Sonntag, 25. März 2018

Jojo Moyes: Eine Handvoll Worte

- eine Liebesgeschichte.

Lesen mit Mira

Mein Pseudonym Querleserin verrät, dass ich neben anspruchsvoller Literatur zwischendurch gerne auch anderes lese: Fantasy-, Kriminalromane und seltener ein Liebesroman. Man lehnt sich auf dem Sofa zurück, taucht ein in eine simpel konzipierte Welt aus Herz - Schmerz, kehrt nach einem voraussehbaren Happy End entspannt in den Alltag zurück. Gerade in beruflich stressigen Zeiten erlaube ich mir auch mal ein "anspruchsloseren" Roman und dazu gehören die von Jojo Moyes. Traditionell erzählt, recht einfach gestrickt, spinnen sie einen rosaroten Faden und nehmen die Leserin mit ins Happy End - Ausnahme "Ein ganzes halbes Jahr", das sich mit dem Tetraplegiker, der seinem Leben ein Ende setzen will, einem sehr kontroversen Thema widmet.
Daher war gespannt, als Mira für unser gemeinsames Lesen "Eine Handvoll Worte" vorgeschlagen hat.

Worum geht es?
Am Beginn jedes Kapitels ist ein Abschiedsbrief, -SMS oder E-Mail abgedruckt, die Jojo Moyes auf eine Anzeige in der Zeitung erhalten hat oder sie wurden ihr von Verwandten zur Verfügung gestellt. Manche stammen aus der Literatur und einer davon gehört zur Handlung - es sind jeweils "Eine Handvoll Worte", die ein Liebesbeziehung beenden.

Prolog
Einen solchen Brief findet Ellie Haworth im Archiv der Zeitung Nation, für die sie einen Artikel schreiben soll, in dem das Leben der Frauen von 1960 mit dem heutigen (2003) verglichen wird. Anlass ist der Umzug der Redaktion in ein neues Gebäude und die Umstrukturierung des Archivs.
Ellis Aktien in der Redaktion stehen gerade auf Absturz, da ihr Privatleben ein strukturiertes, zielorientiertes Arbeiten unmöglich macht. Seit einem Jahr hat sie eine Affäre mit einem verheirateten Autor - John Armour (!), der nur selten Zeit für sie - oder besser gesagt für Sex mit ihr hat. Als ihre besten Freund*innen sie darauf hinweisen, dass er sich nie von seiner Frau trennen wird, weist sie dies brüsk zurück. Sie lebt in ihrer "Liebesblase", unfähig zu sehen, dass es eine auf Zeit ist.
In dieser Situation gerät ihr der Liebesbrief von "B" vom 4.10.1960 in die Hände, der sich in einer Aktenmappe mit Lungenkrankheiten, ausgelöst von Asbest, befunden hat. Fasziniert von der Sprache des Briefes beginnt sie zu recherchieren.

Teil 1 - 1960
Jennifer Sterling (die Adressatin des Briefes) wacht im Krankenhaus auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Ein schwerer Verkehrsunfall hat eine Amnesie ausgelöst, sogar ihren Mann erkennt sie nicht.

"Er war ein gutaussehender Mann, vielleicht zehn Jahre älter als sie, mit hoher, gewölbter Stirn und ernstem Blick. Tief im Innern wusste sie, dass er wohl derjenige war, der zu sein er behauptete, dass sie tatsächlich mit ihm verheiratet war, aber es war verblüffend nichts zu empfinden, obwohl alle ganz offensichtlich eine andere Reaktion von ihr erwarteten." (S.36)

Doch sie spielt die von ihr erwartete Rolle der reichen Unternehmensgattin - ihr Mann ist im Asbestgeschäft, 1960 galt es noch als "Wunderbaustoff". Ihre Meinung ist nicht gefragt und sie hat schmückendes Beiwerk ihres Mannes zu sein. Ihre Freundin Yvonne beschreibt ihr, wie sie früher gewesen ist:

"Du bist reizend und lustig und voller joie des vivre. Du hast das perfekte Leben, einen reichen, gutaussehenden Mann, der dich anhimmelt, und einen Kleiderschrank, für den jede andere Frau sterben würde. Deine Frisur sitzt immer perfekt. Du hast eine Wespentaille. Bei jedem gesellschaftlichen Anlass stehst du im Mittelpunkt, und unsere Ehemänner sind alle in dich verliebt." (S.58)

Perfektes Leben? Aus unserer heutigen Perspektive sicherlich nicht - aber wir sind im Jahr 1960, fehlen nur noch Kinder zum Glück...

Im 3.Kapitel wechselt die Perspektive zum Journalisten Anthony O´Hara, der lange als Auslandskorrespondent für die Nation gearbeitet hat, zuletzt im Kongo, in dem es 1960 Unruhen gab. Da es ihm zurzeit nicht gut geht - Alkoholprobleme, überstandenes Gelbfieber - wird er an die Rivera geschickt, um ein Porträt über Laurence Stirling, Jennifers Mann, zu schreiben. O´Hara ist geschieden und hat einen kleinen Sohn, den er aber kaum sieht und natürlich ist auch er gutaussehend. Im Verlauf des Kapitels wird deutlich, dass das Interview zeitlich vor dem Unfall Jennifers liegt und die Vermutung, dass O´Hara jener Mann ist, der den Liebesbrief an Jennifer geschrieben hat, bestätigt sich. Man erfährt, wie die beiden sich kennen lernen und Jennifer davon überwältigt ist, dass jemand ihr zuhört und sie ernst nimmt. Gut gemacht ist der Perspektivwechsel, da aus Anthonys Sicht der Beginn der Liebesgeschichte erzählt wird und aus Jennifers Sicht die Zeit nach dem Unfall, in der sie auf einen der Briefe Anthonys stößt. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche nach ihrem Liebhaber, in den Briefen finden sich kaum Hinweise, bis sie endlich die Wahrheit erfährt - eine Wahrheit, die ihr Mann gekannt hat, was teilweise sein Verhalten erklärt und auch, warum ihr niemand die Umstände ihres Unfalls erklären wollte.

Im zweiten Teil springt die Handlung ins Jahr 1964 und wir erfahren, wie es Jennifer inzwischen ergangen ist und wie die Akte, die Elli in der Gegenwart findet, im Archiv gelandet ist.

Teil 3 widmet sich Elli und ihrer komplizierten Beziehung zu John. Ihr Drang jede SMS und Mail zu sezieren und Bedeutung hineinzulegen, erinnert mich an die Zeit als Teenager. Allerdings ist sie 32 Jahre alt. Inspiriert von den Liebesbriefen beleuchtet sie ihre eigene Beziehung, die "Handvoll Worte" und die Suche nach den Protagonisten der Liebesgeschichte verändern auch ihr Leben.
Und am Ende - wie nicht anders zu erwarten - gibt es ein Happy End, wenn auch einige unerwartete und tragische Wendungen dazwischen liegen.

Bewertung
Obwohl die gesellschaftlichen Einschränkungen der Zeit, in der Jennifer sich trotz ihrer Ehe in einen anderen Mann verliebt hat, wesentlich strikter gewesen sind, ist auch Elli weit davon entfernt frei zu sein. Ist Jennifer gefangen in den Konventionen, die eine Scheidung nicht vorsehen, und in ihrer Unfähigkeit selbst für ihr Leben finanziell aufzukommen, ist Elli in ihren romantischen Vorstellungen gefangen. Während Jennifer erstaunlich mehrdimensional gezeichnet ist, gibt Elli das Bild einer kindlichen 32-Jährigen, deren Traum so aussieht:

"Sie hat einen Job als Journalistin bei einer der wichtigsten Zeitungen des Landes, beneidenswert unkompliziertes Haar, einen Körper, der im Grunde an den richtigen Stellen kurvig oder schlank ist, und ist hübsch genug, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wobei sie immer noch so tut, als wäre ihr das unangenehm. (...) Sie hat noch nicht das Alter erreicht, in dem es als persönliches Versagen betrachtet werden könnte, wenn man weder Mann noch Kinder hat." (S.377)

Willkommen im Jahr 2003 - bis auf den beruflichen Erfolg scheint sich zu 1960 wenig geändert zu haben. Nach dem Traum einen Job zu haben, kommt sofort das gute Aussehen. Unverheiratet, keine Kinder zu haben, gilt als persönliches Versagen. Hat sich unser Bild vom erfolgreichen Leben so wenig verändert? Laut Moyes scheint es so zu sein - Elli verkörpert zwar eine Frau, die sich in ihrem Beruf behaupten kann und Erfolge aufweisen kann, doch ihre Gedanken kreisen ausschließlich um ihre Liebesaffäre und den Wunsch in einer festen Beziehung zu leben.

Während der Roman recht gut die gesellschaftlichen Umstände der 60er Jahre aufzeigt, mit der Doppelmoral und den Schwierigkeiten für Frauen, sich selbst zu verwirklichen, ist der Blick auf unsere Zeit erschreckend altmodisch.

Was bleibt? Eine schöne Liebesgeschichte - auch wenn die Liebesszenen für meinen Geschmack "too much" sind, eine interessante Erzählstruktur, "Eine Handvoll Worte", die zeigen, wie sich die Abschiedsbriefe im Lauf der Zeit verändert haben und die Erkenntnis, dass ich in Zukunft die Hände von Moyes Roman lasse ;)

Hier geht es zu Miras Rezension.

Buchdaten
Taschenbuch, 590 Seiten
Rowohlt, Oktober 2013