Diesen Roman hat meine Buchhändlerin im Rahmen einer Challenge auf Facebook gepostet, in der man sieben Tage hintereinander das Cover seiner Lieblingsbücher vorstellen sollte. Es war ihr erster Beitrag und hat mich daran erinnert, dass ich diesen Briefroman schon lange gelesen haben wollte ;)
Die Autorin, selbst Buchhändlerin und Bibliothekarin, starb leider kurz vor Veröffentlichung des Romans. Ihre Nichte Annie Barrows half ihr bei der Fertigstellung dieses wunderschönen Romans, der im Jahr 1946 in England und auf Guernsey (Kanalinseln) spielt.
Im Mittelpunkt steht die junge Autorin Juliet Ashton, die während des Krieges unter dem Pseudonym Izzy Bickerstaff Kolumnen im Spectator veröffentlicht hat, die zu Beginn der Handlung sehr erfolgreich im Verlag Stephens&Stark unter dem Titel Izzy Bickerstaff zieht in den Krieg erschienen sind.
Inhaber des Verlags ist ihr Freund Stephan, mit dessen jüngerer Schwester Sophie Juliet seit ihrer Zeit im Internat - sie ist eine Waise, die früh ihre Eltern verloren hat - befreundet ist.
Die Handlung wird vollständig in Briefen von Juliet und Briefen an Juliet erzählt. Aus den Briefen spricht eine sympathische, leidenschaftliche junge Frau, die ihren ersten Verlobten kurz vor der Heirat "verworfen" hat, weil er aus ihrer zukünftigen neuen Wohnung all ihre Bücher verbannen wollte.
Ein besonderer Brief gibt Juliets Leben eine neue Richtung, in dem Moment, da sie auf einer Lesereise verzweifelt ein Thema für ein neues Buch sucht.
Sie erhält diesen von Dawsey Adams, der auf Guernsey lebt und eines ihrer alten Bücher antiquarisch erstanden hat: "Ausgewählte Essys von Elia von Charles Lamb". Da er von diesem Autor begeistert sei, weil er ihn während der deutschen Besatzungszeit zum Lachen gebracht habe, bittet er Juliet ihm eine Adresse einer Buchhandlung in London zu schicken, um weitere Werke des Autors erwerben zu können. In seinem Brief erwähnt er den "Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf, [der] wegen eines gebratenen Schweins ins Leben gerufen" (14) wurde.
Dieser ungewöhnliche Literaturclub weckt Juliets Neugier, so dass sie einen Briefverkehr mit dessen Gründungsmitgliedern auf Guernsey beginnt:
- Amelia Maugery, eine gebildete, ältere Dame
- Dawsey Adams, ein 40-jähriger, stiller Mann, der einen Bauernhof betreibt und als Handwerker arbeitet
- John Booker, ein Jude, der sich während der Besatzungzeit als ein anderer ausgegeben hat,
- Isola Pribby, eine "Kräuterhexe", die die Bronte-Schwestern liebt
- Eben Ramsey, ein älterer Herr, dessen verstorbene Tochter mit Elisabeth befreundet war und dessen Enkel die Besatzungszeit in England verbracht hat,
- Will Thisbee, ein Lumpensammler, der sich für Religion interessiert
Juliet erfährt in den Briefen die Erlebnisse der Bewohner während der Zeit der deutschen Besatzung Guernseys, das fünf Jahre von der Außenwelt abgeschnitten war. Die einzelnen Geschichten wecken ihr Interesse und eine neue Buchidee nimmt Gestalt an, die Juliet schließlich selbst nach Guernsey führt, obwohl gerade ein amerikanischer Verleger in ihr Leben getreten ist, der ihr Herz erorbern will.
Ob er gegen den Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf ankommt?
Bewertung
Die Geschichte Guernseys während des 2.Weltkrieges, die Ereignisse um Juliet und ihre Korrespondenz mit den Bewohner der Insel sowie Juliets Aufenthalt auf Guernsey bilden den Kern dieses Briefromans, der gleichzeitig aber auch "eine Verbeugung vor der Literatur" (Buchrücken), dem Lesen selbst und vor den Buchhändler*innen ist.
"Das ist es, was ich am Lesen so liebe; an einem Buch interessiert eine winzige Kleinigkeit, und diese Kleinigkeit führt zu einem anderen Buch, und etwas in diesem führt wiederum zu einem dritten Buch. Es ist geometrisch progressiv - es ist kein Ende in Sicht und es hat keinen anderen Zweck als das pure Vergnügen." (16)
"Buchhändler sind wirklich ein eigener Menschenschlag. Niemand, der alle fünf Sinne beisammen hat, würde des Gehalts wegen in einer Buchhandlung arbeiten oder sich wünschen, eine zu besitzen die Gewinnspanne ist zu gering. Es muss die Liebe zu den Lesern und zum Lesen sein, die sie dazu treibt - und die Möglichkeit, die neuen Bücher als Erste in die Hände zu bekommen." (20)
Dadurch, dass viele der Geschichte, die Juliet sammelt, von der Besatzungszeit handeln, ist der Briefroman gleichzeitig ein Roman gegen das Vergessen, der kein Schwarz-Weiß-Bild zeichnet. Auf der einen Seite haben Bürger*innen Guernseys kollaboriert, während sich die deutschen Soldaten teilweise anständig verhalten haben, zum Beispiel als die Bewohner Lebensmittel aus England erhielten:
"Ehre, wem Ehre gebührt. Sie haben all die Kartons für uns ausgeladen und sich keinen einzigen genommen." (160)
Die Geschichte Elisabeths hingegen zeigt die ganze Grausamkeit des Terror-Regimes, das die Nationalsozialisten errichtet haben. Ihr Schicksal beeinflusst Juliet so, dass ihre eigene (Liebes-) Geschichte eine neue Wendung erfährt.
Ein wunderschöner Roman, den ich ab jetzt auch als eines meiner Lieblingsbücher posten werde ;)