Montag, 26. Februar 2018

Thomas Elbel: Der Todesmeister

- nichts für schwache Nerven.

Leserunde auf whatchareadin mit Autorenbegleitung

Als ich den Klappentext zum Thriller "der todesmeister" gelesen habe, war ich unsicher, ob ich an der Leserunde teilnehmen sollte. Die Leiche eines jungen Mädchens, gefoltert und vergewaltigt, wird in der Nähe der Oberbaumbrücke in Berlin gefunden.

Gewalt und Missbrauch bei Kindern ist ein Thema, das ich als Mutter zweier Mädchen lieber meide. Doch die erste Leseprobe und die Aussicht, dass der Autor selbst für Fragen zur Verfügung steht, haben mich überzeugt. Gott sei Dank, denn der Thriller hat sich zwar als grausam herausgestellt, aber auch als extrem spannend und humorvoll. Eine gelungene Mischung mit einem interessanten Ermittlungsteam. Aber erst mal der Reihe nach...


Worum geht es?
Im Prolog flüchtet ein Mädchen, dass ungefähr drei Wochen gefangen gehalten, gefoltert und offenkundig missbraucht wurde, vor seinem Peiniger, wird jedoch wieder aufgegriffen.

"Willkommen im Grand Guignol", sagte er. "Das Kabarett des Schreckens." (S.17)

Am 5. Januar 2017, einem Donnerstag, wird ihre Leiche an der Oberbaumbrücke gefunden. Der Obdachlose Gerd hat zuvor die "Entsorgung" des Mädchens beobachtet und gestört, dabei gerät er gemeinsam mit ihr in die Fluten, kann sich aber retten. Wird er als Zeuge aussagen können?

Am gleichen Tag tritt Viktor von Puppe seinen Dienst am LKA an, bisher hat er für das Innenministerium gearbeitet. Die wahren Motive für seine Versetzung will er dem Chef der Behörde, Erich Richter, unter keinen Umständen mitteilen.

"Die Wahrheit war tabu, oder seine "Polizeikarriere", würde enden, bevor sie überhaupt begonnen hatte." (S.23)

"Aber er musste unbedingt zur Poilzei. Es war der einzige Weg, endlich die Wahrheit..." (S.25)

Welches Geheimnis birgt der neue Ermittler und welche Motive haben ihn veranlasst seinen Arbeitsplatz mit dem rauen Polizeialltag zu vertauschen?

Seine neuen Kollegen sind

  • Kenji Tokugawa, japanischer Abstammung, der nach außen hin eine große Berliner Schnauze zelebriert, dessen Vergangenheit aber ein ebenso dunkles Geheimnis birgt, wie die Viktor von Puppes.

"Das Gesicht des Mannes hatte etwas Aristokratisches, wie aus einem alten Samurai-Schinken, mit einem feinen goldfarbenen Tein und einem dünnen Bart. Sein Oberkörper steckte in einem verwaschenen Longsleeve, auf dem ein "Dead Kennedys"-Logo prangte. Dazu trug er Cargopants mit Camouflage-Musterung und gammelige Kampfstiefel." (S.38)

  • Begüm Duran, allein erziehende Mutter einer vierjährigen Tochter und türkischer Herkunft, die sich Viktor gegenüber abweisend und schroff verhält.

Ken beschließt kurzerhand ihn "Püppi" zu nennen und es sieht aus, als müsse sich Viktor erst deren Respekt verdienen. Die Dialoge zwischen dem ungleichen Ermittlertrio sorgen für den entsprechenden Humor und für viele skurrile Szenen - zusammen mit der sehr attraktiven Rechtsmedizinerin Stella, die ihr sexuelles Interesse an Viktor recht offen bekundet, bilden sie einen wohltuenden Kontrast zu dem grausamen Fall.

Bei der Toten handelt es sich um die entlaufene Nichte des Justizsenators, der aus irgendeinem Grund kein Interesse daran hat, dass die Hintergründe ihres Verschwindens genauer untersucht werden. Trotz anders lautender Befehle befragen Ken und Viktor die Mutter des verschwundenen Mädchens und fördern zu Tage, dass diese seit den Sommerferien verändert und mehrfach von zu Hause ausgerissen ist. Gemeinsam mit freizügigen Fotos, die der Justizsenator erwähnt und die er von einem "Internetputzer" bereits hat entfernen lassen, ergeben sich daraus einige Ermittlungsansätze.

Ein weiterer Handlungsstrang, neben dem Obdachlosen Gerd, bilden die ausgerissenen Kinder Jenny und Lukas, die ebenfalls "in Kontakt" mit dem Täter treten, der offenkundig in einem Internetchat mit dem Decknamen "Grand Guignol" in Erscheinung tritt, wobei deutlich wird, dass Videoaufnahmen des misshandelten Mädchens eine Rolle spielen.

Bereits am nächsten Tag, Freitag, dem 6.Januar 2017, wird der vermeintliche Täter gefunden.

Doch das Ermittler-Trio ist sich sicher, dass dies nur ein Bauernopfer gewesen sein kann. Wer steckt wirklich hinter dieser grausigen Tat? Und welcher Rolle spielt das Haus mit dem schalldichten Keller und dem Filmstudio, in dem der Täter aufgefunden und das in Brand gesteckt wurde?
Die drei beschließen auf eigene Faust weiter zu ermitteln - gegen den Willen ihres Vorgesetzten.

Bewertung
Der Fall ist wirklich grausig, da junge Mädchen gefoltert, missbraucht und schließlich getötet werden, wobei dies im Rahmen einer Inszenierung geschieht, die gefilmt und im Internet verbreitet wird - sogenannte Snuff-Videos (=filmischen Aufzeichnung eines Mordes) entstehen und werden im Thriller recht realitätsnah geschildert. Also nichts für schwache Nerven.

Im Kontrast dazu steht das mulitkulturelle Ermittlerteam. Jeder von ihnen wartet mit einer interessanten Vergangenheit auf und ihr lockerer Umgangston sorgt für temporeiche Dialoge. Ihr unterschiedlicher sozio-kultureller Hintergrund führt zu gegenseitigen Missverständnissen und manchmal hat man das Gefühl, da treffen Welten aufeinander, was in entsprechenden Situation so geschildert wird, dass man zwischendrin auch mal lachen kann.

Skurrile Szenen mit schwarzem Humor, Wortwitz und entsprechende Metaphern bilden somit das Fundament, auf dem man die grausamen Szenen ertragen kann.

"Dafür wurde die Entdeckung ihrer Leichen in der Spree und die Folter, die sie erlitten hatte, in der blumigsten Sprache, die das glatte Beamtendeutsch zuließ, ausgemalt." (S.185)

Interessant sind auch die verschiedenen Perspektiven - als Leser/innen erwartet uns Katharinas Tagebuch mit authentischer Jugendsprache

"Therese hat Onkel Max so was von geblickgefickt. Ich habe mich voll weggeschmissen. Er ist aber auch echt ein Dadster." (S.222)

Und ein Blick in den Kopf des Täters,

- "Er liebte die Dunkelheit" (S.260) -

der ebenfalls mit einer grausigen Vergangenheit aufwarten kann - aber das entschuldigt in keinster Weise seine Handlungen.

Glaubt man gegen Ende zunächst, es laufe auf den üblichen Showdown heraus, überrascht der Thriller mit einer unerwarteten Wendung und es wird so spannend, dass ich bei den letzten hundert Seiten nicht mehr aufhören konnte zu lesen.

Es gibt auch schon Hinweise darauf, dass es einen zweiten Fall mit dem Ermittler-Team geben wird. Darauf freue ich mich schon sehr!

Für alle Thriller-Fans, eine klare Lese-Empfehlung.

Buchdaten
Taschenbuch, 511 Seiten
Blanvalet, 2017

Vielen Dank für das signierte Lese-Exemplar.