Buchdaten
Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
Erschienen am: 9.Februar 2015
ISBN - 13: 978-3453418110
Orginaltitel: De lach en de dood
Vielen Dank an das Bloggerportal der Random House Verlagsgruppe, die mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.
Inhalt
Der jüdische Komiker Ernst Hoffmann tritt am 11. Januar 1946 zum ersten Mal wieder in Amsterdam im Theater auf, seit er Auschwitz überlebt hat. Ein Gespräch mit dem Bühnenmeister Henri Toussaint macht deutlich, wie schwierig es für ihn ist, erneut auf der Bühne zu stehen, die ihn einst berühmt gemacht hat:
"Alle sind begeistert, dass Sie wieder da sind. Aber jetzt auftreten...das dürfte nicht einfach werden." "Ich weiß nicht", sagte ich. "Ein Lacher ist und bleibt ein Lacher. Im Lager musste ich die Menschen auch zum Lachen bringen. " "Tatsächlich? Nun, wir haben es hier ebenfalls nicht leicht gehabt, wissen sie. In Amsterdam herrschten Hunger und Kälte. Und es gab Tote! Aber gut, die Deutschen und die Lager...Man hört da so einiges. Für Sie wird der Krieg bestimmt kein Zuckerschlecken gewesen sein." (S. 9)
Das ist ein sehr euphemistische Beschreibung dessen, was dem Komiker nach seiner Deportation widerfährt.
Im Rückblick schildert er in der Ich-Perspektive, wie er im Februar 1944 verraten und gemeinsam mit vielen anderen Juden in Viehwaggons nach Auschwitz deportiert wird. Im Waggon lernt er eine junge Frau kennen, Helena Weiss, die er als "Engel im grauen Mantel" bezeichnet - und in die er sich verliebt. Der Diamantenhändler Max de Ronde, der hofft, seine beiden Zwillinge und seine Frau zu finden, ist ebenfalls unter den jüdischen Gefangenen. Um die Stimmung im Waggon aufzuhellen, "tritt" Ernst auf und bringt die Leute zum Lachen. Die SS-Leute, die den Zug bewachen, schießen jedoch auf die lachenden Menschen und treffen dabei Max de Ronde tödlich. Ernst, der sich für Max Tod verantwortlich fühlt, findet in dessen Mantel einen Diamanten und versteckt ihn, mit dem festen Vorsatz, die beiden Kinder zu retten.
In Auschwitz angekommen, wird er von Helena getrennt und einem Arbeitskommando Bau zugeteilt. Aufgrund der Ich-Perspektive und der leicht zugänglichen Sprache erlebt man beim Lesen die Strapazen, die sadistischen Grausamkeiten und die unfassbare Unmenschlichkeit unmittelbar mit. So erzählt Ernst, dass er in der Baracke den Platz eines verstorbenen Gefangenen einnehmen muss, der immer noch in der Nähe der Tür liegt.
So etwas wie Stille gab es in der Baracke nachts nicht: Hunderte von Häftlingen schnarchten, murmelten im Schlaf, bliesen die Backen auf, seufzten und husteten. (...) Irgendwas bewegte sich bei der Leiche. Eine Ratte. Ich sah, wie sie an einer Nackenfalte schnupperte und begann, den Kopf anzuknabbern. Doch der Mann hörte einfach nicht auf zu lächeln. (S.58)
Zunächst hat Ernst Hoffmann "Glück", er gerät an einen polnischen Blockältesten Schlomo, der Sinn für Humor hat und ihn bittet abends in der Baracke aufzutreten, um den Häftlingen Mut zu spenden.
Jeden Tag ein Lacher? Nach dem Abendappell erzählt jemand einen Witz, einen komischen Vorfall, eine Erinnerung oder eine Anekdote mit dem einzigen Ziel, dass wir darüber lachen können. Der Beste bekommt vom Blockältesten ein Stück Brot oder Wurst, ganz nach dem Motte "Überleben mit Humor". (S.100)
Es gelingt Ernst Briefe mit Helena auszutauschen, was ihm zusätzlich die Kraft zu überleben gibt. Dann jedoch erkrankt er am Fleckfieber und wird in die Krankenbaracke abgeschoben, was normalerweise den sicheren Tod bedeutet. Wiederum ist das Glück auf seiner Seite: Der behandelnde Arzt ist gemeinsam mit ihm deportiert worden und kümmert sich um ihn. Außerdem hält der Lagerkommandant seine Hand über ihn, da er möchte, dass Ernst als Komiker vor den SS-Wachsoldaten auftritt. Sein Vater hat genau wie der Ernst Vater im 1.Weltkrieg an der Somme gekämpft.
Warum sollen wir hier kein Kabarett haben? Mit ihnen habe ich das große Los gezogen. Sie sind zur Hälfte deutsch, Sie beherrschen die Sprache, Und Sie sind ein Komiker auf hohem Niveau. Ich kann etwas für Sie tun und dafür sorgen, dass Sie den Krieg heil überstehen. (S. 145)
Ernst weigert sich aufzutreten, da er dies nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann, doch statt ihn zu erschießen, weist ihn der Lagerkommandant dem Sonderkommando zu. Also denjenigen, die die Gefangenen empfangen und in die Gaskammern geleiten. Dort soll er die Menschen zum Lachen bringen (!). Gibt es eine perfidere Grausamkeit?
Bevor er an dieser Aufgabe zerbricht, erscheint Helena, um mit weiteren weiblichen Gefangenen vergast zu werden, und Ernst gelingt es, sie zu retten - um den Preis, dass er dafür nun doch vor den SS-Wachmännern auftreten muss.
Ein Auftritt, der Ernst in ein tiefes Dilemma stürzt: Um Helena zu retten, wird er ein SS-Komiker - ein Dilemma, das er vor sich selbst verantworten muss, für das seine Geliebte jedoch Verständnis zeigt. Immer wieder stellt er sich die Frage, wie weit er gehen darf?
Ein anderer Künstler - der Clown Grosso wagt einen Akt des Widerstandes, und zieht fast alle anderen Künstler - auch die Musiker, die zur "Erbauung" der Gefangenen und vor allem der SS-Wachleute spielen, mit in den Tod.
Ernst überlebt das Lager und der Roman endet zumindest für ihn mit einem persönlichen Hoffnungsschimmer.
Bewertung
Mehrmals musste ich den Roman aus der Hand legen und erstmal tief durchatmen. Obwohl ich schon viele Romane gelesen habe, die die sadistische Unmenschlichkeit der Aufseher in all ihren grausamen Facetten schilderen, ist mir diese Lektüre sehr nahe gegangen. Es mag an der Ich-Perspektive liegen, an dem sympathischen Protagonisten, der emotionalen Sprache und vor allem an dem Dilemma, in dem sich Ernst Hoffmann befindet - und natürlich auch an der Liebesgeschichte. Der Autor spricht bewusst die Emotionen seiner Leser/innen an, aber gerade dadurch wird das Entsetzliche greifbar - durch diese persönliche Geschichte.
Im Klappentext heißt es über den Roman, dass er "die ambivalente Rolle des Humors in einem totalitären System lebendig macht."
Das wird besonders an den Juden-Witzen deutlich, die Ernst Hoffmann vor den SS-Wachleuten erzählt und einmal wagt er es sogar, die Wahrheit in einer Pointe auszusprechen:
"Es heißt immer, Deutsche hätten keinen Humor. Das ist genau so ein Unsinn wie die Behauptung, der deutsche Russlandfeldzug sei gescheitert!" (S. 264)
Ein lesenswerter Roman, der das Dilemma jüdischer Künstler aufzeigt, sich im Lager instrumentalisieren zu lassen, um zu überleben, oder Widerstand zu leisten und zu sterben.