- Stuttgart 2040.
Taschenbuchausgabe,191 Seiten
EINBUCH, 2017
Der Roman wurde mir von der Autorin freundlicherweise als Leseexemplar zur Verfügung gestellt.
Inhalt
Der 19-jährige Rano arbeitet im Rescue Center Nord, einem großen Secondhand-Kaufhaus in Stuttgart. Er jobbt, um später sein Studium finanzieren zu können. Sein größtes Problem ist seine Schwester Alani, die gesundheitlich angeschlagen und psychisch labil ist. Von ihren Eltern haben beide keine Hilfe zu erwarten. In einer Gesellschaft, in der der Krankenversicherungsstatus darüber entscheidet, welche ärztliche Hilfe man in Anspruch nehmen kann, scheint sie keine Chance zu haben. Wer kein Geld hat, sich teuren Versicherungsschutz zu leisten, muss lange auf einen Termin warten und auf die neueste Technologie verzichten - oder selbst zahlen.
Da ist es nicht erstaunlich, dass Krankenversicherungskarten gestohlen werden. Xeta, eine Studentin, die auch im Rescue Center arbeitet, vermittelt Rano an jemanden weiter, der ihm helfen kann, einen entsprechenden Versicherungsstatus für seine Schwester zu "stehlen", die sich inzwischen in der Psychiatrie befindet. Rano sieht keine andere Möglichkeit als zu betrügen, da der wohlhabende Vater seiner Freundin Karla, sich nicht bereit erklärt, ihn finanziell zu unterstützen. Ob der Betrug gelingt? Kann Alani gerettet werden?
Bewertung
Die Autorin malt ein düsteres Zukunftsbild, in der die Schere zwischen Arm und Reich sich am Krankenversicherungsstatus manifestiert. Schaut man in die USA, wo Obamacare wieder rückgängig gemacht werden soll, scheint diese Vision recht realistisch. Der Grundidee des Romans hat mir sehr gut gefallen, die sprachliche Umsetzung und die präsentierte "Lösung" jedoch weniger.
[SPOILER]
Rano findet Hilfe in einer christlichen Vereinigung, die "Gottesdienste" in einer alten Kneipe abhalten. Erstaunlicherweise wird auch Karlas Vater von der Mitmenschlichkeit "angesteckt", kann aus der Trauer darüber, dass seine Frau ihn verlassen hat, gerettet werden und entpuppt sich am Ende als großer Wohltäter. Plötzlich ist Rano sein Freund, er hilft Alani, diese Veränderung war für mich beim Lesen nicht glaubwürdig.
Dass gegenseitige Hilfe und Menschlichkeit aus einem Dilemma herausführen können und die Religion dabei eine wichtige Rolle spielen kann, ist eine "gute" Botschaft. Die Umkehrung der Figuren und ihre Handlungsweisen sind meines Erachtens aber psychologisch nicht nachvollziehbar. Zu schnell wechseln sie ihr Verhalten, ohne dass dies plausibel dargelegt wird. So verändert sich Alani von einer depressiven, passiven jungen Frau zu einer lebensbejahenden, nur weil sie die Veranstaltung eines medizinischen Gurus und Betrügers besucht und diesen erstaunlicherweise "durchschaut" hat. Sehr unwahrscheinlich, wenn man ihre grundlegende psychische Verfassung betrachtet. Am Ende ist alles gut, aber die Problematik der Zwei-Klassengesellschaft bleibt bestehen. Was tun diejenigen, die keine Hilfe in der religiösen Gemeinschaft oder keinen reichen Wohltäter finden?
Der Roman beschreibt zu Beginn durchaus ein realistisches Bild, wie sich die Gesellschaft entwickeln wird oder kann, bietet aber keine politischen Lösungen an. Statt dessen sollen wir auf Gott und die Freundschaft vertrauen und darauf, dass uns jemand hilft. Eine schöne Botschaft, aber reicht das aus? Hätte mir von einer Dystopie mehr erwartet.