Montag, 10. Dezember 2018

Ford Madox Ford: Die allertraurigste Geschichte

"The Good Soldier"

- heißt der Roman im Original, 1913 hat Ford begonnen ihn zu schreiben. In der Zueignung, ein Brief an seine Frau, erklärt er, es sei aus seiner Sicht sein bester Roman aus der Vorkriegszeit. Mit 40 Jahren habe er zeigen wollen, was er könne. Ein Freund Fords urteilt darüber, es sei der "schönste französische Roman in englischer Sprache" (11).
Hält er dieses Versprechen?

In der Leserunde auf whatchaReadin waren wir zunächst geteilter Meinung, da der "unzuverlässige" Ich-Erzähler zu Beginn um den heißen Brei herum redet. Es scheint, als könne man seinen Ausführungen nicht vertrauen, da er sich in Widersprüche verstrickt und zunächst nicht zur Sache kommen will.


Worum geht es?
Der Ich-Erzähler - John Dowell aus Philadelphia, Grundbesitzer und so reich, dass er nicht arbeiten muss - verbringt über neun Jahre hinweg gemeinsam mit seiner herzkranken Frau Florence einige Wochen im Jahr in Bad Nauheim - gemeinsam mit den Ashburnhams aus England.

"Als wir uns zum ersten Mal begegneten, war Hauptmann Ashburnham, der auf Erholungsurlaub aus Indien gekommen war, wohin er nie wieder zurückkehren sollte, dreiunddreißig Jahre; Mrs. Ashburnham - Leonora - war einunddreißig. Ich war sechsunddreißig und die arme Florence dreißig. Heute wäre Florence also neununddreißig Jahre alt und Hauptmann Ashburnham zweiundvierzig" (14).

Gleich zu Beginn lässt der Ich-Erzähler keinen Zweifel daran, dass Florence und Edward inzwischen verstorben sind und dass "es kein Menuett [war], das wir tanzten; es war ein Gefängnis" (17).

Was ist zwischen diesen vier Menschen geschehen? Es kristallisiert sich heraus, dass der Ich-Erzähler nach dem Tod seiner Frau sukzessive von Edward, aber vor allem von Leonora die Wahrheit über die Ehe der Ashburnhams erfährt, die nicht das ist, was sie zu sein scheint.

"Ich weiß nicht, wie ich die Sache am besten niederschreibe - ob es besser ist zu versuchen, die Geschichte von Anfang an zu erzählen, als wäre sie eine Geschichte; oder ob ich sie aus diesem zeitlichen Abstand erzählen soll, so wie ich sie von den Lippen Leonoras oder Edwards vernahm." (23)

Zunächst erzählt er vom Zusammentreffen mit den Ashburnhams - in Rückblicken erfahren wir etwas über seine eigene Ehe, über Florence Motive ihn zu heiraten und über das Entstehen ihrer Verbindung, die an sich schon sehr traurig ist. Denn Liebe ist nicht im Spiel. Keine der Beziehungen verläuft glücklich, so dass der Titel durchaus zutreffend ist.

Leonora, die ihren Mann verehrt und aufgrund ihres katholischen Glaubens an der Ehe festhält, bemüht sich verzweifelt ihn zurückzuerobern, obwohl Edward - wie der Ich-Erzähler ausführlich schildert - sie mehrfach betrügt und sich ernsthaft seinen Leidenschaften hingibt.

Tragisch ist die Beziehung zu dem Mündel, dass er und Leonora aufgenommen haben, so dass am Ende nicht "einer von uns (...) bekommen (hat), was er eigentlich wollte." (270)

Hinzu kommt Edwards Verschwendungssucht, die Leonora einzudämmen versucht, so dass dies zu weiteren Konflikten in der Ehe führt, die keine mehr ist. Der Ich-Erzähler schwankt in seiner Beschreibung und Einschätzung Leonoras, deren Handlungsweise am Ende, wenn man denn Dowell glauben kann, überrascht - nicht im positiven Sinne.

Bewertung
Feinfühlig legt der Ich-Erzähler die Sicht auf das Geschehen aus mehreren Perspektiven dar und verleiht allen seine Stimme - auch der jungen Nancy, die er selbst nach Florence Tod heiraten will. 

Seine eigenen Gefühle schwanken beim Erzählen ebenso wie seine Bewertungen. Einerseits liebt er Florence, will sie beschützen, dann hasst er sie. In Edward sieht er einen empfindsamen Menschen, gleichzeitig wirft er ihm vor, Florence getötet zu haben. Leonoras Verhalten bezeichnet er als grausam, aber er zeigt auch Verständnis für sie. Während er die Geschichte niederschreibt - im Verlauf des Erzählens - werden die Zusammenhänge für die Leser*innen klarer, als hätte der Ich-Erzähler über das Schreiben zu seiner Sicht auf die Dinge gefunden.

Julian Barnes bringt es im Nachwort auf den Punkt:
"[Der Roman] spielt mit dem Leser, während er die Wahrheit offenbart und verbirgt. Und Ford hat auch darin Großes geleistet, dass er die perfekte Stimme für paradoxes Erzählen fand." (301)

Diese Erzählweise ist einerseits sehr anstrengend, da Dowell unzuverlässig und mit vielen Sprüngen, Rückblenden und Wiederholungen erzählt, andererseits macht sie auch den Reiz dieser Geschichte aus, die von unglücklichen und tragischen Liebesbeziehungen erzählt, in denen die Protagonisten gefangen sind. Unter ihnen der Ich-Erzähler, der sich als neutraler Beobachter gefällt und seltsamerweise die größte Sympathie für den Ehebrecher Edward hegt - ob sich dahinter eine homoerotische Neigung versteckt?

"Gibt es ein Paradies auf Erden, wo die Menschen unter flüsternden Olivenbäumen mit denen zusammen sein können, die sie  liebhaben, und bekommen, was sie möchten und sich´s in Schatten und Kühle wohl sein lassen dürfen?" (271)

Aus dieser Bemerkung spricht der Wunsch den Konventionen zu entgehen, obwohl der Ich-Erzähler betont, es bedürfe der Normalen, wie Leonora, damit die Gesellschaft bestehen bleibe, gleichzeitig gibt er zu, dass er die Gesellschaft nicht sehr mag und der freien Liebe nicht das Wort rede (vgl. 288). Er überlässt es den Leser*innen sich ihr Urteil zu bilden.

Keine leichte Kost, trotzdem und gerade deswegen lesenswert.

Vielen Dank dem Diogenes-Verlag für die wunderschöne bibliophile Ausgabe des Romans!