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gesprochen von Christian Berkel
14 Stunden 21 Minuten
Auf der Frankfurter Buchmesse hatte ich das Vergnügen ein Interview mit Robert Menasse mitzuerleben, in dem er sich als überzeugter Europäer präsentiert hat. Da er für seinen Roman den Deutschen Buchpreis erhalten hat, war meine Neugier geweckt.
Worum geht es?
Ein Schwein läuft durch Brüssel. Zuerst sieht es der Belgier
David de Vriend, Holocaust-Überlebender, der nach 60 Jahren seine Wohnung verlässt, um in ein Altenheim zu
ziehen.
Karl-Uwe Frigge, Deutscher und EU-Beamter, der in der Generaldirektion Trade der Europäischen Kommission arbeitet, erblickt das Schwein von seinem Taxi aus.
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommision, wartet auf jenen Frigge, in den sie sich verliebt hat.
Er soll ihr helfen aus dem ungeliebten Kulturbereich herauszukommen. Aus einem Restaurant heraus beobachtet sie das rosa Hausschwein, das Richtung
Hotel Atlas läuft, aus dem gerade der Mörder Richard Ossietzky tritt.
Ein Mordfall, dem sich der Kommissar Brunfaut annehmen wird und der dann einfach zu den AKten gelegt wird und auch nicht gelöst werden wird - wie so viele Probleme der europäischen Union.
Martin Susmann, österreichischer Bauernsohn und Referent bei Fenia, dessen Bruder Florian einen großen Schweinemastbetrieb unterhält und der den Einfluss Martin in Brüssel gelten machen will, sieht das Schwein von seiner Wohnung aus, wie es gerade jemanden zu Boden wirft.
Professor Alois Erhart, Erimitus der Volkswirtschaft und eingeladen zu einem Think-Tank der Kommission, Europa, hilft jenem Mann, der vom
Schwein zu Boden gestoßen wurde, einem Immigranten, dem durch den Kopf geht: „Sein Vater hatte ihn vor Europa gewarnt.“
In diesem furiosen Prolog erscheinen die wichtigsten Hauptfiguren - verbunden durch ein rosa Hausschwein, das Brüssel noch einige Zeit beschäftigen wird.
Im Mittelpunkt stehen diese Figuren und das Jubilee-Projekt der Europäischen Kommission, das dazu dienen soll, das Ansehen der europäischen Union aufzupolieren. Fenia reißt das Projekt an sich und beauftragt Martin Susmann eine Idee auszuarbeiten. Dieser hat den genialen Einfall, Auschwitz in den Mittelpunkt der Feierlichkeiten zu stellen. Als Ort, an dem nationale Identität aufgehoben wurde und als Symbol, dass Nationalität überwunden werden muss, damit sich ein solch unfassbares Verbrechen nie wiederholen kann. Ob sich eine solche Idee durchsetzen kann?
Neben dem Jubilee-Projekt spielt auch ein Handelsabkommen mit China eine Rolle - es geht um Schweine. Am Beispiel der (Um-)wege, die Florian Susmann als Vertreter der europäischen Schweinezüchter gehen muss und der Argumente, die diesbezüglich ausgetauscht werden, wird deutlich, wie stark die nationalen Interessen innerhalb der EU immer noch im Vordergrund stehen.
Der Roman endet mit dem Holocoust-Überlebenden David de Vriend, der von einer Bombe in der Brüsseler U-Bahn ums Leben kommt. Mit ihm stirbt die Erinnerung und konsequenterweise endet auch die Jubilee-Idee, Auschwitz zum Zentrum der Feierlichkeiten zu machen, in den Mühlen der Bürokratie und scheitert an nationalen Befindlichkeiten.
Und das Schwein? Am Ende ist es verschwunden, wie die europäische Idee?
Bewertung
Menasse verführt dadurch, dass er mit satirischen Mitteln
die EU-Kommission und ihre Arbeitsweise bloß stellt, zum Lachen. Andererseits
appelliert er mit der Idee Auschwitz zum Mittelpunkt der Feierlichkeiten zu
machen für die Überwindung des Nationalstaates, für ein vereintes Europa, in
dem die nationalen Interessen hinter europäische zurücktreten, damit Auschwitz
nie wieder Realität wird. Damit schärft er den Blick für die Grundidee hinter der EU und erinnert an das, was uns vereinen sollte.
Ein sehr interessanter Roman, der überaus unterhaltsam erzählt wird - und eine echter Hörgenuss dank des guten Vorlesers Christian Berkel. Neben der politischen Thematik wird auch die Lebensgeschichte der einzelnen Hauptfiguren ausgebreitet, die jeweils in sich stimmig ist und immer wieder um die Themen nationale Identität und Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus kreisen. Daneben enthält der Roman aber auch sehr berührende Szenen.
Prof. Erhardt beschreibt, wie er nach 40jähriger Ehe, mit
seiner Frau Trudi guten Sex erlebt:
"Er schob ihr Nachthemd hoch, spürte dabei eine kurzen
stechenden Schmerz in seinen Lendenwirbeln wie ein Stromschlag. Er stöhnte, sie
zog das Hemd aus. Sie lächelte, erstaunt, fragend. Er betrachtete ihren Körper,
studierte ihn. Las jede Falte, jedes blaue oder rote Äderchen und jedes
Fettpölsterchen wie eine Landkarte auf der ein langer gemeinsamer Weg
eingezeichnet war. Ein Lebensweg mit Höhen und Tiefen und er drückte sich
erregt an sie, weinte, drückte, das Licht, der Röntgenblick und plötzlich in
größter Erregung spürte er es. Ein Verschmelzen, in dem ihre Seelen sich
berührten. Und sie lachte, Trudi. Ihre Seelen berührten sich.“ (Kapitel 83)
Ein Roman, den es sich zu lesen oder zu hören lohnt, und nicht nur, weil er den Deutschen Buchpreis gewonnen hat.
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