Montag, 3. Dezember 2018

Inger-Maria Mahlke: Archipel

Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2018

Lesen mit Mira und Sabine
In den letzten Jahren habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Roman, der den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, zu lesen. Seit ich die Frankfurter Buchmesse besuche, bemühe ich mich, auch mir ein Interview mit dem/der Preisträger*in anzuhören, um einen ersten Eindruck zu erhalten. Das Interview auf der Frankfurter Buchmesse mit Inger-Maria Mahlke hat mich sehr beeindruckt, so dass ich mich auf den Roman gefreut habe, umso mehr, da meine beiden Lesefreundinnen diesen gemeinsam mit mir lesen wollten. Mira hat kurz vor dem Ende abgebrochen, ihre Kritik kann ich gut nachvollziehen. Sabines Meinung ist in ihrem Lesetagebuch auf whatchaReadin festgehalten.

Während die beiden den Roman aus verschiedenen Gründen kritisch sehen und sich damit in guter Gesellschaft befinden, wenn man sich die vielen negativen Rezensionen anschaut, möchte ich in dieser Rezension, eine Lanze für den Roman brechen, der zwar eine Herausforderung darstellt, aber aus meiner Sicht in vielerlei Hinsicht gut komponiert ist.

Statt einer Inhaltszusammenfassung daher ein grober Überblick der Protagonisten und deren Verflechtungen:



Auf dem Schaubild nicht berücksichtigt sind die politischen Ereignisse, die das Leben der Figuren verändern, berühren und in eine andere Richtung lenken. Oftmals werden sie nur angedeutet, darin liegt die Herausforderung für die Leser*innen, die, wollen sie alles verstehen, recherchieren müssen. Wünschenswert wäre daher, neben der Figurenübersicht zu Beginn des Romans und einem Glossar spanischer Begriffe am Ende, auch ein kurzer geschichtlicher Abriss der Geschichte Teneriffas im 20.Jahrhundert gewesen.

Dadurch, dass der Roman chronologisch in der Zeit zurückgeht, erfahren wir von den Figuren, die zu Beginn sehr viel Raum einnehmen, nichts mehr. Wir erleben Felipe und Ana als junge Erwachsene, als Jugendliche und als Kinder und entfernen uns von ihrem gegenwärtigen Leben, von dem man nichts mehr erfährt, was sehr bedauerlich ist, da man gerne wissen möchte, wie sich die Geschichte weiter entwickelt.
Während die Ereignisse um die Familie Bernadotte im Jahr 2015 - um Ana, Felipe, Rosa sowie ihre Angestellte Eulalia und den Großvater Julio noch recht intensiv erzählt wird, werden die Zeitabschnitte immer kürzer. Es sind Blitzlichter, einzelne Ereignisse und Tage, die geschildert werden und die Aufschluss und Antworten zum Geschehen geben, dass sich in der Zukunft abspielen wird. Das ist einerseits verwirrend und anstrengend beim Lesen - andererseits aber auch reizvoll, gerade weil die übliche Chronologie unterbrochen ist.
Besonders hervorheben möchte ich noch die außergewöhnliche Sprache Mahlkes, die neutral, fast nüchtern die Geschehnisse so detailliert schildert, dass man das Gefühl hat, den Geruch der Insel wahrzunehmen, die Farben zu sehen und die Geräusche zu hören. Sie gewährt nur selten einen tiefen Einblick in das Innenleben der Figuren, beschränkt sich vorwiegend auf die Außensicht, auch in dieser Hinsicht sind die Leser*innen gefordert.

Mein Fazit
Ein intellektueller Roman mit einem hohen Anspruch an seine Leser*innen, der mich aufgrund seiner ungewöhnlichen Erzählchronologie und seiner Figuren - auch wenn man sich notgedrungen von ihnen verabschieden muss - sowie der Verknüpfung von Familien- und politischer Geschichte überzeugt hat.

Buchdaten
Gebundene Ausgabe, 430 Seiten
Rowohlt-Verlag, Oktober 2018