Montag, 18. Januar 2016

Tahereh Mafi: Ich fürchte mich nicht

Ein Fantasyroman, der vor allem durch seine außergewöhnliche Sprache besticht.

Buchdaten
Taschenbuch: 336 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag
Erschienen am: 21. Juli 2014
ISBN-13: 978-3442478491
Originaltitel: Shatter me


,Du darfst mich nicht anfassen´, flüstere ich. Bitte fass mich an, möchte ich in Wahrheit sagen. Aber wenn man mich anfasst, geschieht Seltsames. Schlimmes. (Klappentext)




Inhalt
Die Protagonistin des Romans- die 17jährige Juliette hat eine seltsame Gabe - wenn sie jemanden berührt, empfindet dieser Schmerzen. Aus diesem Grund ist Juliette nie berührt worden - auch nicht von ihren Eltern, die froh sind, dass sie mit 14 Jahren von zuhause weg muss, da ein Unglücksfall geschehen ist.
Nach Krankenhäusern, Gefängnis und Irrenanstalten, landet sie in der Isolationshaft. Fast ein Jahr später erhält sie einen Zellengenossen -Adam, ein Junge, den sie von früher kennt und der sie anscheinend nicht wieder erkennt.
Die Welt draußen hat sich derweil verändert - es gibt kaum noch Lebewesen oder Pflanzen. Die Erde ist weitestgehend zerstört und das Reestablishment hat die Macht übernommen und kämpft gegen Aufständische. Dabei will es die Spuren unserer Kultur - Bücher, Kunst, Sprache, Religion - zerstören, da diese fast zur Vernichtung der Menschen geführt hat.
Plötzlich werden Juliette und Adam aus der Isolationshaft befreit und in den Palast des Oberbefehlshabers Warner gebracht, der völlig von Juliette und ihren Fähigkeiten fasziniert ist und sie für sich gewinnen möchte.


"Ich versuche dir zu helfen Ich gebe dir eine Chance, die kein anderer dir anbieten würde. Ich behandle dich als mir ebenbürtig. Ich bin bereit, dir alles zu geben, was du dir wünschst, und statte dich überdies mit Macht aus. Ich kann die anderen leiden lassen für das, was sie dir angetan haben."(S.121)

Das Erstaunliche an Juliette ist, dass sie sich selbst für ihre Macht verachtet, dass sie sich schuldig fühlt, weil andere leiden. Und sie fühlt sich schuldig, weil es für sie eine Art Energieschub ist, wenn sie einen anderen berührt. Sie hasst sich dafür, dass sie es genießt.
Aber ihre helle Seite überwiegt, der Wunsch, geliebt zu werden. Nie hat sie jemand gemocht, berührt, mit ihr geredet - immer war sie die Außenseiterin. Trotz allem entwickelt sie keine Rachgedanken, sondern zeigt sich trotzig gegenüber Warners Angebot.
Obwohl Adam ein Soldat Warners und ihr Bewacher ist, verliebt sie sich ihn und wünscht sich, von ihm gehalten zu werden.

"Gestern Nacht reichte die Erinnerung an seine Umarmung aus, um meine Schreie zu verscheuchen. Die Wärme fürsorglicher Arme, die Kraft fester Hände, die meine Bruchstücke zusammenhielten, die Befreiung und Erlösung von so vielen Jahren Einsamkeit." (S.47)

 Die Frage ist, ob sie ihm wird vertrauen können oder ob sie letztlich doch der Macht nachgibt, die Warner ihr anbietet.

Bewertung
Bemerkenswert an diesem Debüt-Roman ist meines Erachtens neben der interessanten Idee einer "Unberührbaren" die außergewöhnliche Sprache, die teilweise einem Gedankenstrom gleicht. Juliette schreibt ihre Erlebnisse und Gedanken in ein Notizbuch und im Roman selbst, sind immer wieder Sätze und Wörter durchgestrichen, als ob man ein zensiertes, überarbeitetes Tagebuch lesen würde:

"Ich muss dich bewachen, Juliette." Er flüstert meinen Namen beinahe. Mein Herz mein Herz mein Herz. "Warner will, dass du verstehst, was er dir anbietet, aber...du wirst immer noch als Bedrohung betrachtet. Du bist mein Auftrag. Ich darf nicht rausgehen." Ich weiß nicht, ob ich das großartig oder grauenhaft finde. Das ist grauenhaft. (S.68)

Teilweise finden sich in den durchgestrichenen Sätzen und Wörtern ihre unmittelbaren Gedanken, ihre Wünsche, das, was sie eigentlich sagen will, sich aber verbietet zu sagen, weil sie glaubt, darauf kein Recht zu haben.
Außerdem ist die Sprache bildgewaltig - vor allem, wenn es um ihre Gefühle für Adam geht. Man könnte dem Roman vorwerfen, dass die Liebesgeschichte und die Beschreibung der Berührungen sehr im Vordergrund stehen. Anderererseits ist es aber für Juliette das wichtigste Thema überhaupt und sie sind - zumindest aus meiner Perspektive - sprachlich gelungen:

"Seine Lippen seine Lippen seine Lippen seine Lippen seine Lippen
Meine Augen versuchen verzweifelt nicht zu blinzeln
Meine Beine erstreiten sich das Recht zu zittern
Meine Haut ist versengt, wo er mich nicht berührt.
Seine Lippen sind so nah an meinem Ohr, ich bin Wasser, und ich bin nichts und alles und schmelze in ein Verlangen, so heftig, dass es im Hals brennt, als ich es verschlucke." (S.113)

Das hat fast lyrischen Charakter und dieser Wechsel von Asszoziationen, lyrischen Sequenzen, durchgestrichenen Passagen, als ob zensiert worden sei, und der Wiedergabe von Gesprächen macht den Roman zu etwas Besonderem.

Ich freue mich auf jeden Fall darauf, die Fortsetzungen zu lesen!