jetzt seine Familie, die einzige Familie, die er hatte: Jetzt hing alles von uns ab." (85)

Die Gräben zwischen Fonnys Mutter und Tish sind groß, sie werden unüberwindlich, nachdem sie erfährt, dass sie Großmutter werden soll.

"Wahrscheinlich nennst du eure Lüsternheit Liebe", sagte sie. "Ich nicht. Ich hab immer gewusst, dass du meinen Sohn zugrunde richtest. Du hast einen Teufel in dir - ich hab´s immer gewusst. Mein Gott hat es mir vor vielen Jahren eingegeben. Der Heilige Geist wird das Kind in deinem Bauch verschrumpeln lassen." (79)

In drastischer, sehr vulgärer Sprache beschreibt Baldwin die Auseinandersetzungen zwischen den Frauen und den Familien, gleichzeitig schildert er sehr sensibel die erste gemeinsame Liebesnacht zwischen Tish und Fonny, deren gemeinsame Vergangenheit immer wieder in Rückblende erzählt wird, in denen wir auch erfahren, warum ausgerechnet Fonny der Vergewaltigung angeklagt wird und wie sein Traum ein Künstler zu werden, zu platzen droht.
Wird es Tish und dem Anwalt gelingen, seine Unschuld zu beweisen und ihn aus dem Gefängnis herauszuholen, in dem er langsam zugrunde geht?

Bewertung
Beale Street Blues ist 1974 im Original erschienen und ist Baldwins zweiter Roman. Der Autor, der bereits 1987 im Alter von 63 Jahren an Krebs gestorben ist, gilt zwar als großer schwarzer Intellektueller, der sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung engagiert hat, erhält jedoch lange nicht die Beachtung, die er verdient hat, wie Daniel Schreiber im Nachwort feststellt. Vielleicht lag es daran, dass Baldwin schwarz und schwul gewesen ist, und den Schwarzen nicht schwarz genug.

In Beale Street Blues,

"eine[..] Metapher für die schwarze Halbwelt [...] für schwarze Viertel, in denen ausweglose Armut und verzweifeltes Vergnügen das Leben bestimmten und in denen Sucht, Gewalt und Liebe Hand in Hand gingen" (214),

kritisiert er offen den Rassismus, der dazu führt, dass ein unschuldiger Schwarzer aufgrund der Aussage eines weißen Polizisten, der die Zeugin manipuliert hat, im Gefängnis landet. Die Ohnmacht, die Fonny, Tish und ihre Familie empfinden, ist mit Händen greifbar. Sie haben einfach keine Chance gegen dieses weiße System:

"Die Kinder kriegen eingetrichtert, dass sie einen Dreck wert sind, und alles, was sie um sich herum sehen, ist der Beweis dafür. Sie kämpfen und kämpfen, aber sterben wie die Fliegen und begegnen sich dann auf dem Müllhaufen ihres Lebens, wie die Fliegen." (46)

Erstaunt hat mich der Rassismus unter den Schwarzen. Fonnys Mutter, die eine hellere Haut als Tish hat, verachtet diese dafür - und übernimmt damit das Wertesystem der weißen Gesellschaft.

Schreiber hat im Nachwort eine Feststellung über den Roman getroffen, der ich uneingeschränkt zustimmen kann: "Jede rassistische Gesellschaft [...] führt zu einer Spirale der Gewalt, an deren Ende Frauen stehen." (216)

Sie sind die Leidtragenden, selbst der liebevolle Fonny schlägt Tish, die das als normal empfindet!

Der Roman bietet keine Antworten, keine Lösungen, er führt den Leser*innen vor Augen, wie eine rassistische Gesellschaft aussieht - die Lehren daraus müssen wir selbst ziehen.

Vielen Dank an den dtv-Verlag für das Lese-Exemplar!