Samstag, 28. Mai 2016

Anthony Doerr: Alles Licht, das wir nicht sehen


Hörbuch
Gesprochen von Frank Arnold

Spieldauer: 16 Std. 35 Min.
ungekürztes Hörbuch
Veröffentlicht: 25.12.2014

Vorne weg
Der Roman, der im 2.Weltkrieg spielt, stand lange auf der Spiegel-Bestsellerliste und erhielt 2015 den Pulitzer-Preis für Belletristik.


Inhalt
Die Geschichte beginnt im August 1944 in Saint-Malo (Bretagne) während und nach der Bombardierung der Stadt. Die Schicksale zweier Personen treffen an diesem Ort zusammen:
Das der 16jährigen blinden Marie Laure und des 18jährigen Waisenjungen Werner Hausners, der nach dem Bombardement mit seiner Einheit in einem Keller eingeschlossen ist.

Im Rückblick wird abwechselnd in kurzen Kapiteln erzählt, auf welchem Weg die beiden jeweils nach Saint-Malo gelangt sind, eingeschoben werden immer wieder die Ereignisse nach der Bombardierung.

Marie Laure lebt vor der Besetzung Frankreichs mit ihrem Vater in Paris, der als Schlosser im "Muséum National d´Histoire Naturelle" arbeitet. Dort zwischen all den Exponaten in den Sammlungen fühlt sie sich wohl und kann sich stundenlang damit beschäftigen, versteinerte Meerestiere zu ertasten. Ihr Vater baut ihr ein maßstabgetreues Abbild des Quartiers, in dem sie leben, damit sie den Weg bis zum Museum findet, das den sagenumwobenen Diamanten "Meer der Flammen" beherbergt , der bei der Besatzung Paris in die Hände von Marie Laures Vater gerät. Von Paris aus fliehen sie nach Saint-Malo zu Étienne, ihrem kauzigen Großonkel, der gemeinsam mit seinem Bruder, der im 1.Weltkrieg gefallen ist, Radiosendungen über Technik und Physik aufgenommen hatte. Jene Sendungen erreichen Anfang der 1930er Jahre den Waisenjungen Werner, der mit seiner Schwester Jutta in einem Waisenhaus des Zollvereins im Ruhrgebiet lebt.
Aufgrund seiner besonderen technischen Begabung und seiner Fähigkeit Radioapparate zusammenzubauen und zu reparieren, erhält er die Chance in einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (Napola), die die Elite für das Deutsche Reich ausbilden soll, seine Schullaufbahn zu absolvieren. In Schulpforta, in Sachsen gelegen, steht er unter dem besonderen Schutz des Physiklehrers Prof. Hauptmann und des "Riesen" Volkheimers, der später mit ihm gemeinsam in Saint-Malo in einem Keller (1944) eingeschlossen sein wird. Werner leidet in der Schule, da sein bester Freund Frederik, ein zarter Junge und Vogelliebhaber, von den anderen als Schwächling drangsaliert wird und dem militärische Drill nicht standhält. Werner vermag ihm nicht zu helfen und hat Angst, offen für Frederik einzutreten, bis jener so verletzt wird, dass er die Schule verlassen muss und lebenslang unter den Folgen leiden wird.
Marie Laures Vater wird unterdessen zurück ins Museum beordert, auf der Reise aber verhaftet und in ein Gefangenenlager nach Deutschland verschleppt. Sporadisch erreichen Marie Laure Briefe, in denen er andeutet, dass in dem Modell, das er ihr auch von Saint-Malo gebaut hat, etwas versteckt ist.

Nach diesem "Etwas" ist der Diamantenexperte Major Rumpel auf der Jagd. Als er im Naturkundemuseum nur die Kopie vorfindet, setzt er sich zum Ziel das Meer der Flammen zu finden und auch er ist nach Irrungen und Wirrungen 1944 in Saint-Malo unterwegs, um seine Begierde nach dem "Stein" endlich stillen zu können.

Während sich die Haushälterin Étiennes der Résistance anschließt und mit dem Radioapparat, mit dem einst Étienne und sein Bruder wissenschaftliche Radiosendungen in den Äther schickten, Nachrichten übermittelt, wird Werner zu einer Spezialeinheit der Wehrmacht berufen, die die Feindsender der Widerstandskämpfer aufzuspüren versucht. Er gelangt über die Ukraine und Österreich schließlich nach Saint-Malo und lauscht dort Marie-Laures Stimme, die nach der Bombardierung aus dem Haus ihres Großonkels heraus ihren Lieblingsroman von Jules Verne, "20000 Meilen unter dem Meer" vorliest, während Major Rumpel verzweifelt nach dem Diamanten in ihrem Haus sucht. Die Wege Werners und Marie Laures kreuzen sich für eine kurze Zeit. Doch der Roman endet nicht mit dieser Begegnung, sondern wirft einen Blick auf die Zeit nach der Bombardierung und schildert, was aus den einzelnen Protagonisten wie Marie Laure, Werner, Jutta, Volkheimer und auch Frederik geworden ist und natürlich auch aus dem "Meer der Flammen."

Bewertung
Eine spannende Geschichte, die auf mehreren Ebenen begeistert.
Erzähltechnisch führen die Rückblicke zielgerichtet auf die Begegnung der Protagonisten und es ist ein kluger Schachzug, die Geschichte danach weiterzuführen und nicht der Versuchung eines süßlichen Happy Ends zu erliegen. Mit der Suche von Major Rumpel nach dem kostbaren Diamanten wird die Spannung zusätzlich erhöht.
Geschichtlich gesehen gibt der Roman einen Einblick in das Leben in Saint-Malo unter der Besatzungsmacht und den Versuch, Widerstand zu leisten. Gleichzeitig schildert er die Bombardierung der Stadt und ihre Folgen. Zudem erfährt man etwas über das Leben eines Jungen in den "Napolas" und den militärischen Drill dort, der zielgerichtet auf den Krieg vorbereiten sollte.

Auf der Figurenebene erlaubt die Geschichte einen tiefen Einblick in die Seele des jungen Werner, der eigentlich "nur" von der Funktechnik begeistert ist und sich von der Wehrmacht instrumentalisieren lässt, obwohl aus ihm etwas anderes hätte werden können - wie Volkheimer immer wieder betont, der seinerseits Zärtlichkeit für Werner empfindet. Werner kämpft mit seinen Gewissensbissen und ist doch nicht in der Lage, "Nein"zu sagen oder für seine Freunde einzustehen, bis er den Sender von Marie Laures und ihrem Großonkel entdeckt und sich für den mutigen Weg entscheidet.
Begeistert hat mich auch die Protagonistin Marie-Laure, die sich trotz ihrer Blindheit und der Verhaftung ihres Vaters bewusst für die Résistance entscheidet und den Besatzern entgegenstellt und niemals aufgibt. Ihre außerordentliche Sensitivität und Sensibilität vermag der Autor mit seiner empathischen und bilderreichen Sprache besonders gut zum Ausdruck zu bringen.


Beim Hören braucht man am Anfang etwas Zeit, in die Geschichte zu finden, da die Kapitel recht kurz sind und man immer wieder zwischen Werners und Marie Laures Leben unterscheiden muss. Aber hervorragend vorgelesen von Frank Arnold findet man schließlich in die Geschichte hinein.

Ein absolut empfehlenswerter Roman!