Mittwoch, 3. Mai 2017

Cristina De Stefano: Oriana Fallaci

- eine interessante Biographie über eine starke Frau.

Lesen mit Mira

Taschenbuch, 352 Seiten
btb, 12. September 2016


Vielen Dank an das Bloggerportal, das mir dieses Leseexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Wie es auf der Buchrückseite heißt, ist es dies die erste autorisierte Biografie der bekannten italienischen Journalistin Oriana Fallaci, oder wie sie genannt wurde, die Fallaci, die 1929 in Florenz geboren wurde und am 15. September 2006 gestorben ist.

Inhalt
Eigentlich wollte ihre Mutter Tosca sie gar nicht haben, da sie die Welt sehen und mit Künstlern verkehren will, statt dessen heiratet sie Edoardo und wird zum Aschenputtel seiner Familie. Die Trauer darüber, dass ihre kluge Mutter zur Dienstmagd degradiert wurde, hat Oriana zeitlebens angestachelt, hat ihren Ehrgeiz geweckt zu studieren, ein anderes Leben zu führen.
Auch ihr Vater hat sie von Anfang an geprägt:

"Edoardo Fallaci ist ein wortkarger Mann, er fordert sich selbst und andere. Seine Erstgeborene lässt er aufwachsen wie einen Soldaten." (S.11)

Er erzieht sie mit Härte und lebt Oriana den Mut vor, der sie besonders als Journalistin später auszeichnen wird.

"Edoardo und Tosca sind Orianas erste Helden, und sie wird ihr Leben lang der Eigenschaft des Mutes höchste Bedeutung beimessen." (S.16)

Die dritte wichtige Figur ihrer Kindheit ist ihr Onkel Bruno Fallaci, der Intellektuelle der Familie und erfolgreicher Journalist, der ihr die Tür zur Welt der Schreibenden öffnet.

Ihre Kindheit ist geprägt von Armut und vom Krieg. Ihr Vater, ein begnadeter Schreiner mit geringem Geschäftssinn, weigert sich trotz der schwierigen Zeiten in die faschistische Partei einzutreten, statt dessen schließt er sich dem Widerstand an.

"Bei den Fallacis ist es Familientradition, gegen die Obrigkeit aufzubegehren." (S.15)

Oriana selbst, geprägt von den Bombenangriffen auf Florenz, wird zur "Kurierin der Resistenza. Mit ihrem Fahrrad bringt sie den Widerstandskämpfern Flugblätter und Waffen" (Bild, S.160).

Neben den politischen Umständen, die sie prägen, ist es auch der soziale Hintergrund, der ihren Lebensweg bestimmt:

"Oriana wächst in einem Haus auf, indem viel gelesen wird und man die Bücher auf Raten kauft. Ihre Eltern sind leidenschaftliche Leser, was bei ihrer gesellschaftlichen Herkunft eher ungewöhnlich ist." (S.33)

Schon früh äußert sie den Wunsch Schriftsteller zu werden und liest alles, was sie in die Finger bekommen kann. Es gelingt ihr Abitur zu machen und zu aller Überraschung schreibt sie sich für Medizin ein. Da sie ihr Studium selbst finanzieren muss, sucht sie einen Job, sie wird Reporterin beim "Mattino" - dank ihres Auftretens, aber auch wegen ihres berühmten Onkels.
Anfangs schreibt sie nachts und geht tagsüber zu den Vorlesungen, doch das Arbeitspensum fordert seinen Tribut, so dass sie sich für die Zeitung entscheidet.
Bereits zu Beginn ihrer Karriere zeigt sich ihr einzigartiger Stil. Es gelingt ihr die Menschen zu entlarven, ihnen etwas zu entlocken, was sie nicht sagen wollten. Sie erzählt ihre Interviews, erwähnt aussagekräftige Details, macht sich selbst zur Protagonistin und stellt ihre persönliche Interpretation in den Mittelpunkt, wobei sie keinen Respekt vor Autoritäten hat und mutige Fragen stellt.

Berichtet sie zunächst vom Kino, von der High Society, stellt der Aufstand in Ungarn 1956 einen wichtigen Wendepunkt in ihrer Karriere dar. Fortan will sie sich nicht mehr mit Klatsch und Tratsch beschäftigen, doch zunächst erhält sie keine Chance, Kriegsberichterstatterin zu werden.
Ihr Weg führt sie nach Amerika, nach Hollywood, wo sie sich in der Welt des schönen Scheins einen Namen macht und darüber ihr erstes Buch veröffentlicht.

Zudem verliebt sie sich zum ersten Mal - in einen Kollegen, Alfredo Pieroni. Die verliebte Oriana ist besessen und ordnet alles ihrer Liebe unter. Das wirkt im Kontrast zur mutigen Journalistin etwas unverständlich, genauso wie ihre Erniedrigung gegenüber Alfredo, der sie offensichtlich nicht liebt. Die Zurückweisung und eine Fehlgeburt führen dazu, dass sie ernsthaft krank wird, unter Depressionen leidet und Selbstmordgedanken hegt. Sie realisiert, dass nur das Schreiben sie retten kann, und so kehrt sie zurück. "Mit einem Pokerface" (S.93) lebt sie fortan als freie Frau und bezeichnet die Liebe als Falle. Trotzdem wird sie sich wieder ernsthaft verlieben und ihre Erfahrungen jeweils literarisch verarbeiten.

Die zweite große Liebe lernt sie in Vietnam kennen, nachdem sie eine Zeit lang amerikanische Astronauten interviewt hat und ein Buch über die Eroberung des Mondes geschrieben hat.

"Das Kostbarste, was Vietnam ihr schenkt, ist nicht etwa der Ruhm - der mittlerweile international ist-, oder der Ran einer Kriegsberichterstatterin - der ihr den Weg zu Interviews mit den Mächtigsten der Welt ebnet -,sondern dieser Mann der wenigen Worte, fast ein Griesgram, der sie versteht und respektiert und der ihr Gefährte fürs ganze Leben sein könnte, wenn er nur wollte. " (S.179)

Fünf Jahre, bis 1973, dauert ihre Liebe an, Francois ist verheiratet und nicht bereit, sich von seiner Frau zu trennen. Genau wie bei ihrer ersten Liebe, bricht sie nach der Trennung jeglichen Kontakt ab. Sie könne nicht verzeihen, sagt sie über sich selbst.
Ihre nächste Liebe und ihr Held ist der griechische Widerstandskämpfer Alexandros Panagoulis, über den sie einen weiteren Roman "Un uomo" schreibt.
Ihr größter Erfolg wird der im September veröffentlichte Roman, "Brief an ein nie geborenes Kind", ein Dialog einer Mutter mit ihrem ungeborenen Kind, in dem Oriana ihre Fehlgeburten literarisch verarbeitet.

"Politisch gesehen ist Oriana in den Siebzigerjahren eine engagierte Journalistin. Sie glaubt an die Befreiung der Frau, an einen Kampf gegen jegliche Form der Unterdrückung, verurteilt die USA für ihre Unterstützung der Diktaturen in Südamerika und die Sowjetunion für ihren Umgang mit den Dissidenten. Die Tatsache, dass sie während des italienischen Faschismus und des Krieges aufgewachsen ist, lässt sie aus reinem Instinkt so reagieren." (S.190)

Sie wird eine politische Korrespondentin, ihr Interview-Stil Studieninhalt in Journalismus-Schulen in Amerika. Sie interviewt Golda Meir, Gaddafi, Khomeinie, Willy Brandt und viele andere politische Größen und stellt unbequeme und mutige Fragen. Sie setzt sich intensiv mit dem Islam auseinander und vertritt schon früh die These, dass der radikal-islamistische Terror die Bedrohung unserer westlichen Welt und Werte sei. Eine Befürchtung, die sie am 11.September 2001 bestätigt sieht. In ihren Artikeln kritisiert sie den Islam, mit dem sie sich schon seit Jahren auseinander setzt. Aufgrund dessen wird sie von rechten Ideologen zur Ikone erhoben, auch weil sie sich gegen Immigranten in Florenz ausspricht. Eine Einstellung, die befremdet, und der die Biografin auch nur wenige Seiten widmet. Offenkundig will sie der Problematik aus dem Weg gehen.

In letzten Jahre, die Oriana in den USA verbringt, widmet sie sich einem Familienroman, den sie aber nicht mehr abschließen kann.

Bewertung
In unserem Telefongespräch haben Mira und ich spontan die gleichen Empfindungen geäußert. Beide bewundern wir diese starke Persönlichkeit, die sich als Journalistin ab den 50er Jahren in einer Männerdomäne durchgesetzt hat, aber wir wollten beide nicht mit einer solch anstrengenden Person, denn als solche erscheint sie in der sorgfältig recherchierten Biografie, befreundet sein.
Wir hatten den Eindruck, dass die Biografin selbst genauso akribisch jedes Detail im Leben Oriana Fallacis recherchiert hat, wie sich die Journalistin Fallaci auf ihre Interviews vorbereitet hat.
Die Biografie zeigt auch die Lebensumstände in Italien während des 2.Weltkrieges und danach. Dass es nicht selbstverständlich war, wenn man aus ärmlichen Verhältnissen stammt, dass man Abitur machen darf und studiert. Das hat sich glücklicherweise inzwischen verändert.
Darüber hinaus verdeutlicht die Biografie, wie schwer es Oriana Fallaci als Frau hatte, ihren Weg zu gehen und in Italien selbst als Journalistin anerkannt zu werden.

Insgesamt zeichnet diese sehr interessante Biografie ein ausführliches Bild dieser mutigen, emanzipierten, aber auch leidenschaftlichen und schwierigen Frau, der es aufgrund ihrer Sozialisation gelungen ist, sich in einer von Männern besetzten Domäne einen Namen zu machen.

Am Ende bleibt der Eindruck einer bewundernswerten, mutigen Journalistin, einer streitbaren Persönlichkeit, die ich bewundere, die aber eine anstrengender Mensch gewesen sein muss - auf ihrem Recht beharrend, perfektionistisch und nachtragend.

Hier geht es zu Miras Rezension.