Gebundene Ausgabe, 317 Seiten
Suhrkamp, 11. September 2017
Vielen Dank für das Leseexemplar, hier geht es zur Buchseite des Suhrkamp Verlages.
Der erste Teil der Reihe (den ich unbedingt noch lesen will!) um den pensionierten Kriminalkommissar Jakob Franck, Der namenlose Tag, wurde mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet. Dies ist nun der 2.Fall für den sympathischen Ermittler, der es sich auch in seinem Ruhestand zur Aufgabe gemacht hat, "Hinterbliebenen die Nachricht vom Tod eines Angehörigen zu überbringen." (S.16)
Worum geht es in dem Mordfall?
Nachdem der 11-jährige Lennard Grabbe an einem stürmischen und regnerischen Abend nicht Hause kommt, beginnt eine fieberhafte Suche. 34 Tage später wird die Leiche in der Nähe eines Gasthofes gefunden, Tatort ist jedoch ein Spielplatz in der Nähe der Schule.
Jakob Franck sucht die Eltern auf, die ein Café betreiben, um ihnen die schreckliche Botschaft zu überbringen und "ermordet das Glück" dieser Familie.
">Ich habe Ihnen und Ihrem Mann eine schlimme Nachricht zu überbringen.<" Dann verschwand die Welt um sie herum.
Als die Welt wieder da war, gehörte Tanga Grabbe nicht mehr dazu." (S.12)
Tanja Grabbe, Lennards Mutter, zerbricht am Tod ihres Kindes, schließt sich in sein Zimmer ein. Auf der Beerdigung spricht sie sehr bewegend nur zu seinem Bild.
"Sie senkte den Kopf und bemerkte, dass sie eine gerahmte Fotografie in den Händen hielt. Das bist doch du, sagtes sie und betrachtete das sonnige Gesicht, zu ihm allein hatte sie gesprochen, nicht über ihn, nicht zu den anderen, nur zu ihm, ihrem Sohn; wenn er in ihrer Nähe war, brauchte sie niemanden sonst. Als er auf die Welt kam, brachte er sie mit." (S.54)
Sie weigert sich mit ihrem Mann Stephan und ihrem Bruder, Maximilian Hofmeister, zu sprechen, obwohl sie mit letzterem innig verbunden ist. Auch Max´ Glück, der seiner Schwester zuliebe den Friseursalon des Vaters übernommen hat, scheint verloren - ein dunkler Schatten aus der Vergangenheit bemächtigt sich seiner und will ans Licht.
Während die Sonderkommission keinen Schritt bei der Tätersuche vorankommt, begibt sich Franck auf Spurensuche. Seine Ehe ist vor 20 Jahren gescheitert, da Francks Gedanken sich fast ausschließlich um seine Arbeit gedreht haben und vielleicht auch, weil die Ehe kinderlos geblieben ist. Doch immer noch ist er seiner Ex-Frau verbunden und trifft sie regelmäßig.
In seiner Erinnerung tauchen die ungelösten Fälle seiner Vergangenheit auf und immer wieder seine Schwester, die ebenfalls ermordet worden ist.
"An diesem frostigen Montagnachmittag taumelte Franck, unbemerkt von seinem Begleiter, in seine eigene Welt; in dieser Welt hatte er seine Schwester verloren und nie aufgehört, sie zu vermissen; als läge ihr Tod nicht schon fast ein ganzes Leben zurück, sondern vielleicht erst drei Monate - so lange wie die Ermordung des elfjährigen Lennard." (S.177)
In einer Art Meditation bündelt er seine Gedanken und begibt sich auf die Suche nach dem Fossil, dem Puzzleteilchen, das zur Aufklärung des Falls führt. Er verbringt Stunden am Tatort, geht alle Zeugenaussagen und Protokolle noch einmal durch, bis er endlich das entscheidende Detail entdeckt.
Bewertung
Eigentlich lese ich prinzipiell keine Kriminalromane, in deren Mittelpunkt die Ermordung eines Kindes steht und die Eltern in ihrer Trauer zurückbleiben, da es mir zu nahe geht. Doch mehrere Rezensionen haben mich auf den Roman neugierig gemacht, so dass ich eine Ausnahme gemacht habe.
Friedrich Ani spart die Trauer der Mutter nicht aus, als Leser*in taucht man tief in ihre Gedanken hinein und kann die Ermordung des Glücks mit-fühlen. Dadurch, dass die Gedanken und Gefühle jedoch in der erlebten Rede (Sie-/Er-Perspektive) erzählt werden, entsteht eine Distanz, die es ermöglicht, die Trauer der Protagonisten zu ertragen. Trotzdem ist ein sehr melancholischer Krimi, in dem die fragile Familienkonstellation der Grabbes völlig zerbricht und der Bruder Tanjas für eine alte Schuld bezahlen kann. Menschliche Abgründe - überall.
Natürlich ist der Kriminalroman auch spannend, die fast schon exzessive Suche Francks nach dem Mörder erzeugt einen Sog, dem ich mich nicht widersetzen konnte und fast glaubt man, das Fossil werde nie gefunden.
Ein beeindruckender Roman, in dem die Suche nach dem Mörder ebenso im Vordergrund steht wie die trauernden und verzweifelten Hinterbliebenen und der beharrliche, empathische Ermittler, von dem es hoffentlich noch weitere Fälle geben wird.