Mittwoch, 20. Dezember 2017

Gustave Flaubert: Madame Bovary

- ein Sittenbild aus der Provinz.

Gastbeitrag von Sabine

Kathedrale Rouen (Quelle: pixabay)
Hörbuch von Audible
gesprochen von Christian Brückner
14 Stunden und 4 Minuten
ungekürztes Hörbuch





Madame Bovary geistert namentlich durch die Gazetten, durch die Literatur und der „Bovarysmus“ ist eine feststehende Größe in Psychologie/Philosophie. Genau dieser Tatsache ist es geschuldet, dass Tina und ich uns an die gemeinsame (Hör-)Lektüre dieses Werkes der klassischen französischen Literatur machten. Erstmals erschienen ist der Roman 1856, der den Untertitel „Sittenbild aus der Provinz“ trägt. Aufgrund seiner neuartigen und für die Zeit überraschend offenherzigen Erzählweise wurde der Autor von Zeitgenossen angegangen, musste sich sogar vor Gericht verantworten.

Worum geht es?
Der Roman setzt in der Kindheit von Charles Bovary ein. Er kommt aus wenig begütertem Hause, ist ein mäßig fleißiger Schüler und wird von seiner Mutter einerseits geliebt, andererseits aber auch stark dominiert. Sie ist es, die ihn zum Medizinstudium drängt, dessen Examen er mit 5 Jahren Verspätung ablegt. Sie zwingt ihn in seine erste Ehe mit einer deutlich älteren und verknöcherten Witwe, von der sie sich einigen Wohlstand erhofft. Diese Verbindung ist für den jungen Mann ein Desaster, da er kontrolliert und bevormundet wird. Kurz nachdem er Emma durch die Behandlung ihres Vaters kennenlernt, verstirbt seine Frau. Er hält um Emmas Hand an, nach Ende der Trauerzeit findet die Hochzeit statt.
Charles strotzt vor romantischen Gefühlen seiner Frau gegenüber, er vergöttert sie und vertraut ihr blind. Emma indes liest mit Vorliebe romantische Romane und möchte aus ihrer Welt ausbrechen. Sie hat sich durch die Heirat einen gesellschaftlichen Aufstieg erhofft, der an der Seite dieses bescheidenen Landarztes ausbleibt, so dass ihre Unzufriedenheit wächst. Als das Paar für ein Wochenende auf das Schloss eines Marquis eingeladen wird und Emma diese völlig neue Lebensart entdeckt, wird ihr die Diskrepanz zu ihrem eigenen Leben überdeutlich, ihre Unzufriedenheit steigt und sie träumt von einem Mann, der sie liebt und “errettet“.
Sie freundet sich mit dem Kanzlisten León an, mit dem sie die Liebe zu Literatur und Musik verbindet. Diese Beziehung bleibt zunächst platonisch. Gefährlicher wird es mit Rodolphe, einem Nachbarn aus niederem Adel: Schnell entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Während er Emma zunächst nur als bequeme, gefahrlose Eroberung sieht, stürzt sie sich kopfüber ins Abenteuer, vernachlässigt ihre mütterlichen Pflichten, kauft teure Geschenke und verschuldet sich zusehends. Höhen und Tiefen prägen die Beziehung. Kurz bevor beide zusammen mit Emmas Tochter Berthe durchbrennen können, kommen Rudolphe Zweifel und er beendet die Verbindung. Emma befällt erneut tiefe Unzufriedenheit, die sie ihrer Umwelt gegenüber völlig unleidlich macht. Charles liebt sie durchgängig hingebungsvoll, pflegt sie, wechselt für sie sogar den Wohnort, und obwohl sie ihn zunehmend ablehnt, ahnt er nichts von ihrem Doppelleben.
Als Leser wird klar, dass dies kein gutes Ende nehmen kann. Rodolphe wird nicht Emmas einziger Liebhaber bleiben. Emma hat eine Spirale in Gang gesetzt, die Armut und Verderben über die Familie bringen wird. Charles nimmt keinen Ratschlag aus seinem Umfeld an. Am Ende landet Tochter Berthe elternlos in einer Baumwollspinnerei. Das ist die bittere Tragik, dass die Höhenflüge der Mutter die Tochter in Armut stürzen, denn sie wird in der Fabrik schuften müssen, während ihre Mutter zu Lebzeiten im Grunde keinerlei Pflichten hatte und dennoch mit ihrem Leben vollkommen unzufrieden war. Ironie des Schicksals?

Bewertung
Zahlreiche interessante Charaktere bevölkern den Roman und machen ihn eben zum Sittenbild aus der Provinz. Vieles erfährt man über das Leben und die Gesellschaft in der französischen Kleinstadt.
Das Hörbuch wird absolut beeindruckend von Christian Brückner gelesen. Seine Stimme machte es zu einem absoluten Hörgenuss. Tina und ich sind überzeugt, dass wir beim normalen Lesen sicher die ein oder andere Länge empfunden hätten, beim Hören blieb uns das erspart.
Vergleicht man Madame Bovary mit Fontanes „Effi Briest“, einem Werk, das immerhin 40 Jahre später erschien, wird man in der Tat feststellen, dass hier in diesem Roman der Ehebruch nicht nur mit vagen Andeutungen, sondern recht deutlich dargestellt wird. Das Paar plant raffiniert seine Treffen, wird immer waghalsiger, geht auch in der Öffentlichkeit recht vertraut miteinander um.
Sympathien hat man nicht mit Emma, zu hausgemacht erscheinen ihre Probleme, sie übernimmt keine Verantwortung für ihr Tun. Vielleicht würde man sie heute als depressiv bezeichnen?
Tina und ich haben einen weiteren Klassiker via Hörbuch kennengelernt und es wird gewiss nicht der letzte bleiben. Wir empfehlen dieses Hörbuch voll und ganz.