- provokant, unzensiert, ungeschliffen.
Leserunde bei whatchareadin
Gebundene Ausgabe, 268 Seiten
Blumenbar, 4. Dezember 2017
Der erste Roman John Fantes fand zu Lebzeiten keinen Verleger. Geschrieben hat er es im Jahr 1935/36 im Alter von 25 Jahren und er hat den ersten Teil nochmals überarbeitet und stark gekürzt.
Nach seiner Wiederentdeckung zu Beginn der 1980er verstarb Fante, so dass er seinen späten Ruhm nicht mehr erleben konnte. Seine Frau erinnerte sich dann an das vergessene Romanmanuskript "Der Weg nach Los Angeles", überließ es dem neuen Verleger weiter, der es dann praktisch unlektoriert in Druck gab, ersetzte jedoch die ersten Kapitel durch die kürzere Version.
Aufgrund des fehlenden Lektorarts wirkt der Text, wie der Übersetzer Alex Capus bemerkt
"ungeschlacht, ungeschliffen und unpräpariert, weil er eben nie die Knochenmühle eines professionellen Lektorats durchlaufen musste." (S.246)
Gleichzeitig erklären sich dadurch die zahlreichen Wiederholungen und auch Fehler, die der Übersetzer teilweise geglättet hat.
Worum geht es?
Der 18-jährige Arturo Bandini - Italo-Amerikaner - lebt nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter und zwei Jahre jüngeren Schwester in einer kleinen Wohnung in einem Vorort von Los Angeles.
"Sowie ich den Türknauf in die Hand nahm, sank meine Stimmung auf den Tiefpunkt. Dieses Gefühl hatte ich beim Heimkommen schon immer gehabt, sogar damals schon, als mein Vater noch lebte und wir in einem richtigen Haus wohnten. Ich hatte schon immer weggehen oder alles verändern wollen, und schon immer hatte ich mir vorzustellen versucht, wie das wohl wäre, wenn alles anders wäre. Aber was ich hätte tun kommen, damit sich etwas änderte, wusste ich nicht." (S.17)
Obwohl es sich zum Schriftsteller berufen fühlt, Nietzsche und Schopenhauer liest, muss er für den Lebensunterhalt der kleinen Familie sorgen. Nach einigen erfolglosen Versuchen verschafft ihm sein Onkel einen Job in einer stinkenden Fischfabrik.
Erzählt wird der Roman ausschließlich aus der Ich-Perspektive des jungen, pubertären Mannes, der einen Halt im Leben sucht und seine Identität noch nicht gefunden hat.
Provokant, roh und ungeschliffen sind seine Gedanken, brutal zerstört und quält er Insekten, fühlt sich allmächtig, dann wieder hilflos und verzweifelt. Starke Gefühlsschwankungen kennzeichnen seinen Gedankenfluss, Beschimpfungen gegenüber Mutter und Schwester sind an der Tagesordnung.
"Ich stieg auf das Sofa und schrie: "Ich lehne die Gotteshypothese ab! Nieder mit der Dekadenz betrügerischen Christentums! Religion ist Opium für das Volk! Alles, was wir sind oder jemals zu werden hoffen, verdanken wir dem Teufel und seinen verbotenen Früchten!" (S.28)
Solche literarischen Bezüge finden sich viele im Roman und zeugen davon, dass sich Arturo überlegen fühlt, sich über seine Mutter und Schwester erheben will.
In der Wohnung hat er sein Studierzimmer in einem Kleiderschrank, dort bewahrt er Bilder von Frauen aus Zeitschriften auf und gibt sich sexuellen Fantasien hin. Immer wieder steht das Beherrschen im Vordergrund, das Erniedrigen anderer, obwohl er selbst als Kind wegen seiner italienischen Herkunft gedemütigt wurde.
"Ich war vielleicht zehn Jahre alt gewesen und hatte dem Mädchen ein Eis kaufen wollen, und sie hatte gesagt, sie dürfe von mir nichts annehmen, weil ich ein Spaghettifresser sei und ihre Mutter ihr verboten haben, sich mit Spaghettifressern einzulassen. Ich wusste also, wie sich das anfühlte. Ich beschloss, dem Filipino noch einen oben drauf zu geben." (S.93)
In der Leserunde kam die Vermutung auf, der Protagonist leide an einer narzissistischen Persönlichkeitsstörung, das würde einige seiner Verhaltensweisen erklären. Ab und an überkommen ihn aber auch Zweifel an seiner Person, die jedoch nie lange vorhalten.
"Es ist Morgen, Zeit, aufzustehen. Also steh auf, Arturo, und such dir Arbeit. Geh raus und such, was du nie finden wirst. Du bist ein Dieb und ein Krabbenmörder, und du liebst Frauen in Kleiderschränken. Einer wie du findet niemals einen Job!" (S.55)
"Hör auf mit dem Quatsch!, sagte der Teil von mir, der für die Antworten zuständig war. So ist es nicht gewesen, du Trottel! Du allein bist schuld! Hör auf, die Verantwortung anderen Leuten in die Schuhe zu schieben!" (S.104)
Nach einer nächtlichen Begegnung mit einer unbekannten Frau beginnt er endlich zu schreiben. Doch sein erster Roman, der die amourösen Abenteuer des Protagonisten beschreibt, ist missraten. Das Urteil seiner Schwester ist vernichtend, aber durchaus zutreffend, wie er selbst erkennen muss:
"Es ist nicht nur doof, es ist auch klugscheißerisch. Die vielen großen Wörter!" (S.206)
Arturo kommt zu der Überzeugung, dass er in dieser Umgebung keine Entwicklung durchlaufen kann und macht sich auf den Weg nach Los Angeles
Bewertung
In der Leserunde herrschte die einhellige Meinung, dass dieser Protagonist extrem unsympathisch ist und mit seinem Verhalten Abscheu und Ablehnung hervorruft. Der Roman zeigt die Suche dieses pubertären Mannes nach einer Identität, wobei seine sadistischen Neigungen meines Erachtens schon grenzwertig sind.
Insofern ist dieses Erstlingswerk tatsächlich provokativ und ungeschliffen. Die sexuellen Fantasien werden ungefiltert wiedergegeben, die vulgären Beschimpfungen gegenüber der Mutter und Schwester nicht zensiert.
Doch auch "schöne" Sätze und Sequenzen sind zu lesen und zeigen, dass Fante durchaus über einen guten Stil verfügt.
"Draußen an der frischen Luft fühlte ich mich noch schlechter, dann die Nacht war weder ätherisch noch prachtvoll, sondern kalt und neblig, und die Straßenlampen blakten diesig im bleichen Dunst."(S.13)
Witzig ist der kurze Auszug aus Bandinis Manuskript, das in schwülstigen Worten schwelgt und grauenvoll zu lesen ist.
Insgesamt hat mich der Roman aber nicht überzeugen können - im Gegensatz zu "1933 war ein schlimmes Jahr". Zu abstoßend ist der Protagonist, der sich in seinen Gedanken immer wieder im Kreis dreht. Die erhoffte positive Entwicklung bleibt aus, wahrscheinlich erfolgt sie auf dem Weg nach Los Angeles. Zumindest eröffnet der Roman einen Einblick in die Gefühlswelt des selbstverliebten Jungen und zeigt die Arbeitsbedingungen Mitte der 30er Jahre am Beispiel der Fischfabrik - insofern ist es auch ein Zeitdokument.
"Fante erzählt mit so viel Liebe und Humor, dass man seine Figuren sofort ins Herz schließt."
Martin Becker (Deutschlandfunk)
(auf der Buchrückseite)
Dieser Einschätzung möchte ich vehement widersprechen und ich kann sie ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Statt ihn ins Herz zu schließen, wünscht man sich, dem größenwahnsinnigen Bandini möge jemand die Grenzen aufzeigen. Vielleicht erscheint er ja in den vier anderen Romanen Fantes, in denen er ebenfalls Protagonist ist, sympathischer.