Mittwoch, 14. Dezember 2016

Angelika Felenda: Der eiserne Sommer

- ein historischer Kriminalroman.


Taschenbuch, 435 Seiten
Erschienen im Suhrkamp Verlag am 12. September 2016


Vielen Dank an den Suhrkamp-Verlag, der mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.



Inhalt
Der Roman spielt in München, am Vorabend des 1.Weltkrieges. Während in Sarajewo das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie verübt wird, geschieht am Isarufer ein Mord.
Die Ermittlungen leitet der junge Kommissär Sebastian Reitmeyer, der ursprünglich Jura studiert hat, aufgrund des Todes seiner Eltern jedoch gezwungen war einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Er lebt bei seiner Tante und radelt immer zum Dienst.
Während seiner Ermittlungen stößt er auf seinen Jugendfreunde Sepp Leitner, Anwalt und politisch links aktiv, der ihn spontan zu einer Soiree im Haus von Dohmbergs einlädt.

"Zu den Dohmbergs? Nein. Auf gar keinen Fall! Er zog die Schultern hoch und ließ sie schwer ausatmend wieder sinken. Das Kapitel war für ihn abgeschlossen. Früher einmal, als Gymnasiast und als Student der Jurisprudenz, war er in solchen Häusern ein und aus gegangen. So auch bei Ludwig von Dohmberg, einem hohen Tier im Justizministerium und mit einer englischen Adligen verheiratet. Damals war er mit den beiden älteren Kindern befreundet gewesen, mit Lukas, mit dem er gemeinsam Geigenunterricht hatte, und seiner Schwester Caroline (...)" (S.49)

Letztere trifft er in der Gerichtsmedizin, sie ist es, die ihm mitteilt, der junge Mann vom Isarufer sei einer seltsamen Stichverletzung - Medulla-Stiche genannt, zum Opfer gefallen. Eine Verletzung, die an der Halsschlagader zu sehen ist und nur von Kundigen ausgeführt werden kann.
Das Opfer Hubert Neugebauer hat offensichtlich hochrangige Offiziere und den bekannten Kunstmaler von Rager erpresst - mit brisantem Fotomaterial, auf dem homoerotische Akte zu sehen sind. Am liebsten würde das Polizeipräsidium den Fall verschwinden lassen, doch Reitmeyer und vor allem sein junger, recht eigenwilliger Polizeischüler Rattler lassen sich nicht ohne Weiteres von den Ermittlungen abhalten. (Rattlers visionäre Ansichten über zukünftige Polizeiarbeit treffen dabei meist ins Schwarze.)

Auch der zweite Tote, ein Masseur aus dem noblen Hotel Regina, das für entsprechende Zusammenkünfte bekannt ist, scheint in eine Erpressergeschichte verwoben zu sein.

Carolines und Lukas jüngerer Bruder Franz, der bei der Leibgarde dient, hat zumindest das erste Opfer gekannt und dem 2. Opfer Zahlungen geleistet. Somit gehört er zum Kreis der Verdächtigen...

Neben der Ermittlungsarbeit Reitmeyers erhält der Leser Einblick in die Tagebuchaufzeichnungen eines Offiziers. Anscheinend hat das Kriegsministerium ihn angeheuert:

"Offensichtlich ist das Treiben gewisser Offiziere der militärischen Führung nicht verborgen geblieben. Da ich das Umfeld kenne, ist man von oberer Stelle an mich herangetreten. Nur aus Pflichtgefühl gegenüber meiner Nation habe ich mich bereit erklärt, den Aufrag anzunehmen. Ich soll beobachten und berichten. Meine Auslagen werden erstattet." (S.13)

Doch jener Offizier steckt selbst in finanziellen Schwierigkeiten und nutzt seine Erkundigungen dazu, diese zu minimieren. Dabei wird in den Aufzeichnungen immer so viel verraten, wie der Kommissär bereits herausgefunden hat.

Mit allen Mitteln will das Militär kurz vor der zu erwartenden Kriegserklärung Österreichs an Serbien verhindern, dass es in Misskredit gerät. Die Polizei darf per Gesetz nicht gegen das Militär ermitteln und soll möglichst seine Ermittlungsergebnisse für sich behalten - im Gegenteil, Reitmeyer wird geradezu ermutigt einen Mantel des Schweigens über alles zu breiten.
So viel sei verraten, mit unkonventionellen Methoden gelingt es ihm trotzdem den Fall zu lösen und das Ende wartet mit einigen Überraschungen auf.

Bewertung
Ein spannender Krimi, der gleichzeitig einen interessanten Einblick in die politisch angespannte Lage und das Leben in München kurz vor Ausbruch des 1.Weltkrieges bietet.
Faszinierend sind die Möglichkeiten und Methoden der Polizeiarbeit vor rund 100 Jahren, die ohne die technischen Errungenschaften des 20. und 21.Jahrhunderts auskommen mussten - keine Computer, keine DNA-Analyse, statt dessen Verbrecherkarteien und Fingerabdrücke. Auch die Pathologen hatten mit widrigen Umständen zu kämpfen, so beschreibt Kommissär Reitmeyer eindringlich den Gestank im Sommer, gelobt seien die heutigen Möglichkeiten der Kühlung.

Nichtsdestotrotz wird auch in diesem Krimi der Fall mit entsprechender Kopfarbeit gelöst und offenbart am Ende eine überraschende Lösung mit machtpolitischem Hintergrund.
Die Einbettung dieses brisanten Kriminalfalls - der heutzutage in der Klatschpresse landen würde - in seinen historischen Kontext zu einer Zeit, in der Homosexualität verboten war und gegen das Militär nicht ermittelt werden durfte, zeichnet diesen Krimi aus und bereitet ein besonderes Lesevergnügen.
Und weckt hohe Erwartungen an den Folgeband "Wintergewitter" , der bereits erschienen ist.


Buchtrailer


Erinnert hat mich der Kriminalroman an die Reihe von Volker Kutscher um seinen Kommissar Gereon Rath. Diese spielen jedoch in Berlin und sind angesiedelt in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus bis hin deren Machtergreifung. Beide Kommissare sind vom Charakter her recht eigenwillig angelegt, doch die Parallelitäten zeigen, dass die Verknüpfung von Kriminalroman und Geschichte eine erfolgreiche Kombination ist und entsprechendes Publikum findet.