Mittwoch, 25. November 2015

Jonathan Safran Foer: Extrem laut und unglaublich nah

- ein ungewöhnlicher Roman.

Mir ist der Einstieg in diesen Roman wirklich schwer gefallen, da der Hauptprotagonist zunächst einmal kein Sympathieträger ist: Oskar, ein extrem seltsamer, 9jähriger Junge.
Er ist sehr intelligent, mit einem Hang zur Besserwisserei und Selbstüberschätzung. Er bestraft sich selbst, indem der sich blaue Flecken verpasst. Und er löchert seine Umgebung mit Fragen und gibt permanent sein Wissen weiter, auch wenn sein Gegenüber kein Interesse daran hat. Und die Geschichte wird aus seiner Ich-Perspektive erzählt.

Zum Inhalt
Oskars Vater - Thomas Schell -  ist beim Anschlag auf das World Trade Center ums Leben gekommen.
Kurz vor seinem Tod hat er versucht, seine Familie zu erreichen und dabei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen - diesen versteckt Oskar vor seiner Mutter und hört sich die Nachrichten immer wieder an.
Zudem findet er einen Umschlag mit einem Schlüssel in den persönlichen Sachen seines Vaters, auf dem Umschlag steht "Black". Daraufhin stellt er sich der Aufgabe, alle Personen in New York aufzusuchen, die Black heißen und ihnen den Schlüssel zu zeigen. Eine Odyssee durch New York beginnt, während der Oskar viele interessante Menschen kennen lernt und der das Gefühl hat, durch die Suche, seinem Vater nahe sein zu können.
Parallel dazu werden einmal die Briefe von Oskars Großvater Thomas an seinen Sohn eingefügt, beginnend 1963 bis zur Gegenwart. Dabei erklärt er, warum er damals seine Frau verlassen hat, obwohl diese schwanger gewesen ist.
Auch Oskars Großmutter wendet sich an Oskar und erklärt ihre Gefühle. Unter den Kapitelüberschriften "Meine Gefühle" schildert sie unter anderem aus ihrer Perspektive die Ereignisse des 11.Septembers - ein verstörendes Stück Prosa.
"Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Stürzende Körper.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Menschen, bedeckt von grauem Staub.
Stürzende Körper.
Einstürzende Gebäude.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen.
Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen."

Ebenso wie die verstörende Beziehung der Großeltern. Beide sind aus Deutschland nach dem Bombardement Dresdens in die USA emigriert und haben sich dort wieder getroffen. Oskars Großvater war eigentlich mit der Schwester seiner Großmutter liiert. In den USA hat er seine Sprache verloren und verständigt sich mit seinen Mitmenschen über Notizbücher, in denen vorgefertigte Sätze stehen. In ihrer gemeinsamen Wohnung gibt es Nicht-Räume... wenn das nicht seltsam und skurril ist. Es zeigt aber auch, wie verletztlich Menschen nach Verlusten und traumatischen Erlebnissen werden. So wie Oskar auf der Suche nach dem Schlüssel seinem Vater nahe sein will.
 Im Verlauf der Romanhandlung entwickelt man Verständnis für Oskars verzweifelte Suche nach dem Schlüssel und seiner tiefen Sehnsucht nach seinem Vater, den er offenkundig mehr liebt(e) als seine Mutter. Und das Ende offenbart zumindest das Geheimnis des Schlüssels und erklärt Oskars Verhaltensweise - auch das seines Großvaters - im Ansatz.


Bewertung
Erzähltechnisch ist es ein innovativer Roman, der auch mit anderen Textelementen experimentiert.

Aber das ist nicht das Enstscheidende. Es ist ein Roman, den man nicht mal so nebenbei lesen kann. Der mich gefordert hat, aber dann auch berührt, nachdem ich mich auf die Protagonisten eingelassen habe. Er zeigt, welche tiefe Wunden Menschen nach Terroranschlägen und Bombardements davontragen - auch die Überlebenden. Ein Roman, der leider viel zu aktuell ist.


Buchdaten
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: FISCHER Taschenbuch
Erschienen am: 1. Mai 2007
ISBN: 978-3596169221
Originaltitel: Extremly loud and incredibly close